Sie werden lernen. Über das Ergebnis des Hamburger Volksentscheids

Aufstand der Privilegierten

Beim Hamburger Volksentscheid über die Schulreform stimmten 276 304 Wahlberechtigte gegen die Einführung der Primarschule und nur 218 065 dafür. In Hamburg wird auch in Zukunft nicht länger gemeinsam gelernt.

Die Initiative »Wir wollen lernen«, die in Hamburgs Villenvororten entstanden ist, hat gewonnen. Mit einem Volksentscheid hat sie sich gegen die von der schwarz-grünen Regierung beschlossene Schulreform durchgesetzt, die von SPD und Linkspartei mitgetragen wurde. Der Sprecher der Initiative Walter Scheuerl, gutsituierter Rechtsanwalt und Elternratsvorsitzender am noblen Gymnasium »Hochrad«, erklärte: »Wir haben nicht nur das Parlament besiegt, sondern wir haben auch gesiegt trotz einer geballten PR-Maschinerie, die die Parteien, Gewerkschaften und der Senat auf Kosten des Steuerzahlers zuweilen gegen uns aufgefahren haben.« Woher »Wir wollen lernen« das Geld für die eigenen aufwändigen Kampagnen mit Werbemitteln aller Art – bis hin zur Beschäftigung bezahlter Unterschriftensammler für das Volksbegehren – hatte, wollte die Initiative nicht bekanntgeben.

Am Volksentscheid nahmen 39 Prozent der Hamburger Wahlberechtigten teil, das nötige Quorum für die Rechtsverbindlichkeit wurde somit erreicht. Politiker der schwarz-grünen Landesregierung erklärten übereinstimmend, dass Ergebnis zu akzeptieren und auf die Einführung der Primarschule zu verzichten. Das Konzept des längeren gemeinsamen Lernens ist gescheitert. Statt der sechsjährigen Primarschule beginnt das Aussortieren weiterhin nach dem Besuch der vierjärigen Grundschulzeit. Am Gymnasium setzt der Unterrichtsbeginn unverändert mit der fünften Klasse ein und nicht, wie geplant, ab dem siebten Schuljahr. Angesichts der räumlich ohnehin sozial segregierten Stadtteilschulen sinkt mit dieser Entscheidung die soziale Chancengerechtigkeit.
»Es ist eine gute Nachricht für das Gymnasium. Es ist eine gute Nachricht für das Selbstbewusstsein der Bürger«, frohlockte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) am Tag nach der Abstimmung im ARD-Morgenmagazin. Sie zeigte deutlich, dass ihre Partei keineswegs für ein längeres gemeinsames Lernen ist, sondern die sozial ungerechte Trennung von Schülern durch verschiedener Schulformen bevorzugt. Der Präsident der Kultusministerkonferenz hatte sich schon während der Diskussion eingemischt. »Ich stehe für ein differenziertes Bildungswesen und lehne eine Einheitsschule, wie sie jetzt in Hamburg geplant ist, als bayerischer Kultusminister ab«, sagte Ludwig Spaenle am Tag vor der Abstimmung im Gespräch mit der Bild-Zeitung.

In Nordrhein-Westfalen übernahm es der Fraktionsvorsitzende der CDU, Karl-Josef Laumann, das Mantra der Anhänger des Gymnasiums zu sprechen. »Wer beim achtjährigen Gymnasium zwei Jahre gemeinsames Lernen mit dem schwächsten Hauptschüler will, der schadet beiden und zerstört die dauerhafte Leistungsfähigkeit des Gymnasiums.«
»Längeres gemeinsames Lernen macht unser Bildungssystem gerechter und leistungsstärker«, steht im Koalitionsvertrag der neuen rot-grünen Regierung in NRW. Die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann erklärte nach dem Scheitern der Hamburger Schulreform sogleich beflissen, dass dieses Vorhaben natürlich nicht »von oben« durchgesetzt werden solle. Bis zum Jahr 2015 möchte die Landesregierung in NRW 30 Prozent aller weiterführenden Schulen in Gemeinschaftsschulen umwandeln. Das dürfte auch reibungslos funktionieren, solange Haupt- und Realschulen mit Gesamtschulen zusammengelegt werden. Zementiert wird damit ein zweigliedriges Schulsystem mit einem sakrosankten Gymnasium und einer Resteschule.
Das wird es nun auch in Hamburg geben. Haupt- und Realschulen werden dort mit den Gesamtschulen zu Stadtteilschulen zusammengelegt. Für diese Schulen ist zwar, wie bei den bisherigen Gesamtschulen, eine Oberstufe geplant, aber dafür werden genügend Schüler benötigt, die das Abitur auch schaffen. Walter Scheuerl hat schon mitgeteilt, dass er dieses zweigliedrige Konzept begrüße.