Das Verbot ist ein falsches Signal

Contra: Verbieten verbietet sich

Das Burkaverbot ist eine Abgrenzungsgeste, die vor allem liberale Muslime in ein Dilemma bringt. Dabei sind sie es, die emanzipatorische Bestrebungen in islamischen Gemeinden voranbringen. Sie gilt es zu unterstützen. Die Freiheit der Frauen lässt sich nicht einfach per Gesetz sicherstellen.

Vorweg: Ich halte die Burka oder auch den Niqab für einen Ausdruck frauenfeindlicher Kultur. Diese Art der Verhüllung, die auch das Gesicht verdeckt, soll den weiblichen Körper in der Öffentlichkeit unsichtbar machen. Anders als das Kopftuch berauben Burka und Niqab weibliche Individuen ihrer körperlichen Präsenz. Deshalb finde ich, dass es sich dabei nicht bloß um eine Frage persönlicher Vorlieben handelt, sondern um eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse.
Trotzdem bin ich gegen ein staatliches Burkaverbot in westlichen Ländern. Denn die Zahl von Frauen, die hierzulande die Burka oder Niqab tragen, ist so verschwindend gering, dass so ein Gesetz nur symbolischen Charakter hätte. Wir brauchen es nicht, um realen Missständen zu begegnen, sondern es dient bloss als Abgrenzungsgeste.
Dabei gehöre ich nicht zu denen, die leugnen, dass es reale Konflikte zwischen patriarchalen Milieus (nicht nur im Islam) und frauenemanzipatorischen Errungenschaften gibt. Errungenschaften, die wir übrigens der Frauenbewegung verdanken und nicht den westlichen Männerdemokratien, die lange Zeit ganz prächtig auch ohne die Freiheit der Frauen ausgekommen sind.
Diese Konflikte entzünden sich an vielen und unterschiedlichen Stellen. Sie unter dem Symbol der »Burka« zu subsumieren, ist kon­traproduktiv. Gewalt und Unterdrückung gegen Frauen sind bereits verboten. Woran es mangelt, sind Mittel und Hilfen. Mehr Geld für Frauenhäuser und feministische Gewaltberatungsstellen oder die Anerkennung sexistischer Verfolgung als Asylgrund wären naheliegende Maßnahmen, wenn man betroffenen Frauen helfen will.

Ein Burkaverbot hingegen bringt vor allem die liberalen Muslime und Musliminnen in ein Dilemma: etwa deutsche Muslime mit westlichem Lebensstil, denen ihre Religion dennoch wichtig ist, islamische Theologinnen, die den Koran feministisch lesen, oder traditionsverbundene Migrantinnen, die trotzdem vieles an der westlichen Kultur gut finden. Sie – und nicht strenggläubige Imame oder säkulare Islamkritikerinnen – spielen eine Schlüsselrolle bei der Integration. Wer, wenn nicht sie, sollte denn emanzipatorische Anliegen in islamischen Gemeinden vertreten? Liegt uns wirklich an der Freiheit der Frauen und gerade an der Freiheit muslimischer Frauen, dann müssten wir innerislamischen Reformkräften den Rücken stärken und mit ihnen ein Bündnis eingehen. Und zwar nicht von einer besserwisserischen Warte aus, sondern mit Interesse und der Bereitschaft, sich auch selbst in Frage stellen zu lassen.
Aber schon in der Kopftuchdebatte hat der traditionelle westliche Feminismus an Glaubwürdigkeit verloren. Vor zehn Jahren hätten die meisten Musliminnen in Westeuropa ein Burkaverbot wohl achselzuckend zur Kenntnis genommen – lehnen sie diese Art von Kleidervorschriften doch selbst ab. Doch die Art, wie nach dem 11. September 2001 über »den Islam« diskutiert wurde, hat sie verärgert. Sie haben genug davon, sich ständig für ihre Religion rechtfertigen zu müssen.
Auf der anderen Seite haben sie es in den Moscheen und den organisierten Islamverbänden mit patriarchal-konservativen Kräften zu tun, die jede Reformbemühung mit dem Vorwurf der »Verwestlichung« kontern. Ihnen ist es ein Leichtes, anti-muslimische Muskelspiele für eigene Zwecke zu nutzen. In der Vorstellung, »der Islam« sei von Grund auf patriarchal und nicht im Sinne weiblicher Freiheit reformierbar, sind sich fundamentalistische Islamisten und radikale »Islamkritiker« ohnehin erschreckend einig.

Schließlich wäre ein Burkaverbot auch ein falsches Signal an die westlichen Milieus und an die nicht-muslimischen Migrationscommunities, die selten so liberal und frauenfreundlich sind, wie sie sich gerne darstellen. Gewalt gegen Frauen gibt es überall, die Beschränkung ihrer Freiheit auch. Das lässt sich nicht an äußerlichen Symbolen ablesen. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, die Freiheit der Frauen könne per Gesetz sichergestellt werden. Sie muss sich im Konkreten bewähren: Wie unterstütze ich das Mädchen, das gegenüber ihren Brüdern benachteiligt wird? Wie argumentiere ich gegenüber einer Frau, die meint, der Ganzkörperschleier bringe sie näher zu Gott? Was ist mit der Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird, ihn aber partout nicht verlassen will?
Ich bin gegen ein Burkaverbot, nicht weil ich die Gefahr herunterspielen will, die von neopatriarchalen Kräften ausgeht, sondern weil ich diese Gefahr für allzu virulent halte. Sie lässt sich aber nur mit konkreter Vermittlungsarbeit bannen, also indem wir möglichst viele Menschen von den positiven Aspekten westlicher Emanzipationsvorstellungen überzeugen. Genau das wird aber durch solche Gesetzesinitiativen erschwert.

Antje Schrupp bloggt auf www.antjeschrupp.com über Feminismus, Religion und Politik.