Mit Brüderle zu Sonne und Freiheit

Es ist schön, dass es endlich wieder Politiker gibt, die ein Vorbild sind. Während die meisten Menschen glauben, man müsse schuften bis zum Umfallen, widersetzen sich hedonistische Individualisten wie Horst Köhler, Roland Koch und Ole von Beust dem Leistungszwang. »Die Linke« wirbt mit dem reaktionären Slogan »Gute Arbeit – Gute Rente«. Doch auch ein Mensch, der nichts Bemerkenswertes geleistet hat, hat das Recht auf Wohlstand im Alter. Andere Politiker zeigen uns, dass die Parole »Wir zahlen nicht für eure Krise« keine leere Floskel sein muss. »Minister boykottieren Sparpaket«, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Vorbei sind die Zeiten, da Kanzler Gerhard Schröder nur »Basta« sagen musste und alle gespurt haben. Listig haben die Minister dem Sparpaket zugestimmt, während sie insgeheim eine Kampagne des zivilen Ungehorsams vorbereiteten. Taktische Zurückhaltung, um den Feind in Sicherheit zu wiegen, dann ein entschlossener Vorstoß im richtigen Moment – ein solcher Sinn für Strategie ist es, der den Linken fehlt.
An der Spitze der Rebellen steht Rainer Brüderle (FDP), der meist als Wirtschaftsminister bezeichnet wird. Doch immer wenn eine wichtige ökonomische Entscheidung getroffen wird, fragt man: Wo ist eigentlich Rainer Brüderle? Zumindest müsste man es fragen, wenn man davon ausginge, dass ein Wirtschaftsminister für die Wirtschaftspolitik zuständig ist. Das aber war in der Bundesrepublik selten der Fall. Erinnern Sie sich noch an Rainer Bangemann? Das war der FDP-Wirtschaftsminister in den Jahren 1980 bis 1984, über den im Bundestag der Witz kursierte, er sei gegen eine Erhöhung der Diäten, weil er denke, er bekäme dann weniger zu essen. Das war nicht ganz fair, denn Bangemann ist zwar ein »Freund exquisiter Kost«, aber auch ein »Literaturliebhaber, der sich schon zu offiziell aktiven Zeiten in Sitzungen mehr auf den mitgebrachten Roman als die ausliegende Tagesordnung konzentrierte«, berichtet das Manager-Magazin. Brüderle folgt der hedonistischen Tradition der Ära Kohl. Er war der erste, dem die Georg-Scheu-Plakette, benannt nach dem Entdecker der Blattrollkrankheit bei Weinreben, verliehen wurde, weil er sich um den Wein und die Weinkultur Rheinhessens verdient gemacht hat. »Wer nichts trinkt, ist verdächtig«, sagt Brüderle. Während »Die Linke« vom Klassenkampf nichts mehr wissen will, fordert eine von Brüderles Ministerium herausgegebene Broschüre die Lohnabhängigen auf, sich über ihre Lage klar zu werden: »Diskutiert in der Klasse, was typisch für eine Unternehmerin oder einen Unternehmer ist.« Brüderle ist ein Repräsentant des Hedonismus, der Aufklärung und der Rebellion. Nicht zuletzt seinem Wirken ist es zu verdanken, dass diese Regierung der Verwirklichung der Forderung »Keine Macht für niemand« näher gekommen ist, als es die Linke jemals geschafft hat.