Das Urteil gegen einen Ex-Bankmanager der IKB

Wenn Charaktermasken staunen

Bei der Verurteilung von Stefan Ortseifen, dem früheren Vorsitzenden der Mittelstandsbank IKB, ging es nicht um eine juristische Aufarbeitung der Finanzkrise.

Eine einzige Pressemitteilung war die Grundlage für den Prozess am Düsseldorfer Landgericht. Am 20. Juli 2007 hatte die Mittelstandsbank IKB bekannt gegeben, dass die Krise am US-amerika­nischen Hypothekenmarkt »praktisch keine Auswirkung« auf die IKB habe. Die Mittelstandsbank sei »lediglich mit einem einstelligen Millionenbetrag« an kritisch eingestuften Subprime-Papieren beteiligt gewesen. Fast genau drei Jahre nach dieser Erklärung wurde der ehemalige Vorstandsvorsitzende der IKB, Stefan Ortseifen, wegen Börsenkursmanipulation verurteilt. Das Gericht verhängte gegen den früheren Bankmanager eine zehnmonatige Haftstrafe auf Bewährung und eine Geldstrafe von 100 000 Euro, die an wohltätige Institutionen gezahlt werden soll.
Allerdings wurde Ortseifen nicht dafür belangt, dass die Bank unter seiner Führung praktisch Pleite ging und vom Staat gerettet werden musste. Strafrechtlich relevant war nur, dass er die Lage gegenüber Investoren in eben jener Pressemitteilung beschönigt habe. Ganz explizit wollte die Vorsitzende Richterin Brigitte Koppenhöfer dieses Urteil nicht als Teil einer Aufarbeitung der Finanzkrise verstanden wissen. Die Berichterstattung der Medien hatte einen anderen Eindruck erweckt. Am Mittwoch voriger Woche betonte Peter Schütz, Pressesprecher des Düsseldorfer Landgerichts, unmittelbar nach der Urteilsverkündung im Gespräch mit dem WDR noch einmal, was der Gegenstand des Verfahrens war: »Die Richterin hatte zu Beginn darauf hingewiesen, dass es bei diesem Prozess nicht um die Finanzmarktkrise und die Rolle von Rating-Agenturen oder Banken in diesem Zusammenhang geht. Es geht lediglich darum, ob der Angeklagte mit einer Pressemitteilung den Tatbestand der Marktpreismanipulation erfüllt hatte.«
Die IKB hatte vor allem über diverse zweckgebundene Tochtergesellschaften Pakete mit US-amerikanischen Immobilienkrediten aus dem Subprime-Segment in Höhe von 13,9 Milliarden Euro aufgehäuft, deren Wertlosigkeit – das sah das Gericht als erwiesen an – zu diesem Zeitpunkt bereits von dem IKB-Vorstand erkannt worden war. Kurze Zeit später stand die Bank vor dem Aus. Die IKB war die erste Bank, für die der Bund über die staatliche Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen zehn Milliarden Euro schweren Rettungsschirm bereitstellen musste, der schließlich einen Verkauf an den Finanzinvestor Lone Star ermöglichte. Die Rettung der IKB gilt als Präzedenzfall für die späteren Rettungen anderer Banken, wie etwa der Hypo Real Estate. Ortseifen selbst hatte nach Zeugenaussagen seinerzeit darauf bestanden, die Gefahren in der Pressemitteilung zu erwähnen, aber die Anleger durch die Formulierung, die Bank sei von den Turbulenzen »in keinerlei Hinsicht betroffen«, zu beruhigen. Damit habe der Vorstandschef vorsätzlich irreführende Angaben gemacht. »Da der An­geklagte sich nicht vom Markt treiben lassen wollte, entschied er sich für eine beruhigende Pressemitteilung«, sagte die Vorsitzende Richterin.

Bei Anlegern wie bei Analysten sei so der Eindruck entstanden, dass die Subprime-Krise schadlos an der IKB vorbeigegangen sei. Das habe wie eine Entwarnung gewirkt und den Aktienkurs sogar steigen lassen. Obwohl Ortseifens Verteidiger Reinhard Freiherr von Dalwigk ankündigte, Revision einzulegen, und das Urteil als »krasses Fehlurteil« einstufte, ist dieses angesichts des Betrugsvorwurfs immerhin recht milde ausgefallen. Weder die Bewährungsstrafe noch die zu zahlenden 100 000 Euro – für den Angeklagten nicht mehr als Peanuts – dürften für Ortseifen wie eine empfindliche Strafe wirken.
Das Urteil weist Analogien zu dem nur zwei Tage später getroffenen Vergleich zwischen der amerikanischen Börsenaufsicht SEC und der Investmentbank Goldman Sachs in den USA auf. Zwar liegt die Strafe dort mit 550 Millionen US-Dollar weit über der symbolischen Summe, die Ortseifen für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen muss, doch wurde ebenfalls fest­gestellt, dass nicht etwa die Geschäftspraktiken, sondern lediglich die »Täuschung der Anleger« die Verfahrensgrundlage für den Betrugsvorwurf darstellte. Die Sozialisierung der Verluste durch Einspringen des Staats ist somit, infolge des Düsseldorfer Gerichtsurteils wie auch der Einigung auf einem Vergleich in den USA, im Prinzip gedeckt.

Besser stellt sich nun die Situation für die Anleger dar. Im Fall der IKB sind derzeit noch rund 140 Schadenersatzklagen von IKB-Aktionären anhängig. Für sie könnte die Verurteilung des früheren Vorstandsvorsitzenden eine Verbesserung ihrer rechtlichen Situation bedeuten, denn bisher hatten die Düsseldorfer Zivilrichter in den Verfahren stets den Vorwurf der bewussten Täuschung durch Fehlinformationen zurückgewiesen. Das dürfte sich nun nicht mehr halten lassen. »Das Urteil gibt Privatanlegern gute Argumente in die Hand«, ließ die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) verlauten. »Zumindest für Anleger, die nach der Pressemitteilung am 20. Juli 2007 IKB-Aktien gekauft haben, haben sich die Aussichten deutlich verbessert«, kommentierte der Münchener Kapitalmarktrechtler Klaus Rotter das Urteil. Auch dass immerhin 250 Millionen US-Dollar aus der Strafsumme des SEC-Goldman Sachs-Vergleichs nun direkt an die Anleger gehen sollen, ist angesichts der sehr deutlichen juristischen Analogie ein hilfreiches Argument für die Aktionäre. Dies scheint so auch in dem Verfahren intendiert worden zu sein. Staatsanwalt Nils Bußee, dessen Antrag das Gericht vollständig folgte, hatte bereits zuvor betont, dass IKB-Anleger, die durch Ortseifen »um ihr Geld gebracht« worden seien, jetzt Gewissheit in Hinblick auf ihre Forderungen und eine »gewisse Genugtuung« durch die Verurteilung erhalten sollten. Wegen der Untätigkeit der Finanzaufsicht Bafin könnten nun auch auf den Staat neue Zahlungsforderungen zukommen.
Enttäuschung über das Urteil zeigten vor allem Vertreter der Linkspartei. Ihr Vorstandsmitglied Ulrich Maurer wertete es als »zu milde« und forderte eine »Wahrheitskommission« zur Aufarbeitung der Finanzkrise. Es sei nicht länger hinnehmbar, »dass die dubiosen Hintergründe der staatlichen Rettungsaktionen bis heute nicht aufgeklärt« seien. Angesichts der Zustimmung der Bundestagsfraktion der Linkspartei zu den Rettungsaktionen erscheint das ein wenig merkwürdig, doch Maurer sieht die Krise vor allem als Werk »krimineller Banker und Manager«. Demgegenüber sind die Richter des Düsseldorfer Landgerichts und die Redaktion der Welt, die das Urteil und das Zustandekommen des Vergleichs in den USA als »Ende des Feldzuges« bejubelte, einen Schritt weiter. Für sie sind Banker wie Ortseifen, der sich im Prozess auch selbst so darstellte, Ahnungslose. Marx würde sie als »Charaktermasken« einer Dynamik bezeichnen, von der sie selbst nichts verstehen, deren Folgen sie bestaunen wie Kinder und auf die ihnen keine andere Reaktion als die der Verzögerung einfällt – manchmal eben auch mit betrügerischen Mitteln. Immerhin all das hat das Gericht nun festgestellt.