Die Polizei darf bei friedlichen Demos nicht mehr filmen

Kein Foto von der Kuscheldemo

Das Berliner Verwaltungsgericht hat der Polizei das Filmen bei friedlichen Protestveranstaltungen untersagt. Für linke Demonstrationen dürfte das Gerichtsurteil folgenlos bleiben.

Die Anti-AKW-Demonstration, die im September vorigen Jahres in Berlin stattfand, wurde von der Polizei gefilmt. Das war rechtswidrig, entschied am 26. Juli in erster Instanz das Verwaltungsgericht (VG) Berlin. Gegen die Kameraüberwachung der 50 000 friedlich Demonstrierenden unter dem Motto »Mal richtig abschalten« hatte unter anderem die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg geklagt. In der Urteilsbegründung wertete das Berliner Gericht die polizeiliche Kamera-Überwachung als Einschränkung der Versammlungsfreiheit. »Wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit rechnen muss, dass seine Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer Teilnahme abschrecken.« Durch diese Form der Einschüchterung könne mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden, führte das Gericht weiter aus. Die Berliner Polizei hatte die Versammlung durch einen der Demonstration vorausfahrenden Übertragungswagen permanent gefilmt.

In dem Verfahren argumentierte die Polizeibehörde, dass die Aufnahmen nach dem »Kamera-Monitor-Prinzip« ohne Speicherung erfolgt seien und lediglich der Verkehrslenkung und Leitung des Einsatzes gedient hätten. Diese Argumentation ließ das Gericht nicht gelten und erteilte der Polizei Nachhilfe über informationelle Selbstbestimmung. In ihrem Beschluss erklärten die Richter, dass es angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten keinen Unterschied mehr zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen gebe. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, denn das VG Berlin hat die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht zugelassen. Während Polizeisprecher Thomas Goldack gegenüber der Deutschen Presseagentur versicherte, man werde das Urteil selbstverständlich respektieren, kündigte Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch den Gang in die nächste Instanz an.
Der Beschluss des VG Berlins knüpft an versammlungsfreundliche Entscheidungen anderer Gerichte in jüngerer Zeit an. Das VG Münster hatte im August 2009 bereits das Filmen einer friedlichen Versammlung von 70 Personen für rechtswidrig erklärt. Im Februar 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht Teile des neuen Bayerischen Versammlungsgesetzes auch wegen gravierender Bedenken gegen die vorgesehene Legalisierung einer umfassenden Videobeobachtung von Versammlungen außer Kraft gesetzt. Allerdings hatte das höchste Gericht bei seiner einstweiligen Anordnung zu verstehen gegeben, dass eine Video­beobachtung zur Lenkung von großen und unübersichtlichen Versammlung grundsätzlich möglich sei. Seit der Föderalismusreform von 2006 gehört das Versammlungsgesetz zu den Kompetenzen der Bundesländer, es ist davon auszugehen, dass auf der Länderebene nun die entsprechenden Regelungen getroffen werden.
Für linke Demonstrationen dürfte diese juristische Debatte vergleichsweise folgenlos bleiben. Alle richterlichen Entscheidungen betonen, dass die Einschränkungen polizeilicher Filmaufnahmen für friedliche Versammlungen gelten. Andernfalls bleibt Paragraph 12 a des Versammlungsgesetzes einschlägig, der das Filmen von potentiell unfriedlichen Versammlungen regelt. Sofern eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, darf die Polizei filmen. Im Rahmen ihrer Gefahrenprognose behauptet sie regelmäßig eben jene unmittelbaren Gefahren, mit denen sie sich zugleich die eigene Rechtsgrundlage für das systematische Filmen von politisch unliebsamen Veranstaltungen schafft. Erfahrungsgemäß tendiert die Beschwerdemacht der Veranstalter solcher Versammlungen gegenüber der Polizei gegen Null. Es bleibt der mühsame Weg von Fortsetzungsfeststellungsklagen vor den Gerichten, der häufig jahrelang dauert. In dieser Zeitspanne dürften möglicherweise rechtswidrige Filmaufnahmen längst ausgewertet sein.