Der Verfassungsschutz will sein Image verbessern

»Subversive Verunsicherung«

Immer nur schnüffeln und spionieren? Der Verfassungsschutz kann auch anders: Mittlerweile hat er sich als Agentur zur Meinungsbildung etabliert.

Wegen einer Reihe von Skandalen, wie etwa der sogenannten V-Mann-Affäre, ist es um den Ruf des Verfassungsschutzes (VS) nicht gut bestellt. Auch die Überwachung der Linkspartei brachte den Inlandsnachrichtendienst kürzlich wieder in die Diskussion. Dabei würde sich der VS lieber als effektive, unternehmerischen Grundsätzen verpflichtete Dienstleistungsbehörde präsentieren. Deshalb beauftragten die Verantwortlichen in der Vergangenheit bereits eine Werbeagentur damit, das schlechte Image zu verbessern.
Auch einige höhere Dienstränge aus verschiedenen Verfassungsschutzämtern sowie ein sympathisierender Journalist haben sich daran gemacht, etwas für den Ruf des VS zu tun, und haben nun ein Buch mit dem Titel »Offener Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention als Instrumente des Verfassungsschutzes« veröffentlicht.

Zwar wird das »Kerngeschäft« des VS in dem Band nach wie vor als »Trias aus Beschaffung, Auswertung und Weitergabe von Informationenüber Feinde der Demokratie« definiert, doch soll die Behörde zugleich auch als bildungspolitischer »Wissensvermittler« auftreten, wie Armin Pfahl-Traughber schreibt, Verfassungsschutzausbilder an der Fachhochschule des Bundes in Brühl und Mitherausgeber des Buches.
Bereits in den neunziger Jahren stellten die Ämter Sozialwissenschafter ein, um »mit dem analytischen Anspruch aus der Wissenschaft mithalten« zu können. Mit ihrem Auftrag zur Meinungsbildung sind diese Mitarbeiter nicht in das nachrichtendienstliche Geschäft involviert, sondern betätigen sich beispielsweise in den gegen neonazistische Bestrebungen aufgestellten Ini­tiativen. Gegebenenfalls halten sie dort aber auch unerwünschte Partner wie Antifagruppen fern.
Wo der VS nämlich ebenfalls meinungsbildend eingreifen soll, teilte die Bundesregierung kürzlich in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD zum Bundesprogramm gegen den »Linksextremismus« mit: Bei Themen wie Hartz IV, der Weltwirtschaftskrise, Umweltzerstörung und anderen gelinge es »Linksextremisten«, sich »zum Teil im Mainstream des gesellschaftlichen Diskurses« zu bewegen. Deshalb gelte es, »geeignete Ansätze für die präventive Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Linksextremismus zu entwickeln und diese modellhaft zu erproben«. Jugendliche, Eltern und Erzieher sollten befähigt werden zu erkennen, »ob und inwieweit die Themen für extremistische Gesellschaftsmodelle instrumentalisiert werden«.
Das Geld aus dem Bundesprogramm, das für die »empirische Linksextremismusforschung« vorgesehen ist, wird auch für Veranstaltungen verwendet: Peter Imbusch vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und Roland Roth von der FH Magdeburg leiten im September in Weimar erstmals eine Lehrerfortbildung in der – ebenfalls von den staatlichen Mitteln zur Linksextremismusbekämpfung profitierenden – Europäischen Jugendbildungsstätte zum Thema »Phantomschmerz Linksextremismus? – eine Bestandsaufnahme«. Erwartet werden Erkenntnisse über die Persönlichkeitsprofile »linksextremistischer Täter«, die »regionale Verteilung der Straftaten« und Prognosen über »neue gesellschaftliche Resonanzböden für linksextreme Einstellungen«.
Die Grundüberlegungen der akademischen Staatsschützer zum Extremismus erinnern zuweilen an Sichtweisen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die oppositionelles Verhalten hauptsächlich nach völkisch-biologistischen Kriterien beurteilten. Für den ehemaligen Verfassungsschützer Rüdiger Schilling, der nun für die Kriminalpräven­tion in Pforzheim zuständig ist, drohen sich extremistische »Entzündungsherde« in der Bevölkerung auszubreiten. Da die Gesellschaft in Teilen »kränkelt«, sei ein »Polizieren« erforderlich, diagnostiziert er in seinem Beitrag über die »Möglichkeiten einer modernen Extremismusprävention« in dem oben erwähnten Buch.

Mit dieser präventiven Arbeit soll der VS vor allem Prozesse der Meinungsbildung beeinflussen. Die ersten Adressaten der »diskursiven Form des Demokratieschutzes« sind Pfahl-Traughber zufolge Wissenschaftler und Journalisten, die an »Hintergrundgesprächen« teilnehmen dürfen. Mit solch gezielter Presse- und Informationsarbeit könne ein »sprechendes Vokabular« in Umlauf gebracht werden, das »zunehmend aufgegriffen« werde.
Stephan Walter, Leiter der Extremismus-Informations-Stelle des niedersächsischen VS, konnte bereits konstatieren, dass die Behörde sich »in der politischen Bildung einen gesicherten Platz erobert« habe. Die niedersächsische Regierung ließ Ende 2004 kurzerhand die Landeszentrale für politische Bildung schließen. Deren Aufgaben wurden dem VS übertragen. Die Pädagogik der Verfassungsschützer wird entweder in Zusammenarbeit mit anderen Trägern oder in eigenen Seminaren und Workshops angewendet. Der VS bildet nach dem »Top-Down-Prinzip« bevorzugt Multiplikatoren wie Schulräte und -leiter, Lehrer und Referendare fort. Solche Fortbildungsmaßnahmen finden in Nordrhein-Westfalen beispielsweise im Landesinstitut für Schule in Soest statt.
So sollen vor allem die als besonders gefährdet geltenden Schüler erreicht werden. An diese Zielgruppe richten sich gruppendynamische Planspiele, Aussteigerprogramme und Kongresse, auf denen halbwegs Prominente als vermeintliche Sympathieträger auftreten. Eine von »Demokratie-Lotsen« praktizierte »Inspector-Columbo-Pädagogik« oder auch die »Bildungscomics« der »Andi«-Serie (siehe Jungle World 3/10) sollten zu einer »subersiven Verunsicherung« jugendlicher »Extremisten« beitragen, hofft Thomas Grumke vom nordrhein-westfälischen VS in dem erwähnten Sammelband.

Über ihr Selbstverständnis sind die Ämter derweil uneins. In Niedersachsen möchte sich der VS nicht mehr als Geheimdienst verstanden wissen, da er, wie der leitende Mitarbeiter Stephan Walter angibt, »gezielte Presse-, Informations- und Präventionsarbeit betreibt«. Konservativer ist da das Bundesamt, das sich weiter als »nationaler Inlandsgeheimdienst« bezeichnet. Doch mit den Bildungsangeboten für Multiplikatoren im »päd­agogisch-präventiven Bereich« ist der Staatsschutz tatsächlich zu einer Agentur der Meinungsbildung geworden – eine bislangeinzigartige Ausdehnung geheimdienstlicher Befugnisse. Winfriede Schreiber, Verfassungsschutzleiterin in Brandenburg, stellt sich »nicht die Frage, ob wir diese Aufgaben haben, sondern nur die, wie wir diese Aufgaben immer wirksamer erfüllen«.
Ihren bildungspolitischen Auftrag begründen die Ämter auch mit einem älteren Beschluss: mit dem Konzept des »Verfassungsschutzes durch Aufklärung«, das die Innenministerkonferenz 1974 vorlegte. Seitdem ist das Dokument allerdings nicht zugänglich, sondern Verschlusssache. Alle Offenheit muss eben dort ihre »Grenzen finden, wo die nachrichtendienstliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne gefährdet wäre«, schreibt Pfahl-Traughber.