Über das Fantasy-Filmfest

Erst Quälen, dann Erzählen

Das Fantasy Filmfest hat begonnen: Torture Porn ist auch nicht mehr der letzte Schrei.

Kurz bevor das 24. Fantasy Filmfest im Berliner Cinemaxx mit dem Eröffnungsfilm »The Pack« begann, verlas die Festivalorganisatorin Frederike Dellert eine Mail des Regisseurs Frank Richard, der zur Aufführung nicht hatte kommen können. Er ließ ausrichten, er habe sich mit seinem Film von den Torture-Porn-Plots der jüngeren Zeit, bei denen sich die französische Produktionen besonders hervorgetan hatten, wegbewegen und stattdessen wieder klassischere Horrorgeschichten erzählen wollen.
Dieses Vorhaben ist ihm aber nur teilweise geglückt.
»The Pack« kombiniert zwei konventionellere Formen der Horrorerzählung. Der erste Teil des Films besteht aus einer relativ gewöhnlichen Entführungsgeschichte, wie man sie aus vielen Outback-Schockern kennt. Der zweite Teil ist ein nicht immer ganz logischer, aber hübsch de­signter Menschenfresser-Monster-Horror. Dennoch: Der Anspruch des Regisseurs, die Grenzen des Genre neu auszuloten sowie alternative, angsteinflößende Erzählpfade zu beschreiten, entspricht einem auf dem Festival zu beobachtenden Trend.
Einen allgemeinen Filmtrend aus einem Festival ablesen zu wollen, ist nicht unproblematisch. Zu viele Faktoren beeinflussen das Programm: Die Vorlieben der Organisatoren spielen eine Rolle und die Verfügbarkeit der Filme für das Festival. Insbesondere das Fantasy Filmfest, das in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, Hannover, München, Stuttgart und Nürnberg stattfindet, repräsentiert keineswegs das gesamte Genre, sondern füllt seit jeher die Lücken zwischen Kunstkino- und Schocker-, Mainstream- und Independent-Ästhetik. Hier werden Genrefilme, die zwei Monate später schon in den Multiplexen laufen werden, neben solchen gezeigt, die man weder im Kino noch im illegalen Downloadbereich des Internet je finden wird.
Dennoch lassen sich immer wieder übergreifende Tendenzen erkennen. Vor ein paar Jahren war der asiatische Horrorfilm aus Japan und Südkorea auf dem Festival wie auch auf dem Filmmarkt sehr stark vertreten. Die vergangenen drei, vier Jahren waren vom sogenannten Torture Porn der französischen Regisseure bestimmt. Filme wie »Frontier(s)« und »Martyrs« blieben in quälender Erinnerung. Dieses Jahr sind es erneut die am Fresh-Blood-Award teilnehmenden Filme, die besonders bemerkenswert sind. An diesem seit fünf Jahren ausgeschriebenen, einzigen Preis des Publikumsfestivals können nur Filmemacher teilnehmen, die ihren bis dato maximal zweiten Film ins Rennen schicken. Grund genug also, sich genauer anzuschauen, was es mit diesem »frischen Blut« auf sich hat.
Dieses Jahr dominierten Filme aus Großbritannien die Nachwuchs-Festivalreihe. Dennoch haben sie mehr als das Produktionsland gemeinsam: Fast alle Filme der Reihe verwenden das Genre nicht als Schablone, sondern als Ausgangspunkt, um die weitreichenden Grenzen der erzählerischen Möglichkeiten auszu­loten und alte Fragen neu zu formulieren.
So verschränkt Sean Byrnes in »The Loved Ones« die Teenage-Angst-Movies eines John Hughes mit Highschool-Splatter. Humor, Angst und der Wunsch, hinzuschauen, wenn irgendwo gerade mal wieder ein Fuß an den Boden genagelt wird, vertragen sich überraschend gut. Tom Harpers’ »The Scouting Book For Boys« ist zwar wesentlich zurückhaltender, aber wenn der junge David (Steven Mackintosh) erfahren muss, dass man die Liebe nicht erzwingen kann, auch nicht, indem man der Geliebten die Beine bricht, ist das so brutal, wie nur das echte Leben oder ein wirklich böser Horrorfilm sein können. Beide Filme beweisen, dass sich Tiefgang und Leichtigkeit, Brutalität und Schönheit nicht ausschließen müssen, Angst und Lachen sowieso nicht.
Andere Filme aus der Reihe Fresh Blood wenden sich allgemeineren gesellschaftlichen Themen zu. Michael Caine, der Harry Brown im gleichnamigen Film von Daniel Barber spielt, geht in einem Viertel in Großbritannien auf die Jagd nach Gang-Jugendlichen. Barber dreht Klischees von Opfern und Tätern, Gut und Böse, Richtig und Falsch, Recht und Unrecht glücklicherweise so oft durch die Mangel, wie es sich für einen Thriller mit sozialer Thematik gehört.
Ähnlich verfährt J Blakeson, der in »The Disappearance of Alice Creed« ein spannendes Kammerspiel mit lediglich drei Schauspielern inszeniert. Erzählt wird die Entführung der Millionenerbin Alice. Der Film ist nicht nur ein Musterbeispiel für konzentrierte Suspense, er dreht und wendet Opfer- und Täterperspektiven dabei auch noch mit einer erstaunlichen Leichtigkeit hin und her.
Antworten verweigert glücklicherweise auch der Film »Four Lions«. Es geht um vier Muslime, die unbedingt ein Attentat begehen möchten. Ihre westliche Sozialisierung, ihre Lässigkeit und Trotteligkeit stehen ihnen dabei aber arg im Wege. Die britische Komödie war der heimliche Liebling des Festivals, wenn man den Gesprächen vor den Kinosälen Glauben schenken mag. »Four Lions« ist aber auch derjenige Film innerhalb der Reihe Fresh Blood, der am wenigsten in die Genrekategorien passt, obwohl man ihn sich auf der anderen Seite in kaum einem anderen Festivalprogramm vorstellen kann. Vielleicht veranschaulicht er nicht zuletzt deswegen den Spagat, den das Festival meistert, ganz gut. Aber wenn es denn schon ein Trend sein soll, dann dieser: Jede Bewegung hat ihre Gegenbewegung, das gilt auch für das diesjährige Fantasy Filmfest. Nach Quälen kommt offenbar Erzählen. Nur der liegt falsch, der denkt, das eine müsse zwangsläufig brutaler als das andere sein.