Margareta Matache im Gespräch über die Reaktionen von Politik und Medien in Rumänien

»Sie sollen ihr Recht verkaufen«

Margareta Matache ist Direktorin der NGO Roma Center for Social Intervention and Studies (Romani CRISS), die sich für die Rechte der Roma in Rumänien einsetzt. Die Organisation nahm die aus Frankreich ausgewiesenen Roma am Flughafen in Bukarest in Empfang.

Sie haben die Menschen getroffen, die aus Frankreich nach Rumänien deportiert worden sind. Die französischen Behörden behaupten, die Roma seien freiwillig nach Rumänien gegangen worden. Stimmt das?
Das stimmt teilweise, vor einigen Jahren hat Frankreich ein sogenanntes freiwilliges Rückkehrprogramm ins Leben gerufen, das jenen, die ­zurückkehren wollen, humanitäre Hilfe bieten soll. Tatsächlich ist die Situation dieser Leute sehr hart. Wir waren am Bukarester Flughafen an Ort und Stelle, als die Maschinen mit den Menschen ankamen, so konnten wir uns von deren Situation einen Eindruck verschaffen. Viele haben erzählt, dass die französischen Behörden und auch die rumänischen Polizisten, die in Frankreich der französischen Polizei aushalfen, sie überredet haben, jetzt zurückzukehren – mit dem Argument, dass ihre Ansiedlungen ohnehin bald zerstört und sie ausgewiesen würden, und es nun mal besser für sie sei, wenn sie jetzt diese 300 Euro nähmen und freiwillig gingen. Man drohte ihnen auch, in einigen Monaten müssten sie ihre Fingerabdrücke abgeben. Wir haben auch Leute getroffen, die wirklich zurückkehren wollten, aber im Großen und Ganzen dient dieses angeblich humanitäre Rückkehrprogramm dazu, die Leute abzuschieben, es dient dazu, den Menschen ihr Recht auf Freizügigkeit für 300 Euro abzukaufen.
Es hieß, die Abgeschobenen hätten sich nur kurz in Frankreich aufgehalten.
Es gab unter den Rückkehrern Leute, die nur für einige Zeit zum Arbeiten oder Betteln in Frankreich waren. Aber einige der Ausgewiesenen haben jahrelang in Frankreich gelebt. Am Flughafen haben wir Menschen getroffen, deren Kinder in Frankreich in die Schule oder in Kindergärten gingen und fließend französisch sprachen.
Werden die Menschen, die jetzt zurückgeführt wurden, nach Frankreich zurückkehren?
Einige der Leute sagten uns, dass sie nur kurzzeitig in Rumänien bleiben und bald nach Frankreich zurückgehen werden. Die Menschen aber, deren Ansiedlungen zerstört wurden, sagen, dass die Situation in Frankreich immer schlimmer werde, dass sie von den Behörden informiert worden seien, dass Sarkozy es nicht erlauben würde, dass sie sich dort wieder ansiedeln. Wir haben auch Familien getroffen, die jetzt in die ärmsten Regionen Rumäniens zurückkehren müssen, sie haben dort keine Behausung, ihre Kinder haben keinen Platz an der Schule und sprechen Französisch, und die Familien bekommen keine Hilfe von den rumänischen Behörden.
Wenn man sich die Situation in den Roma-Ansiedlungen in Frankreich ansieht, mag man sich kaum vorstellen, dass die Lebenssituation dort besser ist als in Rumänien – warum gehen Roma aus Rumänien nach Frankreich?
Einige der Roma, die Rumänien verlassen haben, haben hier wirklich auf der Müllkippe gelebt, in Rumänien haben viele keine Behausung, und wenn sie eine haben, ihnen aber die nötigen Dokumente fehlen, werden ihre Hütten abgerissen, und die Menschen sitzen dann auf der Straße. Manche Leute haben eine bescheidene Unterkunft, aber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, und das ist auch ein Grund, das Land zu verlassen. Und manche erhoffen sich schlicht, dass es woanders besser ist. Das gilt aber nicht nur für die Roma, sondern auch für andere Menschen aus Rumänien, die emigrieren. Es gibt Push- und Pull-Faktoren, der Pull-Faktor ist die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem der westlichen EU-Länder, die Push-Faktoren sind vor allem Diskriminierung und Armut.
Rund die Hälfte der Franzosen stimmt der Politik Sarkozys zu und damit auch der Diskriminierung der Roma. Ist die Diskriminierung in Rumänien noch stärker?
Sie ist in Rumänien noch immer da, auch wenn das Engagment einger NGO dazu geführt hat, dass die Diskriminierung durch die Behörden abgenommen hat. Aber viele Politiker und auch der Präsident haben sich öffentlich mit Äußerungen gegen Roma hervorgetan, es gibt Diskriminierung im öffentlichen Diskurs und auch auf lokaler Ebene, durch Aktionen von lokalen Behörden oder einfach von Leuten in der Gegend. Es gibt Studien von 2009, die zeigen, dass rund 70 Prozent der Rumänen denken, dass Roma Kriminelle seien. Wenn die Leute dich auf der Straße für kriminell halten, wenn dich potentielle Arbeitgeber für kriminell halten, wenn man in der Schule von den anderen Schülern separiert und vom Lehrer als stinkender Zigeuner bezeichnet wird, dann hat man keine Chance, ein normaler Bürger mit Würde und vollen Rechten zu werden.
Wie reagiert die rumänische Regierung auf die Ausweisung von rumänischen Roma aus Frankreich?
Die rumänische Regierung tut bislang das, was Frankreich sagt. Wenn Menschen illegal aus Frankreich ausgewiesen werden, die die rumänische Staatsangehörigkeit haben, und die rumänische Regierung tut dagegen nichts, dann zeigt dies, dass Rumänien von Frankreich nicht als gleichberechtigtes EU-Mitglied angesehen wird. Am 6. September wird es in Paris eine Konferenz einiger EU-Innenminister geben, in der es um die Roma gehen wird. Rumänien ist nicht eingeladen. Auch da sieht man, wie es um die Gleichberechtigung der EU-Staaten steht.
Gibt es Chancen, rechtlich gegen die Politik der französischen Regierung vorzugehen? Immerhin scheinen die Ausweisungen den Freizügigkeitsregelungen der EU und auch dem Diskriminierungsverbot zu widersprechen.
Hier spielt zunächst die Europäische Kommission eine große Rolle, sie hat das Mandat, die Aktionen der französischen Regierung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Unsere Organi­sation versucht gerade, Informationen der Menschen zu sammeln, die aus Frankreich ausgewiesen wurden, ihre Dokumente zu sichten und anhand dessen eine Strategie zu erarbeiten, um Beschwerden bei verschiedenen Insititutionen einzureichen. Wie und wann wir versuchen, die französische Regierung für ihr Handeln zu belangen, kann ich noch nicht sagen, das braucht noch mehr Zeit. Bisher wurden die Menschen im Rahmen dieses »humanitären Rückführungsprogramms« ausgewiesen, aber sobald Frankreich anfängt, von Roma Fingerabdrücke zu nehmen, haben wir gute Chancen, rechtliche Schritte gegen die französische Regierung einzuleiten.
Wie haben die rumänischen Medien auf die Abschiebungen reagiert?
Einige der Medien haben relativ objektiv berichtet und Standpunkte von allen Seiten wiedergegeben, auch von Roma-Vertretern. Aber manche Medien haben ein sehr negatives Bild gezeichnet und die Roma beschuldigt, Rumäniens Ruf im Ausland zu gefährden. In vielen Internetforen gab es antiziganistische Hetze gegen Roma.
Auch hier denken viele, die schlechten Lebensbedingungen der Roma seien eine Folge von deren »Kultur«  – was immer das sein mag.
Es gibt nicht die eine »Roma-Kultur«, und es gibt niemanden, der in Armut leben will. Wer das glaubt, hat noch nie mit Roma gesprochen oder versucht, deren Lage zu verstehen. Aber es ist für viele Menschen eben leichter zu sagen, das sei eine Sache der »Kultur«, die Roma werden gern als »exotisch« angesehen, als »anders«. Aber wenn die Roma die selben Chancen hätten und respektiert würden, könnten viele von ihnen anders leben. Aber weder in Italien noch in Frankreich oder Rumänien werden Roma als gleichberechtigte Bürger angesehen. Viele denken, solange sich die Roma nicht anpassen und nicht aussehen wie Nicolas Sarkozy, gehören sie nicht in die Europäische Union.