Satansgrüße an die Mullahs
Metal Sanaz macht keine halben Sachen. Sie steht auf der Bühne des Aura Nightclub in Studio City, Los Angeles, und zerreißt Bilder von Ayatollah Khomeini, anschließend hebt sie beide Hände zum Satansgruß. Die Heavy-Metal-V-Jane und gebürtige Iranerin mit dem bürgerlichen Namen Sanaz Valizadeh ruft zu einer »Revolution« in ihrem Herkunftsland auf. Ihre Augen sind stark geschminkt, die langen schwarzen Haare mit der breiten blonden Strähne zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In ihren engen Latexhosen, den kniehohen Latexschnürpumps und der Lederkorsage sieht sie aus wie ein weiblicher Sidekick von Conan, dem Barbaren.
Sichtlich erregt erzählt Sanaz von der Repression gegen Metalheads im Iran. Man verfolge sie dort als Teufelsanbeter, Razzien auf Konzerten seien die Regel, und die Polizei schneide ihnen auf der Wache die Haare ab. »Metalheads aller Länder! Erhebt euch gegen die Islamische Republik Iran!« ruft sie ins Publikum. Einige Diaspora-Iraner jubeln und klatschen. Langhaarige Metaller heben als Antwort die Hände zum Satansgruß. Die übrigen Gäste, zumeist Freunde und Fans der auftretenden Bands, gucken etwas ratlos. Iran? Wo ist das noch mal?
Der Aura Nightclub ist eigentlich eine ganz normale Bar in Studio City – nicht unbedingt der Ort, an dem man den Beginn einer Revolution erwartet. Er befindet sich in einer kleinen Mall, direkt am sechsspurigen Ventura Boulevard, der sich quer von Osten nach Westen durch das San Fernando Valley zieht.
Kurz vor dem Besuch von Mahmoud Ahmadinejad in New York, wo er am 23. September an der UN-Vollversammlung teilnahm, rief Sanaz zur »Metal Revolution« auf und verfasste ein Flugblatt über die Verfolgung von Heavy-Metal-Fans in der Islamischen Republik. Über 400 Fans seien dort in den vergangenen zwei Jahren auf illegalen Konzerten verhaftet worden. Doch nicht nur die Metalheads werden dazu aufgerufen, sich gegen das Regime zu erheben: »Die Geschichte der Menschenrechtsverletzungen im Iran ist lang und blutig.« Angesichts der Repression gegen religiöse, ethnische und sexuelle Minderheiten sieht Sanaz nur eine Lösung: »Tod der Islamischen Republik!«
Ein mit roten Samtsitzen ausstaffierter Lounge-Bereich im Aura wurde dann eilig zum Hauptquartier der Metal Revolution umfunktioniert. Das Publikum besteht aus einer ungewöhnlichen Ansammlung von Verschwörern. Darunter befindet sich Dave Lombardo, der Schlagzeuger von Slayer, der gerade um dieses Ereignisses willen einen kostbaren Abend seines zweiwöchigen Urlaubs von der Slayer-Tour opfert. Er tritt hier mit seinem Nebenprojekt Philm auf. »Das ist eigentlich meine Lieblingsband«, sagt er. Slayer, das sei ein Job, aber sein Herz gehöre dieser eher unbekannten punkigen Band. Die Erfahrung des Exils verbinde ihn mit Sanaz, erzählt er dem Publikum, seine Eltern flohen aus Kuba, als er noch ein Kind war.
Neil Turbin, der ehemalige Sänger von Anthrax, ist auch da. Er tritt mit seiner Band Deathriders auf. Alle tragen extrem lange Haare und schwarze Lederbekleidung. Nur Turbin trägt dazu eine rote Sonnenbrille, die etwas fehl am Platz wirkt. Er sei heute hier, weil er gegen jede Unterdrückung sei und weil es zum Heavy Metal gehöre, jede Autorität abzulehnen, verkündet er auf der Bühne. Er macht dazu ein grimmiges Gesicht und ballt die Faust. Die anwesende Reporterin des aus US-amerikanischen Steuermitteln finanzierten persischsprachigen Senders Radio Farda, Firuzeh Khatabi, schmunzelt und hebt die Hand zum Satansgruß.
Lisa Daftari, die Nahost-Kommentatorin des konservativen Privatsenders Fox News, findet das nicht so lustig. Sie ist in den USA geboren und groß geworden. Als jüdisch-iranische US-Amerikanerin fühle sie sich dem Iran, Israel und den USA gleichermaßen verbunden, sagt sie. »Das heißt natürlich, dem Iran als Nation, nicht der Islamischen Republik«, die sie im Grunde als eine »fremde islamische Besatzungsmacht« betrachtet.
Eine ähnliche Meinung vertritt der ebenfalls anwesende Roozbeh Farahanipour, der Anführer der im Iran verbotenen nationalistischen Gruppierung Marze Por Gohar. Für ihn ist das iranische Regime eine »fremde islamisch-arabische Besatzungsmacht«, gegen die die iranische Bevölkerung notfalls auch mit Gewalt vorgehen müsse. Farahanipour ist gut befreundet mit Sanaz, die er erst im amerikanischen Exil kennengelernt hat. Seine Partei hat die heutige Veranstaltung voll unterstützt. Farahanipour hat den Iran nach der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenunruhen im Jahr 1999 verlassen. Seine Gruppe gehörte damals schon zu den kompromisslosesten Gegnern der islamischen Republik. Anders als die Islamische Studentenvereinigung forderte seine Bewegung schon damals den Umsturz des Systems. Wenig später saßen Farahanipour und die Anführer der Islamischen Studentenvereinigung im Gefängnis.
Im US-Exil schlägt er sich unter widrigen Umständen mit mehreren Jobs durchs Leben. Er hat mehrere Jobs. Er ist Manager von zwei Restaurants und Vorsitzender seiner Partei. Neuerdings hat er auch als Kandidat der Business Group einen Sitz im Gemeinderat von Westwood. »Ich sehe das als eine Art Praktikum in Demokratie. Im Iran kann man damit ja keine Erfahrung sammeln.« Neuerdings ist er jetzt auch noch im Rock’n’Roll-Business, obwohl er laute Musik eigentlich nicht mag, wie er zugibt. Farahanipour scheint wenig mit Sanaz gemein zu haben. Er wirkt gemütlich und konservativ und sieht gar nicht aus wie der Rebell, zu dem ihn das iranische System gemacht hat. Vor allem aber ist er, wie Sanaz, in der iranischen Diaspora eigentlich ein Außenseiter, der immer mit starken Vorurteilen zu kämpfen hatte. Als er in die USA kam, galt er den alten Monarchisten als Republikaner und Verräter. Dabei hatten gerade sie im Jahr 1979 ohne nennenswerte Gegenwehr das Land verlassen und die Generation von Sanaz und Farahanipour den Wirren von Revolution und Krieg überlassen. Den Salonmarxisten, wie etwa dem unter dem Pseudonym Dr. Javudi in persischsprachigen Talkshows auftretenden Funktionär der Arbeiter-Einheitspartei Irans, gilt Farahanipour wiederum als getarnter Monarchist und Vertreter der Kapitalinteressen. »Dabei muss ich mit zwei Jobs meinen Lebensunterhalt verdienen, wie ein Proletarier, während er einen BMW fährt. Nach Dr. Javudis eigener Analyse sollte es doch eigentlich andersherum sein«, beschwert sich Farahanipour mit gespielter Entrüstung.
Es dauerte einige Zeit, bis er sich seinen Platz in der iranischen Diaspora gegen alle Widerstände erkämpfte. Er habe sofort bemerkt, dass er sich mit Sanaz, deren Lebensweise bei der extrem konservativen iranischen Community von Los Angeles zunächst auf Befremden stieß, nicht nur politisch gut versteht. Inzwischen bilden die beiden eine politische und kulturelle Bewegung innerhalb der iranischen Community, die einerseits die Islamische Republik von Grund auf ablehnt und andererseits mit der politischen Apathie und Rückständigkeit der iranischen Diaspora in Los Angeles nichts mehr zu tun haben will. F. gehört auch dazu. Er ist in Los Angeles geboren und war noch nie im Iran. Er bezeichnet sich als iranischer Nationalist. »Ein Metalhead war ich schon immer«, behauptet er stolz. Er ist mit seiner Mutter gekommen, die etwas beschwipst zugibt: »Es ist mein erstes Heavy-Metal-Konzert.« Dass Sanaz Khomeini-Bilder zerreißt, gefällt ihr. Sie hasst ihn ebenso.
Nun sitzen sie alle gemeinsam im Lounge-Bereich, reden über den Iran und den Nahen Osten, interviewen sich gegenseitig und posieren vor Foto-, Film- und iPhone-Kameras. Sanaz an erster Stelle, denn niemand hier kann annähernd so posieren wie sie, auch nicht die Mitglieder der Industrial-Band Skinmask mit ihrer finsteren Gesichtsbemalung.
»Khomeini hat mir meine Kindheit zerstört«, sagt Sanaz ohne Umschweife. Sie hat gerade ein Exklusivinterview mit dem Sender Voice of America-persian Service beendet. »Und Heavy Metal hat mir das Leben gerettet. So einfach ist das.« Als Khomeini und die von ihm geführte Islamistenbewegung 1979 im Iran die Macht eroberten und begannen, Land und Staat nach ihren Vorstellungen vom »wahren Islam« zu gestalten, war Sanaz fünf Jahre alt. Im selben Jahr starb ihr Vater, ihre Mutter heiratete erneut. Dann begann der Krieg gegen den Irak, die Familie zog mehrmals um, erst in die USA, dann nach Spanien und wieder in den Iran. Sanaz wuchs zwischen irakischen Bombenangriffen und dem andauerndem Streit zwischen Mutter und Stiefvater auf. Sie brauchte einige Jahre und einen Aufenthalt in der Psychiatrie, um diese traumatische Zeit zu verarbeiten.
In den USA besuchte Sanaz erstmals ein Konzert von Black Sabbath. Es sei wie Liebe auf den ersten Blick gewesen: »Heavy-Metal-Musik drückte alles aus, was ich fühlte, Wut, Aggression, Schmerz, und verwandelte es in ein Lebensgefühl. Es war mein Lebenselixier«, sagt sie ernst. Viele ihrer Freunde im Iran, die ähnliches erlebt hätten, seien drogenabhängig.
Und jetzt will die von Khomeini geschaffene Islamische Republik den Metallern an den Kragen. Deren Feindschaft gegen die Islamische Republik ist existentiell. Sie entsteht nicht aus komplexen politischen Analysen, sondern aus Schmerz, Hass und bitteren persönlichen Erfahrungen.
Es war ihre Liebe zum Heavy Metal, die Sanaz zu einer internationalen Berühmtheit gemacht hat. Vor sechs Jahren begann sie, auf ihrer My-Space-Seite Videos von unbekannten Metal-Bands vorzustellen. Mittlerweile hat die Seite eine Million Fans. Das fiel auch einem persichsprachigen Fernsehsender auf, der Sanaz für eine Weile eine wöchentliche Sendung anbot, in der sie auch die politische Situation im Iran thematisierte. Dann kam es im Iran zu einer Massenverhaftung bei einer Metal-Party, einigen Teilnehmern wurde »Teufelsanbetung« vorgeworfen, wofür die Todesstrafe verhängt werden kann. Die Sendung wurde daraufhin eingestellt.
Sanaz’ Stil verletzt konservative wie progressive Tabus – nicht nur im Iran, sondern auf der ganzen Welt, und trifft damit genau den Geschmack der Szene. Der kleine, schüchtern wirkende junge Mann mit den blonden Haaren und dem breiten, unschuldigen Lächeln, der in der Ecke sitzt, soll ihr Freund sein. Meint zumindest ein Insider der Szene. Ach wirklich? Ob er aus Imagegründen verschwiegen wird? Der mögliche Liebhaber hält sich im Hintergrund, als wolle er nicht so recht teilhaben an den politisierten Reden und den Rockerposen.
Eigentlich sind die Stereotype über Heavy Metal recht simpel. Jungs mit langen Haaren und Lederklamotten, die eine mit ihrem sonstigen Lebenswandel verglichen erstaunliche Disziplin bei der Handhabung von Gitarre, Bass oder Schlagzeug beweisen und sich darüber hinaus noch für Mädchen und Alkohol interessieren. Aber sicher nicht für Politik. Der Schwermetaller an sich gilt als unpolitisch, manchmal sogar als auf eine sympathische Weise antipolitisch. Bei den meisten beschränkt sich die Rebellion auf die Verwüstung von Hotelzimmern oder das Zertrümmern von Musikinstrumenten auf der Bühne. Sicherlich gab es auch immer Intelligentere unter den Heavy-Metal-Musikern. Bei einigen wie Iron Maiden oder Motörhead mögen die martialischen Posen und apokalyptischen Plattencover durchaus subversiver gemeint sein, als sie bei der Mehrzahl der Fans ankommen.
Im Nahen Osten sehe die Metal-Szene völlig anders aus als in westlichen Industrieländern, meint der Nahost-Experte und Heavy-Metal-Musiker Marc LeVine in seinem Buch »Heavy Metal Islam«. Dort biete Heavy Metal eine radikale und konsequente Alternative zu den konservativen und autoritären Gesellschaftsformen. LeVine war viele Jahre in den Heavy-Metal-Szenen von Casablanca bis Teheran unterwegs und hat Freundschaften mit Musikern geschlossen. Dabei bietet sich das Bild einer musikalischen Subkultur, die durch das Internet auch gegen staatliche Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung Fuß gefasst hat. Sanaz’ Sendungen haben sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, wobei die Behauptung auf ihrer Website, sie habe mittels ihrer Internet- und-TV-Sendungen den Heavy Metal in die islamische Welt gebracht, eine Übertreibung sein dürfte.
Im Nahen Osten hat die Metal Revolution bereits begonnen. Ob die verschlafene, in der schlechten persischen Popmusik der Vergangenheit steckengebliebene iranische Diaspora-Gemeinde in Los Angeles Anschluss an die Entwicklungen im Iran findet?