Homophobie in Kuba

Schwule lieben Castro

Mariela Castro, die Tochter von Staatschef Raúl Castro, gilt als das charmante Gesicht der kubanischen Revolution. Sie kämpft seit Jahren mit beachtlichem Erfolg für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen.

»Conducta impropia« ist auf der beigefarbenen Plane über dem Eingang zur Galeria Servando zu lesen. Der Ort ist gut gewählt. Die Galerie liegt direkt neben dem nationalen Filminstitut von Havanna, dem ICAIC. Für anspruchsvolle Besucher ist damit schon mal gesorgt, denn das Institut ist unter den Intellektuellen Kubas sehr bekannt. Alejandro González war deshalb froh, seine Bilder aus einer anderen, weitgehend unbekannten kubanischen Welt hier ausstellen zu können. Seine Fotos von homo- und transsexuellen Kubanern, die allein oder zu zweit im Atelier oder in kleinen Gruppen am Stadtstrand von Havanna porträtiert wurden, sorgten für Aufsehen. »Viele Kubaner haben keine Ahnung von diesem Teil der Realität«, sagt Iván Garcia, ein unabhängiger Journalist aus Havanna. Dass sich die homosexuelle Community an einem Strandabschnitt namens Mi Cayito im Osten der kubanischen Hauptstadt trifft, sei zwar in der Szene bekannt, aber eben nicht außerhalb. Auch der Fotograf González war überrascht, als er in Kubas Welt der Homo- und Transsexuellen, der Drag Queens und Transvestiten eintauchte. Die Eintrittskarte lieferte ihm dabei die eigene Freundin, eine Ärztin vom kubanischen Institut für Sexualerziehung (Cenesex). Sie machte ihn mit einigen Persönlichkeiten der Szene bekannt. Der Rest habe sich fast von selbst ergeben, erzählt González. »Als ich mit der Kamera auf den Fiestas auftauchte, haben sich viele von allein in Pose geworfen. Auch zu den Studioaufnahmen waren viele Leute, die ich am Strand kennen gelernt habe, spontan bereit.« Ein Beleg dafür, dass sich im Umgang mit der Sichtbarkeit von Homosexualität in Kuba etwas ändert.
Daran hat die Tochter von Staatschef Raúl Castro gehörigen Anteil. Die 48jährige Direktorin des Cenesex engagiert sich seit Jahren für die Rechte der homo- und transsexuellen Minderheit auf der Insel. Mit Erfolg, denn Kuba zählt zu den wenigen Ländern, in denen Geschlechtsumwandlungen nach eingehender psychologischer Untersuchung auf Staatskosten durchgeführt werden. Bisher ist ein knappes Dutzend Fälle bekannt, bei denen das Gesundheitsministerium solche Operationen bewilligte, und auch die Errichtung eines auf die Bedürfnisse von Transsexuellen spezialisierten Gesundheitszentrums ist geplant. All dies wäre ohne das Cenesex und deren Direktorin wohl kaum zustande gekommen. Doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums wollen noch mehr erreichen. Derzeit werden dort mindestens zwei Gesetzesprojekte vorbereitet: So sollen Transgender-Personen in Kuba das Recht erhalten, ihre Geschlechtsidentität zu wechseln – auch ohne Operation. Zudem sollen gleichgeschlechtliche Partnerschaften legalisiert werden. Solche Gesetze wurden in diesem Jahr bereits in Mexiko und Argentinien verabschiedet, dort wurden in den vergangenen Monaten die ersten Homo-Ehen geschlossen. Im kommenden Jahr soll über ein entsprechendes Gesetz im kubanischen Parlament diskutiert werden – zumindest haben das die Parlamentarier angekündigt, die mit den Experten des Cenesex zusammenarbeiten. In diesem Prozess war der Einfluss der Direktorin beachtlich, denn, so ist in mehreren Interviews zu lesen, ihren Vater Raúl Castro hat sie längst auf ihre Seite gebracht. Bei der Debatte im Parlament sollte dies Wirkung zeigen.

Ihr Kampf sei durchaus erfolgreich, meint der Cabaret-Künstler Imperio. Der 36jährige tritt in privaten Clubs auf und singt vor dem vornehmlich homosexuellen Publikum melodramatische Songs. Sein langjähriger Partner und Visagist Elier ist immer dabei. Die beiden möchten gerne heiraten, aber sie sind zufrieden, wie es derzeit in Kuba für sie läuft. »Ärger mit der Polizei habe ich schon lange nicht mehr gehabt, aber ich vermeide es auch, Elier in der Öffentlichkeit zu küssen«, sagt der Mann mit dem glatt rasierten Kopf und den dicken Kreolen an den Ohren. Das ist in Kuba immer noch nicht gern gesehen, das gilt auch für aufgeklärte Studenten an der Universität. Während einer Vorführung des Films »Milk« von US-Regisseur Gus van Sant etwa gingen viele Studenten demonstrativ aus dem Hörsaal.
Sich küssende gleichgeschlechtliche Paare seien in Kuba längst noch nicht Alltag, berichtet Mariela Castro. Das soll sich ändern, wenn es nach der streitbaren Frau geht, die zwischen Havanna und dem italienischen Palermo pendelt. Den 17. Mai hat sie in Kuba als »Tag gegen die Homophobie« etabliert. Der Christopher Street Day sei ihr zu patriarchal, sprich schwul, ausgeprägt, da Lesben und Transgender-Personen dabei kaum eine Rolle spielen. In der kubanischen Community ist der Tag gut aufgenommen worden. Doch manchen Kubanern gehe das schon zu weit, merkt Ivan García an. »Bei meiner Frau, die im Telefonkonzern Etecsa arbeitet, sind viele Kollegen erstaunt, dass so viel Brimborium um die Homo- und Transsexuellen gemacht wird angesichts der allgemeinen Situation.« Die ist überaus schwierig, und die besondere Aufmerksamkeit für die Rechte einer lange vergessenen Minderheit ist schwer zu vermitteln. Aufmerksamkeit ist aber nach Ansicht Mariela Castros dringend nötig, denn während Kubas Revolution einiges für die Frauenrechte und gegen Rassismus getan habe, sei die Diskriminierung von Homosexuellen lange nicht thematisiert worden, wie sie in einem Interview mit dem schwulen Hamburger Stadtmagazin Hinnerk äußerte.
Das ist ausgesprochen diplomatisch formuliert, denn Homosexuelle wurden zu Beginn der sechziger Jahre in die berüchtigten UMAP, die militärischen Produktionseinheiten, gesteckt. Dafür hat Fidel Castro, der einst Homosexuellen die »revo­lutionäre Eignung« absprach, jüngst in einem Interview die Verantwortung übernommen. Doch warum Kubas Revolution Frauen und der farbigen Bevölkerung neue Rechte zubilligte, diese aber den sexuellen Minderheiten vorenthielt, ist eine schwer zu beantwortende Frage, gerade für einen Moralisten wie Fidel Castro.
Heutzutage arbeitet das Cenesex mit Polizisten, um Vorurteile abzubauen, das Institut engagiert sich zudem in der HIV-Prävention und bietet Künstlern wie dem Fotografen Alejandro González eine Möglichkeit, ihre Arbeit bekannt zu machen. Das macht sich bemerkbar, denn langsam wird die Gesellschaft toleranter, nimmt wahr, dass es auch etwas anderes gibt als den hetero­sexuellen Mainstream. Dass Mariela Castro international dabei zum charmanten Gesicht der in die Jahre gekommenen Revolution geworden ist, ist ein Nebeneffekt, über den die 48jährige nur schmunzeln kann. Politische Ambitionen hat sie nämlich nicht, auch wenn sie sich hin und wieder öffentlich darüber äußert, was in Kuba nicht so gut funktioniert.
Ziemlich gut läuft es hingegen für Imperio. Er kann nachts auftreten, tagsüber studieren und erhält als HIV-Positiver alle nötige medizinische Hilfe. Das sei »ein Leben, das ich so nicht überall führen könnte«, sagt der 36jährige. Dazu haben Mariela Castro und die Mitarbeiter des Cenesex einiges beigetragen.