Stephanie zu Guttenbergs Feldzug gegen pädophile Kriminalität

Verpixelte Penisse

RTL2 und Stephanie zu Guttenberg führen einen dubiosen Feldzug gegen pädophile Kriminalität.

Wer am Donnerstag voriger Woche auf die Doku »Grenzenlos geil – Deutschlands Sexsüchtigste packen aus« wartete, hatte Pech. RTL2 hatte sich nämlich völlig überraschend zum Qualitätssender entwickelt und statt lockerem Talk über Spontanficks und Dauergeilheit ein Magazin zum Thema sexuelle Belästigung von Minderjährigen, präsentiert von einer leibhaftigen Ministergattin, ins Programm genommen. Titel: »Tatort Internet«. Was man eigentlich von einer Aufklärungssendung, die sich dem Schutz vor Triebtätern im Internet widmet, erwarten würde – Interviews mit Experten, Tipps für Eltern, Ratschläge für sicheres Surfen –, hatte mit dem, was der Sender an diesem Abend präsentierte, dann aber doch nur so viel zu tun wie Stuttgarter Kastanien mit Molotowcocktails, nämlich nichts.
Schon der Vorspann ließ nichts Gutes ahnen: »Die Täter haben direkten Zugang ins Kinderzimmer« heißt es dort, anschließend wummert horrorfilmkompatible Spannungsmusik zu wimmeligen, oft verpixelten Bildern, anschließend verkündet eine Männerstimme, das Internet sei »der größte Tatort der Welt«. Aber das ist noch nicht alles: »Der Tod ist im Anmarsch«, sagt eine verzerrte Stimme, dann erklingen wieder Chöre und harte Beats, unterlegt mit Ausschnitten aus Chat-Logs.
Und dann geht sie los, die Sendung, über die bis letzten Mittwoch rein gar nichts bekannt war. RTL2 hatte bis dahin nur erklärt, dass man ein neues Reportageformat plane, das »investigativ, seriös und gesellschaftlich relevant« sein werde, und dass »hochrangige Politiker, Wissenschaftler und renommierte Experten« darin zu Wort kommen würden. Am späten Mittwochabend dann wurde das Geheimnis gelüftet, Bild meldete auf der Titelseite: »Neue TV-Reihe entlarvt die feigen Kinderschänder aus dem Internet« und brachte ein Interview mit Co-Moderatorin Stephanie zu Guttenberg.
Die in der Sendung später dann mit einer glatten Lüge eingeführt werden wird. »Im Rahmen unserer Recherchen«, heißt es dort, »sind wir auf eine Frau gestoßen, die sich schon seit mehr als sechs Jahren um das Thema kümmert – Stephanie zu Guttenberg.«
Dass man beim Recherchieren durchaus auf Experten hätte stoßen können, die sich weit länger mit dem Thema Kindesmissbrauch beschäftigen – geschenkt. Die sind halt nicht so prominent und haben vor allem nicht gerade ein Buch veröffentlicht, das es auf die Titelseiten von Bild und Stern brachte, und außerdem sind sie natürlich auch nicht mit einem Polit-Promi verheiratet.
Und vermutlich hätten sie auch nicht beim neuen Top-Format von RTL2 mitmachen wollen. Das grob darin besteht, dass sich erwachsene Frauen im Internet als Kinder ausgeben und so lange mit erwachsenen Männern sexuell anzügliche Chat-Gespräche führen, bis irgendwann ein Treffen vereinbart wird, das vom »Tatort-Inter­net«-Team plus einigen Bodyguards jäh unterbrochen wird. Eine Journalistin namens Beate Krafft-Schöning, in Emma vor Jahren als »Pornojägerin« vorgestellt, befragt die Männer dann. In schlecht gespielter Therapeutinnen-Manier konfrontiert sie sie mit Chatprotokollen und stellt Fragen wie: »Was würde Ihre Frau wohl sagen, wenn ich ihr die Chatprotokolle zeigen würde?« Es folgt die Ankündigung, die Beweise der Polizei zu übergeben – dass sie für eine Verhaftung an Ort und Stelle nicht ausreichen, muss selbst den Machern der Sendung klar sein, sie aber gleichzeitig sehr schmerzen, es hätte schließlich schick ausgesehen, wenn man das Bild/Ton-Tohubawohu noch mit Blaulichtgeblinke und Handschellen-Geklicke hätte unterlegen können.
Denn was in der Nacherzählung einigermaßen stringent klingt, ist als Beitrag in der Sendung eine nicht nur optische Katastrophe. Hektisch geschnitten und mit Gewummer unterlegt, geraten die sogenannten Fälle durch die verzerrten und außerdem noch untertitelten Stimmen der obendrein aus juristischen Gründen nur schwer verpixelt gezeigten Männer zur formvollendeten Reizüberflutung. Garniert wird das Ganze hin und wieder mit ausgesprochen ekelhaften Chat-Ausschnitten, die durchs Bild laufen. Dass die penetrant »Pädokriminelle« Genannten womöglich durch ihre überdies altersuntypisch agierenden Gegenüber dazu ermutigt wurden, zudringlich zu werden, wird natürlich nicht thematisiert.
Der zutiefst unseriöse Eindruck wird durch das Ambiente verstärkt, in dem das Tatort-Internet-Team seine Einsätze bespricht. Die Deutschland-Karte an der einen Wand, das Whiteboard mit den Notizen an der anderen, die karge, zweckmäßige Einrichtung – alles in diesem angeblichen Büro sieht so aus wie die Arbeitsräume der Kriminalpolizei in zahllosen Reality Soaps oder Krimis, bis hin zum altertümlichen Schnurtelefon, das ein wenig zu plakativ auf einem der schlichten Holzschreibtische steht.
Die Team-Besprechung, die natürlich überhaupt nicht fürs Fernsehen gestellt ist, ähnelt den legendären Werbespot-Redaktionskonferenzen, mit denen Helmut Markwort seinen Focus an die Leser zu bringen versuchte. Man spricht in plakativen Kurzsätzen, erklärt sich gegenseitig, wie wichtig das alles ist, nur dass am Ende eben niemand »Fakten! Fakten! Fakten!« sagt.
Und so ist das gesellschaftlich relevante Reportageformat auch nichts anderes als eine zumindest streckenweise kongeniale Verfilmung des Buchs von zu Guttenberg, in dem es hauptsächlich um viel Gewirbel, jede Menge Selbstdarstellung, ganz viel Betroffenheit und hin und wieder auch um Fakten geht, die allerdings in aller Regel aus obskuren Quellen stammen.
Besser moderieren als schreiben kann Stephanie zu Guttenberg übrigens nicht. Wenn sie damit fertig ist, betroffen mit großen Augen in die Kamera zu gucken, sagt sie hölzern ein paar grammatikalisch nicht immer korrekte Sätze auf, um dann in Erwartung des nächsten Beitrags wieder ganz ergriffen dreinzuschauen.
Wie wenig interessiert man bei »Tatort Internet« an denen ist, die man mit viel hysterischem Tamtam zu schützen vorgibt, zeigt übrigens der vierte sogenannte Fall der Sendung, der von dem Opfer und seiner Mutter vor der Kamera, unterbrochen durch das übliche hektische Krawallgedöns aus Chat-Fetzen und faktoiden Behauptungen, nacherzählt wird. Die damals Zwölfjährige hatte in einem Chat einen vorgeblich 16jährigen Jungen kennen gelernt. Die vermeintliche Freundschaft entwickelte sich dann jedoch zu einem Alptraum für das Kind: Nachdem es dem Drängen seines Gegenübers nachgegeben und ihm ein Foto seiner nackten Brüste geschickt hatte, erhielt es nicht nur zahlreiche Bilder seines erigierten Penis, sondern auch immer eindeutigere Aufforderungen, weitere Abbildungen in eindeutigen Posen zu senden. Als das Mädchen sich weigerte, wurde es vom Chatpartner mit der Drohung, das »Titten-Bild« an ihren Freundeskreis weiterzugeben, unter Druck gesetzt. Nachdem die Mutter die einschlägigen Penis-Bilder auf dem Handy der Tochter gefunden hatte, ging sie zur Polizei. Die rasch herausfand, dass es sich bei dem angeblichen 16jährigen um einen einschlägig vorbestraften Mittdreißiger handelte, gegen den zudem wegen weiterer Straftaten ermittelt wird.
Solche Geschichten zu erzählen und damit andere Teenies zu warnen, ist unzweifelhaft wichtig. Und so hätte dieser Fall auch dazu führen können, dass man »Tatort Internet« vielleicht doch noch als wenigstens mittelseriöse Sendung bezeichnen könnte, wenn die Macher nicht gleichzeitig demonstriert hätten, wie wenig es sie interessiert, was aus ihrer minderjährigen Protagonistin nach der Ausstrahlung wird. Das ausgiebig interviewte, mittlerweile 13 Jahre alte Mädchen war die einzige Protagonistin, die nicht unkenntlich gemacht wurde – dass keiner der selbst ernannten Experten auf die Idee kam, das Kind nur verfremdet zu zeigen, zeugt von bemerkenswerter Unkenntnis der Welt da draußen. In der es eben nicht nur Sexualstraftäter gibt, sondern auch jede Menge gleichaltriger Mobber, die alles dafür tun werden, dass die 13jährige ihren Auftritt im Fernsehen bereuen wird.