Hochtief droht die Übernahme

Der Conquistador greift an

Ein spanischer Konzern möchte Hochtief aufkaufen, das größte deutsche Bauunternehmen. Am nationalen Abwehrkampf beteiligen sich die deutsche Presse und mittlerweile auch die Bundesregierung.
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Die deutsche Bauindustrie hat es nicht leicht dieser Tage. Die Umsätze stagnieren oder gehen sogar zurück. Großprojekte wie »Stuttgart 21« oder die Elbphilharmonie in Hamburg, die den beteiligten Bauunternehmen stattliche Gewinne bringen, sind in der Bevölkerung nicht sonderlich beliebt. Nun droht dem größten deutschen Baukonzern auch noch eine Übernahme. Der spanische Konzern ACS versucht, die Hochtief AG aufzukaufen und sich damit »eine Perle des deutschen Unternehmensbestandes« (Sigmar Gabriel) einzuverleiben. Das ausländische Angebot an die Aktionäre von Hochtief gilt einem Großteil der deutschen Politiker und Kommentatoren daher auch als der Versuch einer zutiefst feindlichen Übernahme. Derzeit bemüht sich die Konzernleitung zusammen mit der Politik darum, das Unternehmen vor dem Verkauf an den wirtschaftlichen Konkurrenten aus Spanien zu bewahren.

In der Vergangenheit war es durchaus eine der dringlichsten Interessen der deutschen Wirtschaft und Politik, den freien Zugang zu Unternehmensbeteiligungen zu garantieren. 1998 wurde die heftige Reaktion der Engländer auf den Kauf der britischen Traditionsmarke Rolls-Royce durch die deutschen Kontrahenten Volkswagen und BMW noch als antideutscher Reflex aus dem Zweiten Weltkrieg und als geschmackloser Versuch gewertet, mit einer nationalen Wirtschaftspolitik die Entwicklung auf den freien Märkten behindern zu wollen. In der Vergangenheit ging es in der Regel jedoch darum, dass deutsche Unternehmen im Ausland ungehindert einkaufen konnten. Derzeit sieht die Sache dagegen ganz anders aus. Diese Umstände werden aber weder in der Politik noch in der Presse erwähnt.
Vielmehr wird die Klage über das deutsche Übernahmerecht laut: Dieses schütze deutsche Unternehmen nicht ausreichend – insbesondere wenn es sich um wirtschaftlich erfolgreiche Firmen handele. So liegt es nahe, dass Hochtief, vom deutschen Recht schmählich dem Feind ausgeliefert, nach staatlicher Unterstützung ruft. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sieht bislang jedoch keine Notwendigkeit, etwas zu unternehmen. Er hält ein Eingreifen der Politik für »ordnungspolitisch nicht angezeigt«, was der Wirtschaftspolitik der FDP entspricht. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte bislang eher Desinteresse für den Fall Hochtief.

So konnte sich zunächst ein anderer als der Retter der um die Arbeitsplätze bangenden Mitarbeiter des Unternehmens inszenieren. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel reiste eigens nach Essen zum Sitz von Hochtief und sicherte dort der versammelten Belegschaft seine Unterstützung zu: Er sei nicht nach Essen gekommen, um eine dieser typischen Politikerreden zu halten, nach denen sich alle gut fühlen und nichts passiere, sagte Gabriel. »Was hier passiert, ist volkswirtschaftlicher Unsinn«, befand er. In Deutschland bestünden Regeln, die »ein gutes Unternehmen nicht vor der Übernahme durch ein schlechtes Unternehmen« schützten. Zudem müsse der Bevölkerung klargemacht werden, dass es sich bei Hochtief nicht um einen Sanierungsfall wie Opel oder Karstadt handele. Gabriel nutzte die Gelegenheit auch zu einem Versuch, Angela Merkel in Zugzwang zu bringen: Die Kanzlerin müsse die Initiative ergreifen und ein Konsortium zusammenstellen, das sich eine Sperrminorität bei Hochtief sichere. »Das macht es sehr unattraktiv, ein solches Unternehmen zu kaufen«, befand Gabriel.
Der Fall Holzmann könnte Merkels bisherige Weigerung, sich in das Geschehen einzumischen, durchaus beeinflusst haben. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder bewahrte 1999 das hochverschuldete Bauunternehmen Holzmann vor dem Konkurs, dieses musste zwei Jahre später aber trotz der Bemühungen der damaligen Bundesregierung Insolvenz anmelden. Das Handeln der Regierung Schröder wurde anschließend in der Bevölkerung und der Presse mit Hohn und Spott bedacht. In diese Lage möchte sich Merkel sicher nicht manövrieren. Trotzdem scheint Gabriels Eingreifen Wirkung gezeigt zu haben. Und das Bild einer Kanzlerin, die eine Belegschaft von 11 000 Leuten einfach einem als feindlich dargestellten Unternehmen überlässt, hätte die Umfragewerte der Regierung wahrscheinlich nicht verbessert.
Mittlerweile hat Merkel die Angelegenheit zur Chefsache erklärt. »Hochtief ist ein wichtiges Unternehmen der deutschen Bauindustrie, wenn Sie so wollen, ein Aushängeschild deutscher Technologiekompetenz«, sagte der Regierungssprecher Steffen Seibert in der vergangenen Woche der Presse. »Schon deshalb sind die Bundesregierung und das Kanzleramt daran interessiert, dass die industriellen Strukturen von Hochtief und auch der Sitz in Essen bleiben.« Die Regierung prüft nun mögliche Gesetzesänderungen im Übernahmerecht, um »vorhandene Gesetzeslücken zu schließen«.

Der nationale Kampf um Hochtief wird auch in der Presse geführt. Der Vorstandsvorsitzende Herbert Lütkestratkötter wollte dabei in der Wirtschaftswoche Missverständnissen vorbeugen. Sein Versuch, die Übernahme des Unternehmens zu verhindern, laufe keineswegs den Geboten des freien Marktes zuwider. So sagte er: »Es wäre grotesk, wenn Hochtief von einem spanischen Konzern übernommen würde, der seine Größe unter anderem EU-Steuermitteln – auch aus Deutschland – verdankt.« Deutschland hat also das Geld nach Spanien transferiert, mit dem die undankbaren Spanier nichts Besseres anzufangen wissen, als gute deutsche Unternehmen aufzukaufen.
Der Gegner kommt in der Presse hingegen nicht gut weg. »Er ist hart, trocken, streng, beharrlich, getrieben«, beschreibt die Financial Times Deutschland den Vorstandsvorsitzenden von ACS, Florentino Pérez. Dieser gehöre zu der Sorte von Männern, mit denen Spanien dereinst Peru und Mexiko erobert habe – ein Ausbeuter vom Schlage eines Conquistadors also, wobei es dieses Mal eben nicht um die Eroberung des goldenen Inkareichs, sondern von Essen an der Ruhr geht. Im gleichen Artikel wird der Vorstandsvorsitzende von Hochtief beschrieben: Er sei »Westfale von Geburt und aus Überzeugung«. Geradlinig und stur seien sie, die Westfalen, und Lütkestratkötter sei ein Paradebeispiel dieses besonderen Menschenschlags. Als Kind habe er »beim Schweineschlachten geholfen, Wurst gemacht und Schinken in den Räucherschacht gehängt«. Ausreden habe es bei ihm zu Hause nicht gegeben, »nicht beim Schlachten und auch nicht, wenn er als zehnjähriger Steppke jede Woche Obst und Gemüse auf dem Markt verkaufen musste«. Im Fall Hochtief geht es demnach nicht nur ums Geschäft, sondern um den Kampf der deutschen Geradlinigkeit gegen die spanische Eroberungssucht.
Zusammenstehen gegen die Spanier – das scheint daher für nahezu alle Kommentatoren die Lösung des Problems zu sein. Es geht aber auch anders. Während Gabriels Besuch bei Hochtief schnappte ein Journalist die Äußerung eines Mitarbeiters auf: Ihm sei es gleichgültig, ob er nun von Deutschen oder von Spaniern entlassen werde.