Koma F für fünf Euro

Berlin Beatet Bestes. Folge 69. Deskonocidos live (2010).

Neulich war ich mit meiner Freundin auf einem Konzert von Sharon Jones & the Dap-Kings. Zu Recht hat sich die New Yorker Band mit ihrer mitreißenden, energiegeladenen Soulmusik in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Die 53jährige Sharon Jones ist eine Ausnahme­erscheinung, die sogar ihre Ansagen singt und dazu zwei Stunden lang ununterbrochen tanzt. Sie hat so viel Energie, dass ich nach dem Konzert dachte: Ich will nie wieder eine Frontperson mit weniger Energie sehen. Und auch meine Freundin und ich haben dazu herrlich getanzt.
Gestern war ich dann allein mal wieder auf einem Jungskonzert. In meinem Lieblingskeller Koma F. Draußen regnete es und war bitterkalt. Das Publikum war überschaubar. Zur selben Zeit spielte nämlich irgendwo in Berlin der ehema­lige Frontmann der legendären Anarcho-Punkband Crass, Steve Ignorant, in einer größeren Location. Also schlechte Voraussetzungen für einen Hardcore-Punkabend in einem feuchten Keller. Dennoch war es eine großartige Show. Überraschenderweise war die Frauenquote unter den Gästen an diesem Abend höher als sonst, und so wurde auch hier getanzt. Es spielten drei Gruppen: Images aus Hannover, Deskonocidos aus Texas und Reflections Of ­Internal Rain aus Serbien. Images machen hymnischen, technisch unglaublich versierten und tanzbaren Punk. Deskonocidos spielen sowohl melodischen Anarcho-Punk als auch düsteren Post-Punk, der an die Veröffentlichungen des Crass-Labels Mitte der Achtziger erinnerte. Allerdings singen die vier Latinos aus Austin, Texas, auf Spanisch. Die serbischen R.O.I.R. brachten den Abend dann mit ihrem explosiven und spielfreudigen modernen Hardcore zu einem furiosen Ende.
Alle genannten Gruppen sind reine Independent-Bands. Selbst Sharon Jones & the Dap-Kings veröffentlichen ihre Platten auf ihrem eigenen Daptone Records Label. Das Sharon-Jones-Konzert kostete 35 Euro Eintritt, Steve Ignorant 15 Euro, die drei Bands im Koma F allerdings nur fünf Euro. Eigentlich kann das finanziell nicht funktionieren. Die Bands haben sicher draufgezahlt, haben also für uns Gäste mitbezahlt. Alle hatten Singles, LPs, CDs und T-Shirts im Angebot, wobei Singles meist vier bis fünf Euro kosten, LPs und T-Shirts zehn, die CD von R.O.I.R. sogar nur fünf Euro. Geld, das ohne Zwischenhändler direkt an die Bands geht und das sie für die Tour brauchen. Die wenigen Besucher haben ihr Möglichstes getan, ihnen etwas abzukaufen, aber die Situation der Do-It-Yourself-Szene scheint hoffnungslos. Ohne kontinuierliche Selbstausbeutung ist sie nicht zu betreiben. Die Leidenschaft, mit der sie trotz aller Widerstände und ohne große Werbung weltweit am Laufen gehalten wird, ist deshalb umso beeindruckender.
Meine Leidenschaft für die Untergrundszene hat in den vergangenen 25 Jahren immer mal wieder nachgelassen. Es ist den wenigen echten Fanatikern und Aktivisten zu verdanken, dass sie dennoch weiterlebt und ich Abende wie den gestrigen erleben kann: Ihr seid die Coolsten.