Ließ Sarkozy Journalisten bespitzeln?

Computerklau bei Journalisten

In Frankreich wurden vier Laptops von Journalisten, die über Staatsaffären ­recherchieren, bei Einbrüchen gestohlen. Hat die französische Regierung ihren eigenen Watergate-Skandal?

Einmal ist immer das erste Mal: »Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Strafanzeige erstatten gehe«, sagte der Generalsekretär des Elysée-Palasts, Claude Guéant, am Wochenende der französischen Sonntagszeitung JDD. Kurz zuvor hatten er selbst und Bernard Squarcini, Chef des Inlandsgeheimdiensts DCRI, tatsächlich Strafanzeige wegen übler Nachrede erstattet: gegen den Herausgeber der Internet­zeitung Mediapart, Edwy Plenel.
Einmal mehr steht Plenel, der bis vor wenigen Jahren Chefredakteur der Pariser Abendzeitung Le Monde war und ursprünglich aus der radikalen Linken kommt, damit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von führenden Repräsentanten der Staatsraison. In den achtziger Jahren war Plenel – nach einer Periode bei der trotzkistischen LCR in den wilden Siebzigern – Enthüllungsreporter bei Le Monde geworden. Präsident François Mitterrand ließ ihn, wie längst nach­gewiesen ist, damals mehrfach illegal abhören. Denn Plenel wusste einiges über die Verwicklung französischer Geheimdienste in das Attentat auf das Greenpeace-Schiff »Rainbow Warrior«, das 1985 im Hafen von Auckland in Neuseeland versenkt worden war, weil die Umweltorganisation gegen französische Atomwaffentests im Südpazifik protestierte. Dabei starb ein Fotograf an Bord. Auch wusste Plenel von der verborgenen außerehelichen Tochter Mitterrands, Mazarine Pingeot. Dies war Grund genug, ihn auszuspähen. Plenel gründete vor gut zwei Jahren seine Onlinezeitung, nachdem die vormalige Leitung von Le Monde unter Jean-Marie Colombani ihn gemobbt und aus dem Blatt geekelt hatte. Der Mann hat ein gewisses politisches Engagement beibehalten, so moderierte er vor wenigen Wochen gemeinsame Großveranstaltungen unterschiedlicher linker Kräfte zum Kampf gegen die umstrittene Rentenreform.
Dieses Mal geht man also unter anderem mit Strafanzeigen gegen ihn vor. Es ist ungewöhnlich, dass jemand wie Claude Guéant ein solches Vorgehen wählt. Kaum jemand würde sich offen mit ihm anlegen. Er ist wohl der mächtigste und einflussreichste Berater von Präsident Nicolas Sarkozy. Guéant ist für Angelegenheiten der Staatsraison zuständig: Beziehungen zu demokratischen und undemokratischen Regierungen, Karrieren, Geheimdienstkontrolle, strategische Entscheidungen. Und derzeit auch für die geplante Regierungsumbildung. Beobachter verglichen seine Rolle mit der des Kardinals Mazarin unter der Monarchie.
Mitte vergangener Woche warf Edwy Plenel in der auf Enthüllungen und Satire spezialisierten Wochenzeitung Le Canard enchaîné Guéant vor, er sei der Koordinator der derzeitigen Bemühungen, Journalisten auszuspähen, die über delikate Affären der Staatsspitze ermitteln. Dazu zählt der Skandal um die Multimilliardärin Liliane Bettencourt, die den damaligen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy mutmaßlich im Jahr 2007 mit dicken Briefumschlägen voller Bargeld auf illegale Weise unterstützte.
Ihre verdächtigen engen Beziehungen unter anderem zum damaligen Schatzmeister Sarkozys und gegenwärtigen Arbeitsminister Eric Woerth waren seit Juni ans Tageslicht gekommen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Internetzeitung Mediapart, die am 16. Juni Abschriften von Tonbandaufnahmen publizierte, die – vor dem Hintergrund eines Familienstreits im Bettencourt-Clan – auf ungesetzliche Weise im Hause der Milliardärin angefertigt worden waren. Diese Veröffentlichung löste eine Lawine von Enthüllungen aus, die beinahe die politische Karriere von Eric Woerth beendet hätte. Die »Bettencourt-Woerth-Affaire« hat auch zweifellos zum Wachsen der Protestbewegung gegen die Rentenreform im Herbst beigetragen. Denn dass gerade der für die Reform zuständige Minister Woerth darauf pochte, es sei »kein Geld mehr in den Kassen«, führte zu besonderer Empörung. Derselbe Woerth hatte als früherer Haushaltsminister Steuerhinterziehung in mehrfacher Milliardenhöhe gedeckt, begangen von Superreichen wie Liliane Bettencourt.
Auch an der Staatsspitze interessierte man sich für diesen Skandal, aber unter anderen Gesichtspunkten: Wer hatte die Informationen etwa über den Fortgang der Justizermittlungen zur Affäre an »feindlich gesonnene« oder »unzuverlässige« Medien weitergegeben?
In der zweiten Juliwoche hatte die konservative Tageszeitung Le Figaro aus internen Akten der Justiz zitiert, und zwar in einer Weise, die zur Verteidigung Bettencourts und Woerths beitragen und den Skandal abflauen lassen sollte. Die Redakteure der Zeitung protestierten dagegen, dass die Chefredaktion ihr Blatt zum puren »Propagandaorgan des Elysée-Palasts« reduziere und die für die Affäre zuständigen Journalisten dafür ausgebootet habe. Verantwortlich dafür, dass die Zeitung Zugang zu den Akten erhielt, war aller Wahrscheinlichkeit nach Claude Guéant. Daran störte man sich im Präsidentenamt nicht. Ganz anders jedoch eine Woche später, als am 17. Juli auch die linksliberale und gegen Sarkozy opponierende Zeitung Le Monde aus Justizakten zitierte, dieses Mal im gegenläufigen Sinne.
Schnell wurden illegale Ermittlungen durchgeführt, indem man – unter Umgehung der für Abhöraktionen und Einblicke in Telefonverbindungsdaten erforderlichen Kontrolle durch eine besondere »unabhängige Kommission«, die CNCIS – sich von den Mobiltelefonanbietern eine Liste mit Verbindungsdaten der zuständigen Journalisten geben ließ. Dabei stellte sich heraus, dass der Verfasser des Le Monde-Artikels, Gérard Davet, in den Tagen vor Erscheinen des Artikels mit David Sénat telefoniert hatte, einem Berater von Justizministerin Marie Alliot-Marie. Daraufhin wurde Sénat noch Ende Juli strafversetzt, also bevor die Justiz in der Angelegenheit eingeschaltet wurde und als somit sämtliche Ermittlungen dazu illegal waren. Und zwar nach Cayenne, in die Bezirkshauptstadt von Französisch-Guyana. Die symbolische Bedeutung dieser Versetzung springt ins Auge: Cayenne, genauer das Zuchthaus auf der vorgelagerten »Teufelsinsel«, war bis 1947 ein berüchtigter Verbannungsort.
Unklar ist noch, ob David Sénat – wenn er es denn tat – damals mit Einwilligung von Justizministerin Alliot-Marie oder ohne ihr Wissen plauderte. Ihr werden Ambitionen auf das Amt des Premierministers nachgesagt, wie seinerzeit auch dem Arbeitsminister Eric Woerth, der inzwischen allzu diskreditiert dafür ist. Wegen dieser Rivalität könnte Alliot-Marie heikle Informationen über ihn preisgegeben haben. Nicht auszuschließen ist auch, dass Teile des Staatsapparats, wie im Übrigen auch der Bourgeoisie, sich inzwischen von Sarkozy und seiner Umgebung abwenden und nach einer bürgerlichen Alternative zu ihm für das Wahljahr 2012 suchen.
Le Monde erfuhr allerdings von diesen Ausspäh­aktionen erst einige Wochen später, Anfang September. In Leitartikeln und Kommentaren protestierte die Redaktion energisch, sie verglich das Vorgehen mit der Watergate-Affäre unter US-Präsident Richard Nixon von 1972 und erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt.
In den vergangenen Wochen erhielt der Skandal neue Nahrung. Nacheinander wurden zwischen dem 8. und dem 23. Oktober insgesamt vier Laptops aus Redaktionsräumen und Privatwohnungen gestohlen, deren Besitzer im Zusammenhang mit den Recherchen über die Bettencourt-Affäre stehen. Es handelt sich um zwei Rechner aus den Räumen von Mediapart, einen Computer aus dem Haus von Gérard Davet und zuletzt einen aus dem Büro, das der zu Bettencourt recherchierende Journalist Hervé Gattaigno beim Wochenmagazin Le Point erst eine Woche zuvor bezogen hatte. In der Nähe der gestohlenen Rechner stehende Gegenstände, wie ein Fotoapparat in der Wohnung Davets, interessierten die Diebe hingegen nicht.
Zunächst hatten die Zeitungen zwar keinen Verdacht geschöpft, da die beiden Rechner bei Mediapart nicht im Zusammenhang mit den Bettencourt-Recherchen standen. Zwei Wochen später fiel dort allerdings auf, dass neben den Computern auch die CD-ROM mit den inzwischen berühmten Mitschnitten aus dem Hause Bettencourt aus einer Schublade entwendet worden war. Inzwischen sind die Medienschaffenden und sehr viele Beobachter jedenfalls der Auffassung, dass es sich um ein bisschen zu viele Zufälle auf einmal handele.
Im Canard enchaîné erläuterte Plenel, seine Redaktion verfüge über Informationen, wonach ein Teil des Staatsapparats unter Federführung von Claude Guéant im Geheimen gegen die journalistischen Störenfriede vorgehe. Dabei würde auf ehemalige Mitarbeiter von Nachrichtendiensten zurückgegriffen, die inzwischen für eine private Sicherheitsfirma arbeiteten. Daran sei auch ein Polizist »aus der Umgebung von Claude Guéant« beteiligt, der sich »bislang vor allem durch seine Aktivitäten in Afrika ausgezeichnet« habe, zitierte Libération am Freitag voriger Woche Edwy Plenel. Dies ist eine Umschreibung dafür, dass er an der schmutzigen Parallel-Außenpolitik in den früheren französischen Kolonien mitgewirkt habe.
Guéant, diverse Regierungspolitiker und allen voran Innenminister Brice Hortefeux dementierten energisch. »Es gibt in Frankreich keine politische Polizei, keine Stasi und keinen KGB«, tönte etwa Hortefeux. Um vor der Öffentlichkeit in die Offensive zu kommen, erstatteten nun Guéant und Squarcini Anzeige. Der Prozess, falls es denn dazu kommt, dürfte interessant werden.