Über die Wahlen in der Ukraine

Demokratie auf Ukrainisch

Von den Kommunalwahlen in der Ukraine hatte sich die regierende Partei von Präsident Viktor Janukowitsch eine Konsolidierung ihrer Macht erhofft. Trotz der Versuche, die Opposition auszuschalten, dürfte dies jedoch nicht ganz gelungen sein.

Seit der Amtsübernahme durch Viktor Janukowitsch im Februar und der sofortigen Ablösung der Vorgängerregierung unter Julia Timoschenko durch den neuen Premierminister Mykola Asarow arbeiten der neue Präsident und seine Partei der Regionen (PR) an einer Umgestaltung der Ukraine. Dabei wurde von Anfang an ein selbst für ukrainische Verhältnisse bemerkenswerter Rechtsnihilismus an den Tag gelegt. Die Parlamentsmehrheit aus PR, Block Lytwyn, Kommunisten und einzelnen Abgeordneten sowie die Regierung wurden durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments und ein bestelltes Urteil des Verfassungsgerichts nachträglich lega­lisiert. Denn nach der damals geltenden Verfassung konnten Koalitionen nur mit ganzen Frak­tionen und nicht mit einzelnen Abgeordneten gebildet werden.

Die ursprünglich für Mai angesetzten Kommunalwahlen wurden wegen »fehlender Finanzierung« auf unbestimmte Zeit verschoben. Die neue Regierung wollte sich erst einmal konsolidieren, und die »orangene« Opposition hoffte nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen auf günstigere Bedingungen für eine Revanche.
Nach Verhandlungen wurden im Juli die im Jahr 2009 eingestellten Kreditzahlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder auf­genommen. Die Ukraine erhält demnach innerhalb von zweieinhalb Jahren weitere 14,9 Milliarden Dollar, nachdem bereits seit Oktober 2008 10,5 Milliarden gezahlt worden sind. Dem vorausgegangen waren ein Preisnachlass für russisches Importgas, die Verlängerung des Pachtvertrages für die russische Schwarzmeerflotte und andere Industriekooperationen. Trotzdem wurden am 1. August die Gaspreise für die Bevölkerung erhöht, wie es der IWF forderte. Die Preise für die Zentralheizung stiegen um 50 Prozent, mit Aussicht auf eine weitere Steigerung im April 2011. Damit sollen die Absatzpreise im Inland an die Importpreise aus Russland »angepasst« werden. Dann begannen auch die Lebensmittelpreise zu steigen, wodurch die allgemeine Inflation kurz vor Beginn des Kommunalwahlkampfes anzog. Denn in der Zwischenzeit hatte man sich im Parlament auf den 31. Oktober als Wahltermin geeinigt. Eine weitere Forderung des IWF nach der Erhöhung des Renteneintrittsalters für Frauen von 55 auf 60 Jahre wurde auf die Zeit nach der Kommunalwahl verschoben.

Parallel dazu begann die Demontage des Verfassungskompromisses von 2004. Dieser Verfassungskompromiss schwächte die Rolle des Präsidenten und stärkte das Parlament. Er war im Austausch für die Zustimmung zum dritten Wahlgang im Jahr 2004 ausgehandelt worden, womit gleichzeitig die Basis für die Rückkehr von Janukowitsch an die Macht gelegt wurde. Die in der »orangenen Periode« andauernden Machtkonflikte zwischen Präsident Jusch­tschenko und der zweimaligen Premierministerin Timoschenko schufen die Grundlage für die Revanche des mutmaßlichen Wahlfälschers Janukowitsch. Hierfür wurden vier nicht genehme Verfassungsrichter zum »freiwilligen« Rücktritt bewegt. Am 4. Oktober wurde beschlossen, dass der Kompromiss auf verfassungswidrigem Wege zustande gekommen sei, daher müsse man zur Verfassung von 1996 mit allen präsidialen Vollmachten zurückkehren. Damit wurde die Revanche von ­Janukowitsch für die Schmach von 2004 komplettiert.
Eigentlich hätte die Opposition, und vor allem Timoschenko, mit diesem Thema im Wahlkampf erfolgreich sein können. Nur glaubt ihr nach ihrer desaströsen Regierungszeit kaum noch jemand. Zudem wurde im Zuge des Wahlkampfs die Regierungsmaschine, die jetzt vollständig unter der Kontrolle von Janukowitsch steht, in Gang gesetzt. Beamte der Regierung Timoschenko wurden unter Korruptionsvorwürfen verhaftet, ihr Wahlkampfleiter mehrfach vom Geheimdienst verhört. Ihr Wirtschaftsminister fand sich auf der Fahndungsliste von Interpol wieder und wurde in Tschechien verhaftet. Darüber hinaus wurde das Wahlgesetz für die Kommunalwahlen im Juli und erneut im August geändert, um ideale Bedingungen für die Regierungspartei zu schaffen. Dabei wurden unter anderem Wahlblöcke verboten, was insbesondere Timoschenko und ihren Block traf. Daneben wurden in den Stammgebieten ihrer Vaterlandspartei Phantomorganisationen geschaffen, wodurch die Partei in den Gebieten Lwiw und Kiew nicht antreten konnte. Zudem wurden Kandidaten von Oppositionsparteien unter Androhung von Korruptionsverfahren und Staatsangestellte unter Entlassungsdrohungen zum Eintritt in die PR gedrängt. In Kiew wurden die Stadtbezirksräte kurzerhand abgeschafft, da die PR dort keine Mehrheit hat und der Bürgermeister und der Stadtrat wegen vorgezogener Wahlen diesmal nicht gewählt wurden.
Eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Opposition spielte die neofaschistische Partei Freiheit in den westlichen »orangenen« Kerngebieten des 1939 von der UdSSR annektierten Galizien. Nach den bisher vorliegenden Prognosen hat die PR in den stark nationalistischen Regionen mehr als über 30 Prozent erzielt. Dass die von der Januko­witsch-Adminis­tration in den Regierungsfernsehsendern protegierte antisemitische und xenophobe Partei beherrschbar bleibt, ist zu bezweifeln, denn sie gewann auch in den russischsprachigen Regionen des Ostens und Südens sowie im gemischten Zentrum an Zuspruch und kommt demnach landesweit auf etwa fünf Prozent.

Die PR scheint mit über 36 Prozent gewonnen zu haben. Weit abgeschlagen folgt die Vaterlandspartei mit 13 Prozent. Andere Parteien der kontrollierten Opposition haben demnach weniger als sieben Prozent erzielt. Wegen des Fehlens linker Parteien – es existieren allenfalls sowjetnostalgische »kommunistische« bzw. »sozialistische« Parteien – sind die Wahlenthaltung oder die »Protestwahl« die einzigen Möglichkeiten für die ­ukrainische Linke.
Ganz unter Kontrolle hat Janukowitsch die Ukraine aber noch nicht, denn in ihren Kerngebieten hat die PR an Zuspruch verloren. In dem für die Regionalwahlen sicher geglaubten Charkiw hat sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Kandidaten der PR und der Vaterlandspartei ergeben, und im ostukrainischen Luhansk hat allem Anschein nach der Kandidat der konservativen Kommunisten gewonnen. Doch ist drei Tage nach der Wahl nicht einmal die offizielle Wahlbeteiligung bekanntgegeben worden. Stalins berühmte Maxime, wonach es nicht wichtig sei, wie man abstimmt, sondern wie man auszählt, scheint in der Ukraine wieder zu gelten.