Über den TV-Film »Pius XII«

Der Feind des Teufels

Der Ende Oktober gleichzeitig in Italien und Deutschland ausgestrahlte TV-Film »Pius XII.« macht aus dem zur Nazizeit amtierenden Papst einen Gegenspieler Hitlers.

Zu Allerheiligen wurde die deutsch-italienische Achse neu ausgerichtet. Einst verband sie das nationalsozialistische Berlin mit der faschistischen Hauptstadt Rom. Nun haben sich die alten Koordinaten verschoben, seit diesem Jahr verläuft die verbindende Linie zwischen Rom und München. Mit ihrer zum katholischen Heiligengedenktag in beiden Ländern zeitgleich ausgestrahlten TV-Koproduk­tion »Pius XII.« bedienen die staatliche italienische Fernsehanstalt RAI und der Bayerische Rundfunk nicht nur die Interessen des Vatikan, sondern ebenso den revisionistischen Vergangenheitsdiskurs in Italien und Deutschland.
Das Pontifikat Pius XII. ist umstritten: Während des Zweiten Weltkriegs hat er kein einziges Mal ausdrücklich gegen die Vernichtung der europäischen Juden protestiert. Seit Jahren bemüht sich die katholische Kirche, sein Schweigen zu rechtfertigen und gegen Kritik aus Israel und der jüdischen Diaspora zu verteidigen. Im vergangenen Jahr ging der deutsche Papst Benedikt XVI. in die Offensive und verlieh Pius XII. den »heroischen Tugendgrad«. Damit war eine weitere Stufe in dessen Seligsprechungsprozess erreicht. Mit dem TV-Zweitteiler »Pius XII.« wird der umstrittene Papst nun für ein Millionenpublikum in den Rang einer heroischen Lichtgestalt erhoben.
Bereits in der Eingangssequenz erscheint Pius XII. in der Pose des Heiligen: Nach der amerikanischen Bombardierung des Arbeiterviertels San Lorenzo im Juli 1943 reckt er seine ausgebreiteten Arme gen Himmel, während zu seinen Füßen die Ausgebombten den Saum seines weißen Gewands berühren wollen. Die vertikale Bildeinstellung wiederholt sich, immer wieder suggeriert der Kameraschwenk, der Stellvertreter Gottes sei direkt vom Himmel auf die in Trümmern liegende Erde herabgestiegen.
Der Film konzentriert sich auf die Monate zwischen September 1943 und Juni 1944, in denen Rom von Verbänden der Wehrmacht und SS besetzt war. Pius XII. erscheint als besorgtes Kirchenoberhaupt, der der Deportation der römischen Juden im Oktober 1943 keineswegs tatenlos zusah, sondern sich, entsprechend Ratzingers Interpretation, »im Verborgenen und in aller Stille« für die Verfolgten eingesetzt hat und dem schließlich sogar die unblutige Befreiung Roms zu verdanken sei.
Die Frankfurter Allgemein Zeitung räumte in ihrer Ankündigung ein, dass der Film zu einer »Reinwaschung« hätte werden können, »hätte nicht der grandiose James Cromwell die Hauptrolle übernommen«. Er zeige einen »vom Schmerz um die Opfer Zerrissenen (…), der weiß, dass schon ein unbedachtes Wort das Regime zu tödlicher Vergeltung reizen könnte«. Die deutschen Rezensenten machten sich grundsätzlich die vatikanische Interpretation zu eigen und sahen über vermeintliche »kleine Fehler« in der Rekonstruktion der historischen Ereignisse hinweg. Dagegen wurde der Film in Italien vor allem von Vertretern der jüdischen Gemeinde in Rom stark kritisiert. Oberrabbiner Riccardo Di Segni sprach von einer »propagandistischen Fälschung«, das »apologetische Werk« sei Resultat schwerwiegender politischer Entscheidungen.
Zu den italienischen Produzenten gehört auch die private Filmfirma Lux Vide, die sich auf die Verfilmung theologischer Themen spezialisiert hat. Nach Angaben von Ettore Bernabei, Firmengründer und Mitglied des klerikal-faschistischen Ordens Opus Dei, wurden die »offiziellen Positionen« der Piusforschung absichtlich nicht in Betracht gezogen. Der Zweiteiler orientiert sich vornehmlich an den Ergebnissen, die die vatikanische Kommission für die Seligsprechung Pius XII. zusammengetragen hat. Forschungen aus der säkularen Historikerschaft werden ausgeblendet. Stattdessen werden Mutmaßungen, die auch von dem Vatikan nahestehenden Historikern angezweifelt werden, als historische Tatsachen ausgegeben. So gibt es, anders als im Film behauptet, keine Quelle, die deutsche Pläne zu einer Entführung des Papstes belegen. Unklar ist auch, ob es tatsächlich der Intervention des Vatikan zu verdanken ist, dass circa 200 getaufte Juden bzw. Ehepartner und Kinder aus »Mischehen« nicht deportiert wurden. Wahrscheinlicher ist, dass die Anweisung zur Freilassung der »nichtarischen Katholiken« direkt aus Berlin kam.
Pius’ Wirken vor seiner Papstwahl bleibt unberücksichtigt, schließlich sollen die Zuschauer nicht auf die Idee kommen, seine zurückhaltende Haltung könnte politisch motiviert sein. Dabei arbeitete er in seiner Rolle als Kardinalstaatsekretär Eugenio Pacelli das Reichskonkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Nazideutschland aus – Hitler galt dem späteren Papst als Garant gegen den Bolschewismus.
Der Film bedient nicht nur die Interessen des Vatikan, sondern reproduziert auch mehrere Topoi des revisionistischen Geschichtsdiskurses. Der italienische Faschismus wird durchgehend verharmlost: Mussolini erscheint im Witz eines SS-Oberen als lächerliche Figur, die italienischen antijüdischen Gesetze werden nicht erwähnt, an den von den Deutschen organisierten Gräueltaten beteiligen sich keine Faschisten. Im Gegenteil: Ein Schwarzhemd verhilft einer Jüdin sogar zur Flucht. Das Klischee von den »braven Italienern« wird so weit überstrapaziert, dass die Deutschen für einen Überfall auf eine Basilika verantwortlich gemacht werden, der nachweislich von faschistischen Polizeitrupps verübt wurde.
Für den deutschen Koproduzenten wird dieser antideutsche Exzess anderweitig aufgewogen: Die deutschen Täter, die für die Verbrechen in Rom verantwortlich sind, werden nicht genannt. Die namentlich erwähnten Generäle Stahel und Wolff treten zwar mit soldatischem Stolz in SS-Uniform auf, doch in der persönlichen Begegnung mit Pius läutern sich die beiden »willigen Vollstrecker« Hitlers umgehend zu ganz normalen deutschen Katholiken. Schließlich trägt auch der Priester, der in einem römischen Konvent Juden und Partisanen versteckte, einen deutschen Namen. Die historisch ambivalente Rolle von Pater Pfeiffer als vatikanischer Vermittler mit dem römischen SS-Kommando bleibt dabei freilich unerwähnt.
Der Personifizierung des Bösen in dem »vom Satan besessenen« Hitler steht das Gute in der Person des ins Gebet versunkenen Pontifex gegenüber. In der Schlusssequenz des ersten Teils wird das katholische Weltbild eindrücklich in Szene gesetzt: Während der Vorführung eines deutschen Propagandafilms nähert sich Pius XII. der Leinwand. Plötzlich geht der Zelluloidstreifen in Flammen auf, Hitlers Konterfei verzerrt sich zu einer Teufelsfratze, während der Papst im Gegenlicht als Heiliger erscheint. Durchgängig symbolisiert die Omnipräsenz überdimen­sionaler Kreuze die unausweichliche Überlegenheit des Katholizismus. Hier weiß sich Ratzinger mit dem Vorbild seiner Jugend einig. Dass er an dem Pius-Film Gefallen fand, ist nicht überraschend: Die Produktionsgemeinschaft RAI, Lux Vide und Bayerischer Rundfunk entstand 2006 wenige Monate nach seinem Besuch in München. Der TV-Seligsprechung von Pius XII. ging bereits ein zweiteiliges TV-Portrait des von Ratzinger verehrten Kirchenvaters Augustinus voraus. Mit weiteren katholischen Propagandafilmen der Achse Rom-München ist zu rechnen.