Kristina Schröder und die Biologie

Noch mehr Bio

Die Familienministerin erklärt uns, warum Jungs lieber Fußball und Mädchen lieber Ponys und Schmetterlinge mögen.

Da beklagte sich doch eben noch die Schriftstellerin Thea Dorn, es gäbe in Deutschland keine Streitkultur mehr. Doch kaum ist ihre Klage – »Ach, Harmonistan« – verebbt, entbrennt prompt ein neuer Feminismus-Streit, der ein ungeahntes Medienecho hat und unzählige Foreneinträge und User-Kommentare nach sich zieht. Auslöser ist ein offener Brief der Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer an die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. In einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel distanzierte sich die Poli­tikerin vom »frühen Feminismus« und damit auch von Alice Schwarzers gleichheitsfeminis­tischen Thesen. Daraufhin warf Schwarzer ihr vor, »Stammtischparolen der siebziger Jahre« zu verbreiten, und bezeichnete sie als »schlicht ungeeignet« für ihren Posten.
Die harmonieüberdrüssige Thea Dorn könnte also jubeln ob der neu entflammten Debatte darüber, welche Art von Feminismus zeitgemäß ist. Verfolgt man den Argumentationsverlauf, wird schnell klar, dass hier kein gleichwertiges Duell stattfindet. Der Differenzfeminismus hat – zumindest im populären Bewusstsein – längst den Sieg davongetragen. »Es ist ein loser, diffuser Konsens, der im Begriff ist, zur vorherrschenden Ideologie zu werden«, kritisiert die französische Philosophin und Feministin Elisabeth Badinter in ihrem jüngst erschienenen Buch »Der Konflikt«. Insbesondere in Deutschland sei die Natur »zu einer kaum angreifbaren ethischen Bezugsgröße geworden, die alle anderen Argumente blass aussehen lässt«.
Die deutsche Familienministerin demonstriert derzeit eine zum Fremdschämen perfekte Verkörperung dieses Prinzips. Mit Simone de Beauvoirs berühmtem Satz »Man wird nicht als Frau geboren, man wird es« habe sie noch nie etwas anfangen können, stellt die 33jährige gleich zu Beginn des Interviews klar. Und wenig später: »Wir erkennen an, dass es Unterschiede gibt, auch zwischen Mann und Frau.« Wer das nicht einsehen wolle – wie etwa Alice Schwarzer –, habe einfach noch nicht gelernt, »die Realität zu akzeptieren«. Und die Realität sieht in Schröders Augen so aus: Männer und Frauen ticken nun mal unterschiedlich. Partnerschaft und Kinder spenden Glück. Wer in heterosexuellen Beziehungen Machtstrukturen erkennt, ist entweder paranoid oder hoffnungslos anachronistisch. Die Vorstellung, dass (Hetero-)Sex irgend­etwas mit Macht zu haben könnte, scheint aus dem öffentlichen Bewusstsein tatsächlich restlos getilgt. »Wer es halt mag, der muss das doch machen dürfen in einer freien Gesellschaft«, gibt der Tagesspiegel mit erstauntem Schulterzucken zum Besten: »Und Kinder sind doch tatsächlich in vielen Fällen etwas sehr Schönes, warum kann man das denn nicht offen sagen?«
Wie schön, dass Frau Schröder endlich offen sagt, was ohnehin alle längst wussten: Die Biologie hat eben doch das letzte Wort. Im Einklang natürlich mit den Gesetzen der freien Marktwirtschaft: »Die Wahrheit sieht doch so aus: Viele Frauen studieren gern Germanistik und Geisteswissenschaften, Männer dagegen Elektrotechnik – und das hat eben auch Konsequenzen beim Gehalt. Wir können den Unternehmen nicht verbieten, Elektrotechniker besser zu bezahlen als Germanisten.« So viel zum Gender Pay Gap. Dass es noch andere Gründe als genetisch festgelegte Neigungen geben könnte, die Frauen daran hindern, männerdominierte Berufe zu ergreifen, lässt Schröder geflissentlich außer Acht. Strukturkritik an existierenden Herrschaftsverhältnissen gehört schließlich in die Mottenkiste des Lila-Latzhosen-Feminismus. Zum Thema »Jungsförderung« steuert Schröder Folgendes bei: »Schreiben wir genug Diktate mit Fußballgeschichten? Dafür interessieren sich auch die Jungs. Oder geht es immer nur um Schmetterlinge und Ponys?«
Das Problem ist nicht, dass Schröder bestimmte feministische Strömungen der siebziger Jahre kritisiert. Auch nicht, dass sie Alice Schwarzer in vielen Punkten für zu radikal hält. All das sei einer selbsterklärten »konservativen Feministin« aus den Reihen der CDU zugestanden. Bedenklich ist allerdings ihre unreflektierte Übernahme des naturalistischen Konsenses, in dem Badinter zu Recht die derzeit »schlimmste Bedrohung für die Emanzipation der Frauen und die Gleichheit der Geschlechter« sieht. Und geradezu erschreckend ist es, wie einhellig Schröders durchweg essentialistische Positionen als »erfrischend realitätsbezogen« und »lösungsorientiert« gefeiert werden, während die »ideologisch verseuchte« Schwarzer wahlweise als »possierliches Relikt« oder als »bösartige Demagogin« abgekanzelt wird.
So darf Schröder mit »natürlicher Ehrlichkeit« ihre »Ist-doch-wahr«-Bodenständigkeit unter Beweis stellen: Jungs interessieren sich halt für Fußball (später für Elektrotechnik), Mädchen für Schmetterlinge und Ponys (später für Germanistik). Während einige Politikerinnen (u.a. SPD-Vizechefin Monika Schwesig, Linke-Vizechefin Katja Kipping) immerhin Schröders Unkenntnis der historischen Bedeutung des Feminismus gerügt haben, sucht man eine Kritik am wiedererstarkenden Naturalismus vergeblich. Anscheinend ist Schröders biologistische Einstellung mittlerweile tatsächlich so sehr Konsens, dass sie als Ideologie unsichtbar und damit nahezu unangreifbar geworden ist. Dass sie gerade deshalb eine reale Gefahr für die Errungenschaften der letzten Frauenbewegung sowie der Gender und Queer Theory darstellt, ist keine paranoide Idee von Schwarzer. Sogar die neoliberal geprägte Feministin Thea Dorn konstatiert besorgt den »medialen Geschlechter-Rollback«. Zumindest dürfte es sie freuen, dass Alt-Feministinnen wie Alice Schwarzer und Elisabeth Badinter der amtierenden Familienministerin sowie allen übrigen »biologistischen, fatalistischen und religiösen Obskuranten« noch etwas entgegenzusetzen haben. Auf dass die Debatte nicht allzu schnell in einem »nüchternen Kompromiss« endet.