Ägypten vor den Wahlen

Der Wahlsieger steht schon fest

Am kommenden Sonntag wählen die Ägypter ein neues Parlament. Obwohl man von einem Sieg der regierenden Partei von Präsident Hosni Mubarak ausgeht, bestreitet die Regierung den Wahlkampf zunehmend mit dem Schlagstock. Denn nicht nur die Opposition ist zerstritten, auch in der regierenden Partei tobt der Machtkampf.

Auf Facebook hat die ägyptische Opposition einen Blog zur Parlamentswahl 2010 eingerichtet. Täglich, an manchen Tagen im Stundenrhythmus, treffen dort Nachrichten ein: Dutzende Menschen in Qalyubiya verhaftet, Demonstration in Assiut gestoppt, Unterstützer der Muslimbrüder gefoltert, Kinderdemonstration attackiert.
Dabei könnte es die Regierung gelassen nehmen. Denn die Opposition ist zerstritten wie lange nicht mehr. Die meisten Parteien haben zum Boykott der Wahlen aufgerufen: die liberale al-Gahd (Morgen), die Kifaya-Bewegung (Genug) und die linksnationalistische Tagammu.
Noch im Sommer sah es so aus, als könne der ehemalige Vorsitzende der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed al-Baradei, die Op­position einen und ihr neue Kraft verleihen. Vor allem junge Angehörige der Mittelschicht jubelten dem Heimgekehrten zu und drängten ihn zur Kandidatur für das Präsidentenamt – die Wahlen stehen im nächsten Jahr bevor. Doch al-Baradei sagte, er werde nur an freien, gerechten Wahlen teilnehmen. Auch seine »Nationale Bewegung für den Wandel« rief zum Wahlboykott auf.

Schon etliche Male hat die Opposition in der Geschichte der ägyptischen Diktatur die Wahlen boykottiert. Eine Änderung der Politik hat das nie bewirkt. Auf internationalen Druck ist kaum zu hoffen, auch wenn die Republikaner im gerade neugewählten US-amerikanischen Kongress die ägyptische Regierung aufgefordert haben, internationale Wahlbeobachter zuzulassen.
Zudem hat die ägyptische Regierung für die sogenannte internationale Gemeinschaft eine kleine Überraschung parat. Erstmals gibt es eine Frauenquote im Parlament: 64 Sitze sind für weibliche Abgeordnete reserviert. Das sind knapp 14 Prozent der Sitze. Ägypten gehörte bisher mit zwei Prozent Frauenanteil im Parlament zu den Ländern, in denen Frauen kaum am politischen Leben beteiligt sind. In Jordanien gibt es eine Frauenquote von zwölf Prozent, im Irak von 25 Prozent. Damit erfüllt Ägypten die Forderung nach mehr Frauenpartizipation und kann folglich auf Wohlwollen bei Verhandlungen über Entwicklungshilfe hoffen. An wirklich freien Wahlen haben letztlich weder die USA noch Europa ein Interesse. Denn die Wahlen würden sehr wahrscheinlich zu einem Sieg der Islamisten führen.

Die Muslimbrüder sind neben der liberalen Partei Wafd die einzigen, die sich dem Boykott nicht angeschlossen haben. Die Muslimbrüder hätten bei einem Boykott auch tatsächlich etwas zu verlieren, bei den Parlamentswahlen 2005 bekamen sie 88 Sitze, die Wafd stellt dort sechs Abgeordnete von insgesamt 454.
Beide Parteien haben mit der Entscheidung, an den Wahlen teilzunehmen, gehadert. Die Muslimbrüder haben sich über die Frage des Boykotts sogar gespalten. Eine Gruppe um altgediente, eher traditionelle Mitglieder verließ die Organisation und nennt sich nun Muslimbrüder-Gruppe. Sie wollen das religiöse und soziale Element der Bewegung stärken, machen aber auch aus ihren politischen Differenzen keinen Hehl. Moukhtar Nouh, ein Sprecher der Gruppe, sagte der ägyptischen Tageszeitung Masry al-Yaum: »Die Brüder führen das Land intellektuell und zeichnen sich angesichts der Korruption durch Lauterkeit aus. Wenn sie nun ihre Teilnahme an den Wahlen erklären, drängen sie die Menschen, in diesem Spiel mitzuspielen.«
Im Oktober drohte auch die Wafd, ihre Kandidaten zurückzuziehen, falls das staatliche Fernsehen weiterhin ihre Wahlwerbung nicht zulassen sollte. Der Staat gab nach. Nicht so bei den Muslimbrüdern. Ihre Kandidaten dürfen nur als unabhängige antreten, weil religiöse Parteien in Ägypten verboten sind. Darum nehmen sie etwa an Talks im Fernsehen nicht teil. Ein Dutzend islamistischer Fernsehsender wurde vor den Wahlen verboten. Angeblich machten die Sender unerlaubterweise Werbung für Krebsmedikamente, beschimpften Schiiten und zeigten pornografische Filme.
Auch dürfen die Muslimbrüder erstmals ihren bewährten Slogan »Der Islam ist die Lösung« nicht mehr verwenden. Damit verstießen sie gegen das Verbot religiöser Parteien, behauptet die Regierung und nutzt selbst den Koran als politisches Argument. Ohne den Slogan sind die islamistischen Kandidaten nicht als Muslimbrüder erkennbar, da sie als Unabhängige antreten.
Wenig betrübt waren die Brüder darüber, dass die Ausstrahlung der Fernsehserie »al-Jamaa« Mitte Oktober gestoppt wurde. Sie fanden, dass sie in der Seifenoper über den Gründer der Bruderschaft, Hassan al-Banna, schlecht wegkommen. Die Regierung war anderer Meinung und störte sich vor allem daran, dass während des vergangenen Ramadans ganz Ägypten al-Bannas Werdegang verfolgte: Nie hatte eine ägyptische Fernsehsendung höhere Einschaltquoten.

Derweil stellt sich die Nationaldemokratische Partei (NDP) von Präsident Hosni Mubarak als progressive Partei dar. Gamal Mubarak, der Sohn des seit 1981 amtierenden Präsidenten, tourt durchs Land und durch die Fernsehstudios. Er preist die Reformen: Vier Millionen neue Jobs habe die Regierung geschaffen, die Investitionen hätten sich verzehnfacht, die Exporte sich verdoppelt, die Wachstumsrate liege bei satten 6,5 Prozent. Für die nächste Legislaturperiode kündigt er eine allgemeine Krankenversicherung an.
Tatsächlich ist das ägyptische Pro-Kopf-Einkommen deutlich gestiegen. Zugute kommt das aber vor allem einer kleinen Oberschicht. 20 bis 30 Prozent der Ägypter leben unter der UN-Armutsgrenze von 1,25 Dollar pro Tag.
Die Zustimmung für die Politik der NDP ist mit 59 Prozent nicht besonders groß, für ägyptische Verhältnisse katastrophal. Vor allem aber tobt ein Machtkampf innerhalb der Partei. Die alte Riege ist nicht damit einverstanden, dass der Präsident seinen Sohn Gamal zum Kronprinzen gemacht hat.
Als Gegenkandidat wurde kürzlich der Chef des Geheimdienstes, Omar Suleiman, genannt. Entsprechende Plakate verschwanden jedoch innerhalb weniger Stunden. Zwei unabhängige Zeitungen, die darüber berichten wollten, mussten ihre Tagesauflagen einstampfen.
Doch die Fraktion der Gegner von Mubarak zeitigt auch Erfolge. Gamal Mubarak nahm nicht an der Auswahl der Kandidaten für die Parlamentswahl teil. Viele vermuten, dass er es nicht durfte. Auch wurden Kandidaten, die sich deutlich für seine Kür zum Präsidentschaftskandidaten ausgesprochen hatten, nicht aufgestellt.
Zudem verlassen immer mehr Mitglieder die Partei. Die Ausgetretenen verteilen CDs, die skandalöse Details über die Kandidaten der Regierung enthalten, und veranstalten Protestmärsche. Ein ehemaliges Mitglied der NDP skandierte kürzlich: »Das ist eine Mulukhia-Partei«, was so viel wie »Gurkentruppe« bedeutet (Mulukhia ist ein spinatähnliches Gemüse).
Das Ergebnis der Wahl hat insofern mehr innerparteiliche denn nationale Bedeutung. Die NDP wird zweifellos gewinnen. Doch wenn sie im Vergleich zur vorigen Wahl trotz aller Wahlmanipulation Verluste hinnehmen muss, wäre dies von Vorteil für die alte Riege, die nichts von Gamal Mubaraks wirtschaftlichem Reformprogramm hält.