Proteste gegen das »Sparpaket« der Bundesregierung

Grand Theft in der Bannmeile

Aus Anlass der endgültigen Verabschiedung des »Sparpakets« ruft ein Bündnis linker Gruppen zur Belagerung des Bundestags auf. Trotz der kümmerlichen sozialen Proteste der vergangenen Monate geben sich die Beteiligten optimistisch.

Wollen Islamisten die Kuppel des Reichstags sprengen? Über die möglichen Pläne von Terroristen wurden in den vergangenen Tagen zahlreiche Spekulationen angestellt. Dabei droht am Freitag dieser Woche im Bundestag tatsächlich etwas Einschneidendes: In der 76. Sitzung des Parlaments soll das sogenannte Sparpaket endgültig verabschiedet werden. Auf genau vier Stunden und zehn Minuten ist die Sitzung angesetzt.
Mit ihrer Politik will die Regierung bis 2014 etwa 80 Milliarden Euro einsparen. Vor allem das Prekariat ist betroffen. Ein Drittel der Einsparungen sollen erzielt werden, indem Sozialleistungen gekürzt werden wie das Elterngeld und die Rentenversicherungsbeiträge für Hartz-IV-Empfänger. »Sparpaket stoppen!« und »Bundestag belagern!« fordert deshalb ein Zusammenschluss linker Organisationen. Vom eingeschränkten Versammlungsrecht in der Umgebung des Bundestags will sich das Bündnis nicht einschüchtern lassen. Wenn die Abgeordneten am Freitag die Tagesordnung abarbeiten, will es vor dem Parlament demonstrieren.

Mit der Kampagne »Sparpaket stoppen! Bundestag belagern!« wurden einige Bundestagsabgeordnete bereits in der vergangenen Woche konfrontiert. So besuchten Mitglieder der Berliner Gruppe »Wir zahlen nicht für eure Krise«, die den Protest rund um den Bundestag organisiert, am Donnerstag voriger Woche die CDU-Abgeordnete Stefanie Vogelsang in ihrem Wahlkreis in Berlin-Neukölln. Im Gepäck hatten sie Flugblätter, auf denen zu lesen war: »Unsere Botschaft: Gelbe Karte für das Sparpaket! Wer es auf unsere Lebensgrundlage abgesehen hat, muss mit Unruhe rechnen!« Dass die Aktivisten ihre Flugblätter in einer Einkaufspassage verteilten, sorgte jedoch nicht für allzu großen Aufruhr.
Das Protestbündnis kritisiert in dem Flyer nicht nur das »Sparpaket«: »Ob Afghanistan-Einsatz, Mindestlohn oder Rente mit 67 – die Bundesregierung macht Politik gegen unsere Interessen.« Doch wessen Interessen sind gemeint? Die der Rentner, der im Niedriglohnsektor Beschäftigten oder der in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten? Die Interessen des »Volks«? Das bleibt zunächst unbeantwortet. Nicht unbedingt präziser, aber doch mit einer internationalen Perspektive führt das Bündnis auf dem Flugblatt schließlich aus: »Wir werden uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, denn egal ob in der Bundes­republik, in Griechenland oder woanders, wir haben dasselbe Ziel: Eine Welt, in der die Bedürfnisse der Menschen der Maßstab sind!«

Dass etliche Personen ihre Interessen von dem Belagerungsbündnis vertreten sehen, zeigt die Liste der Unterstützer, die auf der Homepage »sparpaket-stoppen.de« zu sehen ist. 80 Organisationen und Einzelpersonen haben den Aufruf zur Demonstration unterzeichnet, wie etwa Attac-Berlin, die Schülerinitiative »Bildungsblockaden einreißen!«, Ortsgruppen der DKP, der »Linken«, von Verdi, DGB und auch Antifa-Gruppen. Eine Schwierigkeit gibt es: Rund um den Bundestag und die zugehörigen Gebäude besteht eine Bannmeile, in der die Versammlungsfreiheit nur eingeschränkt gilt. Dass die Belagerer Ordnungswidrigkeiten begehen könnten, »nehmen wir in Kauf«, geben die Veranstalter selbstbewusst an, schließlich könne die Politik der Bundesregierung nicht einfach hingenommen werden.
Ähnliches wird in einem Video verlautbart, das zum Protest aufruft und auf der Plattform »Left­vision« veröffentlicht wurde: Man wolle nicht »den Gürtel enger schnallen«, das sei »Bull­shit«, denn es gebe »Geld genug« bei »Banken und Konzernen«. Auseinandersetzungen, die »ein kleines bisschen wie in Frankreich« werden sollen, sind gewünscht. Die Castor-Proteste dienen als Vorbild für die geplante Belagerung des Bundestags: »Wir haben es auf die Schienen geschafft. Jetzt schaffen wir es vor den Bundestag.« Sonderlich bedrohlich erscheinen die gestriegelten Statisten mit den platten Parolen in dem Video allerdings nicht.
Auf Kraftmeierei setzt dafür die »Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin« (ARAB) in ihrem Video. Die Gruppe, die hauptsächlich für ihren rüden Antizionismus und Antiimperialismus bekannt ist, hat sich von dem Computerspiel Grand Theft Auto inspirieren lassen: In dem Video kreisen Polizeihubschrauber, Polizisten schießen wild um sich, Panzer rollen und im Hintergrund läuft ein HipHop-Beat. In großen Abständen werden in weißen Blockbuchstaben Phrasen von »Elend, Armut und Mangel« und Bilder von blutig niedergeschlagenen Rebellionen eingeblendet. Inhaltlich erfährt man hingegen wenig, offenbar soll das Video den Antifa-Nachwuchs dazu animieren, den Platz vor dem Computer zu verlassen: »Great Crisis Riseup – it’s not a game!«
Der große Krisenaufstand lässt bisher auf sich warten, im Vergleich zu den Demonstrationen in Griechenland oder Frankreich kann man in Deutschland wohl von einem beinahe völlig ausbleibenden Protest gegen die Sparpolitik sprechen – trotz der weiteren Zumutungen, die diese für die Ärmeren der Bevölkerung mit sich bringt. Dafür hat Charlotte Bischoff, die Sprecherin der Gruppe Avanti Berlin, die auch zur Belagerung des Parlaments aufruft, eine Erklärung: »Lange Zeit war die Weltwirtschaftskrise für viele Menschen eher eine abstrakte Angelegenheit, die Regierung hat es verstanden, das Ankommen der ›gefühlten Krise‹ zu verzögern.«
Dass es am Freitag vor dem Bundestag anders als bei den spärlich besuchten sozialen Protesten der vergangenen Monate aussehen könnte, hält Bischoff für möglich. »Die Proteste in diesem Jahr, von Dresden bis zum Wendland, haben vorgemacht, wie kollektiver Ungehorsam Mut machen kann, solidarische und massenhafte Auseinandersetzungen zu suchen und auch Erfolge zu erzielen«, sagt sie optimistisch. Sich auf diese Weise auf den Castor-Protest zu beziehen, könnte jedoch eine Fehleinschätzung sein: Wer Gleise blockiert, muss nicht unbedingt auch den Bundestag belagern wollen. Angesichts der hauptsächlich aus Berlin und Brandenburg kommenden Unterzeichner des Aufrufs ist zu bezweifeln, dass sich allzu viele Unterstützer aus dem Wendland und anderen Teilen Deutschlands nach Berlin aufmachen.