In Göttingen ermittelt die Polizei mit DNA-Entnahme gegen einen Mann aus der Antifa-Szene

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Die Göttinger Polizei will bei einem jungen Mann aus der Antifa-Szene DNA entnehmen lassen – angeblich wegen eines Böllerwurfs auf einer Demonstration.

Mehr als zwei Wochen lang war ein 20jähriger untergetaucht, der der Göttinger Antifa-Szene angehört, seit dem vorvergangenen Wochenende ist er wieder da. Bis dahin hatte er versucht, eine von der Staatsanwaltschaft beantragte DNA-Entnahme zu verhindern, die nun gegen seinen Willen vollzogen werden soll. Die Maßnahme wurde angeblich wegen eines Böllerwurfs auf einer Demonstration angeordnet, der ihm zur Last gelegt wird. Verurteilt wurde er deswegen noch nicht.
Das Landgericht hatte die DNA-Entnahme angeordnet. Es sah den »Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung« gegeben, der eine DNA-Entnahme gesetzlich rechtfertigt. Das Gericht entschied, dass dem Beschuldigten »Körperzellen entnommen und zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden« dürfen.

Eine Beschwerde gegen die Maßnahme wies das Bundesverfassungsgericht Anfang Januar kommentarlos zurück. Von einer »Katastrophe für das Recht auf informelle Selbstbestimmung« sprach sein Rechtsanwalt Sven Adam. Dessen Kollege Sönke Hilbrans vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) glaubt, der Grund für die Abweisung der Beschwerde liege schlicht darin, dass das Gericht mit Beschwerden überhäuft werde und gar nicht alle bearbeiten könne. »Ich denke, daraus sollte man nicht den Schluss ziehen, dass das Bundesverfassungsgericht überhaupt kein Problem mit DNA-Entnahmen hat«, sagt er.
Die Maßnahme hält der Jurist für unverhältnismäßig. »Alleine das Abfackeln eines Silvesterknallers ist sicher keine Straftat von erheblicher Bedeutung«, urteilt Hilbrans. Außerdem gebe es keinen Anlass für die Annahme, »dass man zukünftig von diesem Täter an einem Tatort mal DNA finden wird«. Anders sei das bei den üblichen Fällen, bei denen DNA-Entnahmen angeordnet werden: Einbruchsserien, Waffendelikte, Sexualstraftaten. Zukünftige Straftaten sollten im Göttinger Fall offensichtlich nicht aufgeklärt werden. »Das riecht doch deutlich nach einer Abschreckungsmaßnahme«, sagt Hilbrans.
Rechtsanwalt Adam hat noch einen anderen Verdacht. Womöglich sei der junge Mann den Fahndern nur aufgefallen, weil er eine dunkle Hautfarbe hat. Als die Polizei im vergangenen Frühjahr wegen eines Brandanschlags auf die Göttinger Ausländerbehörde ermittelte, wollte sie ihn wegen seines »dunklen Teints« observieren lassen. Eine Zeugin hatte angegeben, einen vermummten, dunkelhäutigen Mann gesehen zu haben. Der Staatsschutz kannte den 20jährigen von Demonstrationen und erklärte ihn zur verdächtigen Person. Weitere Indizien gab es nicht.

Die Ermittlungen wegen des Feuers sind mittlerweile ergebnislos eingestellt worden. In den Akten finde sich allerdings der Hinweis, dass über andere Ermittlungsverfahren versucht werden solle, an die DNA des jungen Mannes zu gelangen, sagt sein Anwalt. Er geht davon aus, dass die Staatsanwaltschaft die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gewonnene DNA mit den in der Behörde gefundenen Spuren abgleichen will.
Der Fall hat eine Welle von Solidaritätsbekundungen linker und linksradikaler Gruppen, aber auch des Göttinger Kreisverbands der Grünen und des Stadtverbands der SPD ausgelöst. Sogar Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der niedersächsischen Landtagsfraktion der Grünen, reihte sich ein. »Es könnte der Eindruck entstehen, dass auf Verdacht und Vorrat DNA-Profile aus der linken Szene Göttingens angelegt werden sollen«, sagte er. Die DNA-Entnahme bei dem 20jährigen sei unverhältnismäßig.
Die Kritik geht über den Vorwurf hinaus, es mangele an Rechtsstaatlichkeit. So solidarisierte sich die Basisgruppe Sozialwissenschaften, nicht »weil die Maßnahme ›unverhältnismäßig‹ sei, wie SPD und Grüne behaupten, sondern weil hinter dieser Maßnahme genau jenes Programm abläuft, das notwendig ist, um die Fließbänder nicht ins Stocken geraten zu lassen«. Die Antifa-Gruppe Redical M schreibt, es gehe »um die Verunmöglichung sozialen und politischen Protests«.
Die Bestimmungen für DNA-Entnahmen stehen in Paragraf 81g der Strafprozessordnung. Entnahmen sind vorgesehen bei Straftaten »von erheblicher Bedeutung« oder bei solchen, die sich »gegen die sexuelle Selbstbestimmung« richten. Vergewaltigern und Mördern wird in der Regel eine Probe entnommen, Böllerwerfern nicht.
Es ist gesetzlich nicht erforderlich, dass eine Verurteilung vorliegt, um DNA entnehmen zu können. Der Verdacht reicht aus. Eine »romantische Vorstellung vom Rechtsstaat und auch von der Unschuldsvermutung« wäre es, wenn man davon ausginge, dass polizeiliche Maßnahmen nicht auch gegen Unschuldige möglich wären, sagt Rechtsanwalt Hilbrans. DNA-Entnahmen seien jedoch »eingriffsintensive Maßnahmen«, die eine »hohe Wahrscheinlichkeit« künftiger Straftaten erforderten. DNA-Daten dürften also nur dann auf Vorrat gespeichert werden, wenn dies die künftige Aufklärung von Straftaten erleichtern würde.

In der Göttinger Linken geht nun die Sorge um, DNA-Entnahmen könnten sich zu einer Standardmaßnahme bei kleineren Vergehen auf Demons­trationen entwickeln. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sich eine DNA-Entnahme ohne vorherige Verurteilung vor Gericht als polizeiliche Praxis normalisiert«, sagte etwa der kurzzeitig untergetauchte 20jährige. Hilbrans hält das ohnehin für abwegig. Aus dem Verhalten des Bundesverfassungsgerichts ließe sich nicht ableiten, dass Entnahmen allgemein zulässig seien. »Es entscheiden in Deutschland mehrere Staatsanwälte und viele Landgerichte über solche Maßnahmen«, sagt er. »Ich sehe nicht, dass die Göttinger Entscheidung Schule macht.«
Am vergangenen Samstag trat der 20jährige als Redner auf einer Demonstration »gegen staatliche Willkür und Repression« auf. 650 Teilnehmer bekundeten ihre Unterstützung für den jungen Mann. Die Polizei ging mit Reizgas und Schlagstöcken vor, es gab bis zu 30 Verletzte.