Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden

Die totale Erinnerung

Ein Gericht hat kürzlich die Blockade des Naziaufmarschs in Dresden im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt. Während die Stadt auch in diesem Jahr zum »stillen Gedenken« am Jahrestag der Bombardierung aufruft, wollen Antifaschisten den Umzug der Nazis erneut verhindern.

Über der »goldenen Pforte«, dem Eingang des Dresdener Rathauses, prangt dieser Tage ein großes Banner mit der Aufschrift »Erinnern und handeln. Für mein Dresden«. Auf dem Banner sind Prominente abgebildet, die sich an den Händen fassen. Der Saal, in dem die Dresdener Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) drei Wochen vor dem Jahrestag der Bombardierung der Stadt eine Pressekonferenz abhielt, war überfüllt. Das mediale Interesse an den zu erwartenden Ereignissen rund um den 13. Februar in Dresden ist auch im Jahr 2011 überaus groß. Es werden sowohl an dem Tag selbst als auch am darauffolgenden Samstag mehrere tausend Nazis aus ganz Europa erwartet.

Die Stadt Dresden ruft ausschließlich zur Teilnahme an einer Menschenkette am 13. Februar auf. In erster Linie, so sagte Orosz auf der Pressekonferenz, gehe es darum, mit der Menschenkette »in würdiger Weise an die Zerstörung unserer Stadt, an den Tod zehntausender Menschen, aber auch zugleich an das Verbrechen des von Deutschland ausgegangen Krieges« zu erinnern. Die Kundgebung sei zentraler Teil des »stillen Gedenkens« der Stadt und seiner Bürgerschaft. Darüber hinaus solle aber auch »ein deutliches Signal gegen die Geschichtsverklitterung, die Hasstiraden der Rechtsextremisten« gesetzt werden. Dabei spielt es nach Ansicht von Orosz keine Rolle, dass die Menschenkette weit entfernt vom Naziaufmarsch und zu einer anderen Uhrzeit gebildet werden soll.
Falk Kämpf vom Landesamt für Verfassungsschutz sagte der Jungle World, »überregionale Teilnahmeabsichten« würden darauf hindeuten, dass am 19. Februar die Hauptveranstaltung der Nazis stattfinden solle. Das Motto der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) und der NPD lautet an diesem Tag: »Recht auf Gedenken – Der Wahrheit eine Gasse!« Das Bündnis »Dresden Nazifrei« will sich dem entgegenstellen und ruft zu Blockaden auf.
Auf die Blockaden angesprochen, sagte Orosz auf der Pressekonferenz lediglich: »Das Gericht hat entschieden.« Sie bevorzuge einen »symbolischen Schutzwall« an Stelle einer antifaschistischen Blockade. Das Verwaltungsgericht Dresden urteilte pünktlich zum Beginn der Kampagne des Bündnisses »Dresden Nazifrei«, dass die Polizei es »rechtswidrig unterlassen« habe, »durch Einsatz geeigneter polizeilicher Mittel« den Aufzug der JLO im vergangenen Jahr zu ermöglichen. Nun soll unter anderem die Immunität des Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im sächsischen Landtag, André Hahn, aufgehoben werden, weil er an den Blockaden im vorigen Jahr beteiligt war.

Mona Fries von »Dresden Nazifrei« will sich von dem Urteil nicht einschüchtern lassen. »Wir haben inzwischen ein so gutes Standing, dass für ein Durchprügeln des Naziaufmarsches ein sehr hoher politischer Preis zu zahlen wäre«, sagte sie. Man sei mit einem »flexiblen Blockadekonzept« auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet und rechne mit noch mehr Menschen als im Vorjahr, die sich an den Aktionen gegen den Naziaufmarsch beteiligen werden.
Die Frage, ob man überhaupt zusammen mit Orosz in einer Blockade stehen möchte, dürfte sich für viele Antifaschisten ohnehin erübrigen, wenn sie einen Blick auf das Geschichtsverständnis in den Reihen der Konservativen werfen. So strich die Oberbürgermeisterin eigenmächtig den folgenden Passus aus dem gemeinsamen Aufruf der Bündnispartner zur Menschenkette: »Der 13. Februar soll in diesem Jahr Auftakt für ein intensives Nachdenken über unser Verhältnis zu Geschichte und Engagement für die Zukunft sein. Der runde Tisch wird in den kommenden Monaten Vorträge und Diskussionen zur Dresdener Erinnerungskultur anbieten.« Das Nachdenken ist also nicht erwünscht. Der CDU-Kreisverbandsvorsitzende Lars Rohwer beschwerte sich in einer Pressemitteilung darüber, dass die Grünen mit den Bürgern der Stadt eine kritische Diskussion über das Gedenken führen wollten. Rohwer schrieb: »Die Dresdener haben ihre eigene Kultur der Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gefunden und jahrelang wahrhaftig gelebt.« Daran gibt es seiner Meinung nach »nichts zu rütteln«.
Die Erinnerung an den 13. Februar dauert in Dresden traditionell 365 Tage im Jahr. Die Diskussionen um ein »würdevolles Denkmal« für die bei der Bombardierung getöteten Dresdener werden im Frühling oder Herbst ebenso emotional geführt wie in den Wintermonaten. Im Sommer 2010 wurde auf dem Dresdener Heidefriedhof ein Denkmal mit dem Titel »Tränenmeer« eingeweiht. Die Skulptur zeigt ein zierliches, weinendes Mädchens, das vor einem Wasserbecken steht. Der Mythos von der unschuldigen Stadt wurde in Bronze gegossen. Die Öffentlichkeit hatte sogar Gold gefordert.

Es wird jedoch weiterhin diskutiert, wo und wie ein noch zentraler gelegenes Mahnmal in der Innenstadt errichtet werden könnte. Nahezu alle Fraktionen des Stadtrats haben sich mit Vorschlägen gemeldet. Besondere Popularität erlangte dabei die Idee, die 19 000 bekannten Namen der Toten in eine meterhohe Wand auf dem Altmarkt zu meißeln. Im Juni 2010 schrieb die Sächsische Zeitung dazu: »Es wäre richtig, ein Denkmal mit den Namen zu errichten. Da gibt es nichts zu prüfen, da muss man handeln. Und zwar noch heute.« Dass an einem solchen Mahnmal auch die Namen überzeugter Nationalsozialisten zu finden wären, stört offensichtlich nicht. In einer Internetabstimmung der Lokalzeitung votierten zwei Drittel der Dresdener für ein weiteres Denkmal, obwohl jährlich neue »Erinnerungsorte« eingeweiht werden.
Der Vorbereitungskreis »Keine Versöhnung mit Deutschland!« bleibt deshalb auch in diesem Jahr bei seinem Standpunkt: Es gelte, den Opferdiskurs anzugreifen, der als Grundlage für den Geschichtsrevisionismus der Nazis fungiert. Susen Blum vom Vorbereitungskreis sagt dazu: »Im Kern bleibt das Denken von Nazis, Bürgern, Kirche und Stadt ein und dasselbe. Es findet ein kollektiver Bezug auf deutsche Opfer statt. Diese Opfer­identität werden wir auch 2011 nicht hinnehmen.«