Was essen Linke?

Ein kritischer Konsum ist möglich!

Bewusste und gesunde Ernährung ist keine Askese, sondern ein Gewinn an Lebensqualität. Und solidarischer Konsum ist schlicht eine Frage der Solidarität. Die hedonistische Linke pflegt nur einen beliebigen Lebensstil wie andere auch.

Ich nehme keine Drogen, rauche nicht, trinke nicht, lebe vegan und versuche mich gesund zu ernähren. Mir wird moralische Selbstkasteiung vorgeworfen, obwohl dass alles nichts mit leidvollen, mühsamen Entbehrungen zu tun hat. Das Gegenteil ist der Fall. Eine gute, gesunde Ernährung bedeutet einem Gewinn an Lebensqualität.
Auch die paranoiden Verdächtigungen, die ich hin und wieder zu hören bekomme, ich wolle anderen ihren Drogenkonsum verbieten, sind haltlos. Wer gerne Fasching im eigenen Kopf feiern oder mal Urlaub von sich selbst machen will, dem wünsche ich viel Spaß. Die Entscheidung, einen drogenfreien Lebensstil zu führen, ist, anders als beim Veganismus (siehe Jungle World 38/2008), eine Geschmacksfrage und keine politische Entscheidung. Der individuelle Konsum oder Verzicht ist weder subversiv noch reaktionär, nur Begründungen für die jeweilige Entscheidung können es sein.

Sich in einer drogenorientierten Partykultur grundsätzlich Rauschmitteln zu verweigern, gilt dem linken Flügel der drogenfreien Straight-Edge-Bewegung als symbolischer Ausdruck des Unwillens, »äußeren Kräften zu erlauben, dein Leben zu kontrollieren«, wie es im »Antifa-Straight-Edge Manifest« von 2001 voller Pathos heißt. Und das gelte »nicht nur für Drogen, sondern auch für Konzerne, PolitikerInnen, Bullen, deine Eltern – was auch immer sich in den Weg eines selbstbestimmten Lebens stellt. Es ist ein Ausdruck dafür, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen«, schreiben die Straight-Edger, als sei ein Rausch kein selbst gewählter Zustand, sondern eine verschwörerische, manipulative Unterdrückung revolutionärer Subjekte.
Doch noch armseliger als dieser naive Straight-Edge-Quatsch ist die »Koksen-Kiffen-Kommunis­mus«-Fraktion der radikalen Linken mit ihrem betont hemmungslosen Hedonismus. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass es sich wie beim Straight Edge lediglich um einen weiteren subkulturellen Lebensstil handelt. Das Hardcore-Punkkonzert wird hier gegen ein Wochenende auf Drogen im Technoclub eingetauscht. Im Mittelpunkt steht das Lustprinzip mit dem »Recht auf Rausch«. Beim »Raven gegen Deutschland« wird zwar betont, dass man eigentlich doch noch etwas mehr will als nur gutes Koks, doch zur Solidarität mit dem eigenen kriminalisierten Koksdealer reicht es dann doch nicht. Wird der Genuss von Drogen zum subversiven Hedonismus verklärt, wird verdrängt, dass andere dafür einen viel höheren Preis zahlen müssen als die hedonistischen Endverbraucher. Schließlich sind Drogenkartelle nicht gerade für humane Angestelltenpolitik bekannt.
Teile der hedonistischen Linken entschuldigen das gerne mit dem bequemen Hinweis, dass es kein »richtiges Leben im falschen« (Theodor W. Adorno) gebe, und ignorieren, dass es sehr wohl »ein richtigeres Leben« (Peter Brückner) auch unter den Zwängen des Kapitalismus geben kann. Es kommt eben auf die Orientierung im Alltag an. Dazu gehört auch der reflektierte, kritische Konsum, der freilich immer eine Frage des Budgets ist.

Im Gegensatz zu den Konsumkritikern und »Fair Trade«-Ideologen aus dem Bioladen glaube ich trotzdem nicht an die Idee des moralisch guten Tauschhandels, der nur noch verallgemeinert werden müsse. Die Vorstellung, hier laufe alles nur deshalb falsch, weil die Menschen in den falschen Läden einkaufen, ist lächerlich. Boykott­aktionen gegen bestimmte Großkonzerne können bestenfalls die Politik einzelner Unternehmen beeinflussen, und vielleicht ist das in manchen Fällen immerhin etwas. Einen ökologischen oder sozialverträglichen Kapitalismus gibt es trotzdem nicht. Im schlimmsten Fall läuft diese Form der platten Konsumkritik auf Proteste gegen amerikanische Großkonzerne bei gleichzeitiger Bejubelung deutscher Biobauern hinaus, auf einen regressiven Primitivismus, der das einfache Leben als Gegenbild zur entfremdeten Warenwelt verkitscht.
Solidarischer Konsum ist hingegen eine Alltagspraxis. Es ist schlicht eine Frage der Solidarität, bei einer Antifaparty den Eintritt nicht zu prellen, sondern, wenn man kann, auch mal etwas mehr zu zahlen, als verlangt wird. Es kein revolutionärer Akt, sondern eine politische Anstandsfrage, ob man seine Bücher im linken Buchladen kauft, anstatt sie auf amazon.com zu bestellen. Einen Aufpreis für Korrektheit zu zahlen, macht die Welt zwar nicht viel besser, aber viele sympathische Projekte, bei denen es nicht um größtmöglichen Profit geht, brauchen genau diesen Solidaritätszuschlag, um zu überleben. Warum nicht einen Euro mehr für den Kaffe aus der autonomen Kooperative in Chiapas zahlen, auch wenn die beste Form der Solidarität ein Aufstand hierzulande wäre.