Die Miliz geht, die Polizei kommt

Am 1. März tritt in Russland das neue Polizeigesetz in Kraft. Fortan gibt es keine Milizionäre mehr, doch die neue Behörde erhält sogar zusätzliche Befugnisse.

Dmitrij Medwedjew beginnt sein viertes Amtsjahr als russischer Präsident und kann sich schon jetzt in der Gewissheit wiegen, dass er in die Annalen der Geschichte eingehen wird. Mit seiner Unterschrift besiegelte er die Abschaffung der Miliz in Russland, und damit geht zumindest offiziell eine fast 100jährige Ära zu Ende. Arbeiter- und Bauernmilizen wurden in Russland unmittelbar nach der Oktoberrevolution eingeführt, sie lösten die einst von Peter dem Großen gegründete Polizei ab. Medwedjew, der immer wieder von einer »Modernisierung« spricht, die allerdings auf sich warten lässt, folgt nun dem Vorbild des Zaren, indem er die russische Polizeibehörde wiederbelebt. Bereits am 1. März tritt das neue Polizeigesetz in Kraft.
Im vergangenen Sommer erhielt die Öffentlichkeit erstmals Einblick in das lang erwartete Gesetzesprojekt, das ausgerechnet unter der Federführung des Innenministeriums entstand. Allein schon der Umstand, dass eine als durch und durch korrupt verschriene Behörde sich selbst reformieren soll, ist bemerkenswert und deutet die Richtung der angestrebten Veränderungen an. So enthielt der erste Entwurf beispielsweise eine Passage, in der die Forderungen von Polizeiangehörigen generell als von Rechts wegen legitimiert gelten, »solange in der durch das Gesetz geregelten Ordnung nichts anderes festgestellt wird«. Immerhin wurde diese Formulierung nach der heftigen Kritik zahlreicher Experten und Duma-Abgeordneter gestrichen.

Dass überhaupt eine öffentliche Debatte vor der Gesetzesreform stattfand, ist allerdings nicht üblich und bedeutet bereits einen kleinen Fortschritt. Aber eben wirklich nur einen sehr bescheidenen, denn der neue Polizeiapparat übernimmt die Macht der mit zahlreichen Vollmachten ausgestatteten Miliz. Vom ursprünglich intendierten Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption der unbeliebten grauen Uniformträger bleibt nichts mehr übrig. Die Polizei behält weiterhin die Kontrolle über Bereiche, die ihr eigentlich entzogen werden sollten, wäre die Reform wirklich als Antikorruptionsmaßnahme angelegt. So zählen zu den Zuständigkeiten der Polizei auch weiterhin u.a. die An- und Abmeldung russischer und ausländischer Bürger, die lukrative Gebäudesicherung und der Tüv.
Aber es bleibt nicht nur die Basis für einträg­liche Geschäfte erhalten, die Hüter von Recht und Ordnung, die in Zukunft mit der im russischen Sprachgebrauch fast lächerlich anmutenden Anrede »Herr Polizist« bedacht werden sollen, erhalten sogar einige neue Vollmachten. In bestimmten Fällen, beispielsweise bei Massenunruhen, darf die Polizei von nun an ohne Gerichtsbeschluss in private Wohnräume eindringen. Lediglich die Staatsanwaltschaft muss innerhalb von 24 Stunden informiert werden.

Auch das Bankgeheimnis wird durch das neue Gesetz de facto aufgehoben. Selbst ohne eingeleitetes Strafverfahren kann die Polizeibehörde Daten der Konten von Unternehmern und anderen juristischen Personen abfragen. Und nach einem »Kontrollgang« des russischen Präsidenten in die Moskauer Metro wurde kurzerhand das polizeiliche Recht auf Gepäckdurchsuchung ohne konkreten Verdacht gegen Passagiere hinzugefügt.
Die Frage nach der Aufsicht über die Arbeit der Behörde findet hingegen bezeichnenderweise erst am Schluss des Gesetzestextes Erwähnung. Ginge es allein nach dem Willen der polizeilichen Verfasser, beschränkten sie sich auf Selbst­kon­trolle. In der gültigen Fassung ist lediglich allgemein von »öffentlicher Kontrolle« die Rede.
Sogar Medwedjew hält das Gesetz für verbesserungswürdig. Womöglich würde er wirklich gerne einen »Modernisierungsprozess« in Gang setzen, wenn er nach eigenen Vorstellungen handeln könnte. So aber ist das neue Polizeigesetz lediglich ein Indiz dafür, dass der Präsident praktisch keinen Einfluss auf den Sicherheitsapparat hat. Dies bestätigt jene, die ihn für einen Verwalter bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 halten, bei denen Wladimir Putin wieder kandidieren darf.