Sozialismus für Besitzer, Kapitalismus für Spieler

Was Barack Obama als Kampf zwischen Milliardären und Millionären bezeichnete, geht in die Verlängerung. Die Tarifverhandlungen im American Football drohen trotzdem zu scheitern.

Den Profis der amerikanischen National Football League (NFL) droht die Aussperrung, den Fernsehsendern eine Umsatzeinbuße und den Fans der in den USA beliebtesten Sportart die Langeweile. Die neueste Deadline, die sich die Eigentümer und die Spielergewerkschaft für ein Verhandlungsergebnis gesetzt haben, endet am kommenden Freitag um Mitternacht.
Die ursprüngliche Frist für eine Verlängerung oder Modifizierung des »Collective Bargain Agreement« (CBA), des laufenden Tarifvertrags, auf den sich die Spielergewerkschaft NFLPA und die NFL-Bosse fünf Jahre zuvor geeinigt hatten, war bereits eine Woche zuvor abgelaufen: Je näher am 4. März die Zeit an Mitternacht heranrückte, desto nervöser gaben sich die Sportjournalisten, und die Football-Fanwebsite savenextseason.com konnte so viele Zugriffe wie nie zuvor verzeichnen. Aber die Gespräche, die sich über die vergangenen zwei Jahre hingezogen hatten, blieben ergebnislos. Alles, was Millionen Football-Fans schon seit vielen Monaten befürchtet hatten, schien nun einzutreten: Spieleraussperrung, dazu endlose Gerichtsverfahren sowie – worst case – ein verspäteter Saisonstart oder gar der Ausfall der Saison, die im September beginnen sollte, sowie das Nichtstattfinden des Superbowl 2012. Doch dann liefen die Drähte heiß. Man habe sich auf eine 24-stündige Verlängerung der Verhandlungen geeinigt, hieß es zunächst – und kurz darauf gaben NFL-Chef Roger Goodell und Gewerkschaftsanwalt DeMaurice Smith eine weitere Verlängerung der Frist bis zum Freitag, 23:59 Uhr Ortszeit bekannt.
Eine erneute Verlängerung der Verhandlungen schließen viele Beobachter inzwischen allerdings aus. Eine Einigung sei unwahrscheinlich, hieß es am Wochenende, schon vor der Wiederaufnahme der Verhandlungen, in der New York Times. Denn die Geister würden sich an der zentralen Frage scheiden, den Finanzen.
Der Haupstreitpunkt besteht in der Verteilung der neun Milliarden Dollar, die die NFL trotz Wirtschaftskrise jährlich einnimmt. Diese Summe macht sie zum erfolgreichsten Sportunternehmen weltweit. Dem Collective Bargain Agreement von 2006 zufolge geht davon eine Milliarde direkt an die 32 Besitzer der NFL-Teams. Deren aktuelle Forderung besteht in einer Erhöhung dieser Summe um 100 Prozent auf zwei Milliarden Dollar. Das Argument der Eigentümer lautet kurz und bündig: Wirtschaftskrise. Die Einnahmen der Teambesitzer seien im Zuge der Rezession pro NFL-Team um gut 20 Millionen Dollar gesunken. Was sich allerdings, so das Gegenargument der NLFPA, nicht nachweisen lasse, denn die reichste Sportliga der Welt lässt sich nicht in die Bücher schauen.
Nicht schlecht sieht auf jeden Fall die Summe aus, die bisher durch das CBA den etwa 1 700 Profi-Spielern zufloss, pro Jahr sind das rund 4,8 Milliarden Dollar. Das macht ein durchschnittliches Jahresgehalt von 2,8 Millionen Dollar pro NFL-Footballer und summiert sich auf zehn Millionen Dollar, die jeder der Athleten während seiner Karriere verdient.
Die neue Forderung der Teambesitzer, eine zusätzliche Milliarde vorweg auf ihr eigenes Konto und dann eine 60-zu-40-Verteilung, würde aber bedeuten, dass die Spieler erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssten.
Den auf den ersten Blick merkwürdigen »Klassenkampf« zwischen Liga und Gewerkschaft bezeichnete US-Präsident Barack Obama vergangene Woche als Streit zwischen Milliardären – den Eigentümern – und Millionären – den Footballprofis. Er hoffe, die beiden Parteien würden sich einigen, ohne ihn zur Intervention zu zwingen. Obama präsentierte sich mit dieser Äußerung freilich als unwilliger Mittler zwischen Fronten, die sich keinesfalls ebenbürtig gegenüberstehen. Der Sportjournalist, Football-Fan und – wie viele amerikanische Linke – »kritische Obama-Unterstützer« Dave Zirin schrieb dazu in der Zeitschrift The Nation, Obama zeige sich seit seiner Amtsübernahme den Gewerkschaften gegenüber unfreundlich und sei insgesamt von ihnen »genervt«. Dabei gebe es ausreichend Gründe für Football-Fans, Gewerkschafter und fortschrittlich Gesinnte, sich hinter die Spieler zu stellen: Der Angriff gehe von den Teambesitzern aus. Sie forderten eine Vereinbarung, die auf »Sozialismus für die Reichen und Kapitalismus für die Spieler und die Fans« hinauslaufe. Tatsächlich soll die Gewerkschaft Lohneinbußen sowie zwei zusätzliche Spieltermine pro Saison hinnehmen. Außerdem, führt Zirin weiter aus, würden die Spieler und ihre Familien im Falle eines lockout, also einer Aussperrung, von der Gesundheits- und Krankenversorgung abgeschnitten werden. Den Eigentümern gehe es ohnehin nicht schlecht, da sie von den Fernsehsendern gigantische Beträge für die Übertragungsrechte erhalten, selbst wenn ein Katastrophenfall wie ein Unwetter oder ein Spielerstreik eintritt.
Und zu guter Letzt führt Zirin ein Argument an, das derzeit auch viele Mainstream-Journalisten zugunsten der Spielergewerkschaft und der Qualität des Football insgesamt zurecht vorbringen: das große Berufsrisiko und die Verletzungsgefahr der Spieler in diesem immer brutaler werdenden Sport. Jeder zehnte Football-Profi hat heutzutage mit einer schweren Kopfverletzung zu rechnen. Rollstuhl oder Demenz zählen nach einer durchschnittlichen Spielerkarriere von nicht einmal vier Jahren zum normalen Berufsrisiko, und die Lebenserwartung liegt 20 Jahre niedriger als der Durchschnitt.
Die Spielergewerkschaft fordert deshalb bessere Arbeitsbedingungen. Nicht einig ist man sich innerhalb der Spielergewerkschaft NFLPA Gerüchten zufolge allerdings über das weitere Vorgehen. So soll es eine Fraktion geben, die nichts gegen ein lockout hätte und in diesem Fall eine Sammelklage gegen die Eigentümer in die Wege leiten und individuelle gerichtliche Vereinbarungen treffen möchte. Andere wiederum setzen auf eine Verbesserung der Lage am Verhandlungstisch und sind dazu zu Zugeständnissen bereit.
Falls es zu einem lockout kommen sollte, würde der Zorn der Fans vermutlich hauptsächlich die Spieler treffen. Bei der 310-tägigen Aussperrung in der Eishockey-Liga NHL von September 2004 bis Juli 2005 machten 52 Prozent der Befragten die Sportler verantwortlich, nur 21 gaben den Teambesitzern die Schuld. Dass die Einschaltquoten in der Folge spürbar sanken, lag allerdings daran, dass die Ligaspiele nicht mehr von den großen Networks übertragen wurden.