Die BVB-Fans und die Attacken der spanischen Polizei in Sevilla

Welcome to Spain!

Beim Europa-League-Spiel von Borussia Dortmund in Sevilla im Dezember 2010 kam es zu Knüppelattacken der spanischen Polizei. Die BVB-Fans fordern eine Untersuchung der Vorfälle.

Es sei »nicht nur eine überzogene Polizeiaktion, sondern eine pure Machtdemonstration« gewesen. »Es war einfach Glück, dass ich nicht verletzt oder verhaftet worden bin«, sagt Daniel Lörcher im Rückblick auf die Nacht von Sevilla am 15. Dezember. Er ist einer der zwei Vorsänger von »The Unity«, der größten Dortmunder Ultra-Gruppierung, und war gemeinsam mit 3 000 anderen Fans zum letzten Gruppenspiel in der Europa League nach Sevilla gereist. Erleben mussten sie an diesem Mittwochabend nicht nur das Ausscheiden ihrer Mannschaft, sondern auch willkürliche Prügelorgien der spanischen Polizei, Drangsalierungen und Verhaftungen.
Berichte von Betroffenen und Augenzeugen der Ereignisse von Sevilla gibt es genügend. Nach einem Aufruf von Verein und Fanabteilung stapelten sich die Berichte auf dem Schreibtisch des Dortmunder Fanbeauftragten Jens Volke, der ebenfalls an Ort und Stelle war. Aus den Schilderungen ergibt sich ein Bild von bewusster Eskalation und brutaler Willkür der Polizei.
Dabei verlaufen die Stunden vor dem Spiel zunächst entspannt. Viele BVB-Fans versammeln sich am Treffpunkt, den die spanische Polizei vorher benannt hat – ein Einkaufszentrum mit mehreren Lokalen in der Nähe der Universität. Es gibt keine Auseinandersetzungen, keine Beschwerden der Anwohner. Die Probleme beginnen mit dem Marsch zum Stadion. Lörcher ist in den ersten Reihen dabei: »Wir haben ein ungutes Gefühl bekommen, als sich die Polizisten auf einmal vermummt haben. Dann haben sie angefangen, den Leuten die Bierflaschen oder Becher aus der Hand zu schlagen.« Auch zu ersten Attacken mit Schlagstöcken soll es in den hinteren Reihen bereits gekommen sein. Aus dem Mob fliegen Bierdosen und Orangen. »Manche Fans haben sicher nicht besonnen reagiert«, sagt Lörcher. »Aber das rechtfertigt das Verhalten der Polizei nicht.«
Anders der Tenor in der spanischen Presse. Die Tageszeitung El Pais berichtet von »800 gewalttätigen Fans, die schon Probleme in anderen europäischen Städten verursacht haben«. Auswärtsfans sind in Spanien in den vergangenen Jahren rar geworden, hohe Kartenpreise im Gästeblock und die Erfassung der persönlichen Daten schrecken ab. Mit den Tausenden Dortmund-Fans ist die Polizei offenbar überfordert. »Der Fall ist leider alles andere als eine Ausnahme«, meint Daniela Wurbs vom Fannetzwerk Football Supporters Europe (FSE). »Wir haben von unseren spanischen Mitgliedern schon häufiger gehört, dass die Polizei nicht an Nachfragen, Widerspruch oder gar Gegenwehr von Fans gewöhnt ist und darauf entsprechend harsch reagiert.«
Vollends aus dem Ruder läuft die Situation vor dem Stadion: Ein drei Meter breites Eingangstor soll für die 3 000 Gästefans reichen, von hinten wird geschoben, vorne wird gedrückt. Die Polizei schlägt auf Fans ein, reitet mit Pferden durch die Menge, treibt einen großen Pulk ins Stadion. Daniel Lörcher bleibt zunächst draußen. »Ich habe mich zusammen mit einigen anderen um Verletzte gekümmert: Die Leute hatten Atemnot von Schlägen auf die Brust, Platzwunden, ein Fan hatte eine zertrümmerte Nase und einen vier Zentimeter langen Cut auf der Stirn.«
Auch im Stadion führt die Polizei das Regiment. Spätestens zu diesem Zeitpunkt steht auch der Verein FC Sevilla in der Kritik, dessen privater Ordnerdienst Prosegur tatenlos zusieht. Aber nicht nur deswegen ist für den Fanbeauftragten Jens Volke der Heimverein an dem Desaster beteiligt: »Der Gästesektor war total baufällig und nur durch lose zusammengehaltene Bauzäune abgesperrt. Es hat keinerlei Verpflegung und nur fünf Dixi-Klos gegeben, von denen zwei gesperrt wurden.« Lörcher gelangt vor Spielbeginn noch in den Block. Dort reagieren einige Dortmunder Fans mit drastischen Mitteln auf die Prügelattacken der Polizei. Daniel Lörcher sagt: »Es sind Sitzschalen geworfen worden. Ich will das gar nicht gutheißen, aber das war einfach eine Möglichkeit, sich die Polizei vom Leib zu halten.«
Nach dem Spiel werden Fans gezielt aus der Menge herausgezogen und festgehalten, vor allem die um die Vorsänger gruppierten und auffälligere Anhänger sind betroffen. »Ich habe so eine Härte noch nie erlebt«, sagt Rene*, einer der 16 Verhafteten. »Mein Eindruck war, dass die richtig Spaß daran hatten, Leute zu schlagen. Es ging gegen jeden, egal ob Mann, Frau, ältere Leute oder junge Ultras.« In Handschellen wird Rene auf die Wache gebracht und von einem Polizisten mit »Welcome to Spain« begrüßt. »Wir haben bis zum nächsten Morgen nichts zu trinken bekommen und durften nicht auf die Toilette.« Die Dortmunder erfahren von einer Dolmetscherin, dass ihnen Landfriedensbruch und Störung der öffentlichen Ordnung zur Last gelegt werden.
Am nächsten Tag geht es zum Gericht, es folgt eine weitere erkennungsdienstliche Behandlung und am Nachmittag ein Angebot, das niemand ablehnen will: eine Bewährungsstrafe von acht Monaten, auf drei Jahre ausgesetzt, und eine Geldstrafe von 120 Euro. »Die Alternative war, dass wir einem Richter vorgeführt werden. Das hätte noch Tage dauern können«, sagt Rene. »Wir wollten nach Hause und haben unterschrieben.« Am späten Donnerstagabend kommen alle verhafteten Fans frei, sie werden von Jens Volke in Empfang genommen und können neue Flüge nach Hause buchen.
»Was da abgelaufen ist, hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Selbst wenn sich 200 Fans falsch benommen hätten, wäre das kein Grund für diese Prügelorgie der Polizei gewesen«, sagt Jens Volke. Borussia Dortmund hat auf Betreiben der Fanabteilung bei der UEFA eine Stellungnahme eingebracht und sich über die Behandlung der Fans beschwert. Der europäische Verband fragte seinerseits beim FC Sevilla nach, das Ergebnis bleibt abzuwarten.
Vom Fan-Netzwerk Football Supporters Europe kommt ebenfalls Unterstützung: »Wir haben für die BVB-Fans Kontakte zu spanischen Regierungsbehörden und den Fußballverbänden hergestellt und werden weiter dranbleiben«, sagt Daniela Wurbs. Inzwischen beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit den Vorfällen in Sevilla. Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes will die Geschehnisse mit Studierenden aufarbeiten und hat dazu eine »Task Force« unter Mitwirkung der Dortmunder Fanabteilung eingerichtet. Ein Kollege aus Sevilla hat seine Mitarbeit angeboten.
Die spanische Polizei steht nach Übergriffen auf Fußballfans nicht zum ersten Mal in der Kritik. Jens Volke hat Presseberichte aus den vergangenen Jahren gesammelt: Betroffen waren unter anderem Tottenham-Supporter in Sevilla, Fans von Olympique Marseille bei Atletico Madrid und FC-Bayern-Anhänger in Getafe. Für Rene kommen diese Warnungen zu spät: »Wenn du zum Fußball fährst, rechnest du nicht damit, dass du am Ende fast 24 Stunden im Gefängnis sitzt. Im Moment bin ich nicht einmal sicher, ob ich für meinen geplanten Sommerurlaub nach Spanien einreisen darf.«

* Name von der Redaktion geändert
Leicht überarbeitete und gekürzte Fassung eines Artikels aus der Februar-Ausgabe des österreichischen Fußballmagazins »Ballesterer«.