Über die Wahlerfolge des rechtsextremen Front National

Rechts en vogue

Bei den französischen Départementswahlen erreichte der Front National ein Rekordergebnis in seiner bisherigen ­Parteigeschichte.

Der 41jährige Vizepräsident des Front National (FN), Louis Aliot, sprach von einem »Augenzwinkern der Geschichte«. Ausgerechnet die Stadt Carpentras wählte am Sonntag einen Kandidaten des rechtsextremen FN zu ihrem Vertreter im Bezirksparlament des Départements Vaucluse. Patrick Bassot erhielt knapp 54 Prozent der Stimmen. Neben ihm gelang es nur noch einem weiteren Kandidaten des FN, Jean-Paul Dispard, mit absoluter Mehrheit ins Bezirksparlament gewählt zu werden. Er kam in Brignoles, das in der Nähe von Toulon liegt, auf 50,03 Prozent der Stimmen.

Carpentras hat in der Geschichte des FN eine besondere Bedeutung. In der Stadt in der Provence wurde in der Nacht zum 8. Mai 1990 der jüdische Friedhof geschändet. Die Grabsteine wurden mit Parolen beschmiert und zerstört, die Leiche des kurz zuvor beerdigten 83jährigen Félix Germon wurde ausgegraben und auf den Pfahl eines Sonnenschirms aufgespießt. Die französische Öffentlichkeit reagierte schockiert, 200 000 Menschen nahmen in Paris an einer Demonstration teil, die sich vor allem gegen den FN richtete. Die rechtsextreme Partei feierte in jener Zeit Erfolge, ihr damaliger Vorsitzender, Jean-Marie Le Pen, hatte wenige Tage vor der Schändung des jüdischen Friedhofs in Carpentras mit antisemitischen Äußerungen Aufmerksamkeit erregt. An der Demonstration in Paris nahm auch der damalige Staatspräsident François Mitterand teil.
Der FN sprach von einem »staatlichen Komplott« gegen die Partei. Jahrelang forderte der FN seine »Rehabilitierung«, im November 1995 mobilisierte die rechtsextreme Partei ihre Kader und fuhr von Paris in einem sogenannten Zug der Wahrheit nach Carpentras, um dort eine Demonstration zu veranstalten. Sieben Monate später wurden die Täter gefasst. Ende Juli 1996 stellte sich Yannick Garnier, ein früherer Neonazi, der Polizei. Aufgrund seines Geständnisses wurden vier Täter gefasst und zu Haftstrafen verurteilt. Es handelte sich um aktive und ehemalige Neonazis, die nicht dem FN, sondern dem Skinheadmilieu angehörten. Garnier jedoch war als Jugendlicher dem FN beigetreten und hatte erklärt, er sei von der Ideologie der rechtsextremen Partei entscheidend geprägt worden.
Unter seiner neuen Vorsitzenden, Marine Le Pen, distanziert sich der FN offiziell von Auschwitz­leugnung und NS-Nostalgie, stattdessen favorisiert die Partei eine Mischung aus Philosemitismus und Einwandererfeindlichkeit. Das Vorbild für diese Ausrichtung sind erfolgreiche rechtsextreme Parteien in Westeuropa, die es im Unterschied zum FN geschafft haben, mit bürgerlichen Kräften Bündnisse einzugehen. Doch mitunter kehrt das Verdrängte zurück. Am Samstag kündigte die rechtsextreme Partei kurzfristig den Ausschluss eines 20jährigen Kandidaten für die Bezirksparlamentswahlen in Grenoble an, nachdem Fotos von ihm publik geworden waren, auf denen er den Hitlergruß zeigt. Der 20jährige Alexandre Gabriac war schon zuvor einschlägig bekannt, im Jahr 2009 war er wegen rassistischer Äußerungen und Prügeleien zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Seit den Regionalparlamentswahlen im März 2010 sitzt er für den FN im Parlament in Lyon. Am Sonntag erhielt er in seinem Wahlkreis 24,3 Prozent der Stimmen. Dem FN war es nicht mehr gelungen, einen neuen Kandidaten aufzustellen.
An den beiden vergangenen Sonntagen wurden insgesamt 2 026 Sitze in den französischen Bezirksparlamenten neu besetzt, in den 100 französischen Départements wurde die Hälfte der Mandatsträger gewählt. Es handelte sich um die einzige Wahl von Bedeutung in diesem Jahr, eine Art Generalprobe vor den Präsidentschafts- und den kurz darauf folgenden Parlamentswahlen, die im kommenden Jahr stattfinden werden.

Der FN wollte »den Marine-Effekt bestätigen« und hoffte darauf, von der gewaltigen Zustimmung zu profitieren, die seine neue Vorsitzende und Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen derzeit in Umfragen erhält.
Bei den Bezirksparlamentswahlen trat der FN in 1 440 von insgesamt 2 026 Wahlkreisen mit eigenen Kandidaten an. Nicht überall hatte er Bewerber finden können. Dort, wo er antrat, erreichte der FN im ersten Wahlgang durchschnittlich 19,18 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Auf überregionaler Ebene ist das ein Rekordergebnis für die Partei.
An den Stichwahlen am Sonntag konnte sich der FN in 400 Wahlkreisen beteiligen. Die Voraussetzung dafür war, dass seine Kandidaten in der ersten Runde von mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden waren – der eingeschriebenen Wähler, nicht der abgegebenen Stimmen, so dass bei niedriger Wahlbeteiligung in der Regel 20 Prozent der Stimmen erforderlich waren.
Dort, wo der FN am Sonntag an der Stichwahl teilnahm, erzielten seine Kandidaten im Durchschnitt 35,5 Prozent der Stimmen. Nach Angaben des Innenministers erreichte der FN im landesweiten Durchschnitt 11,1 Prozent. Diese Zahl berücksichtigt jedoch nicht, dass die Partei nur bei einem Viertel der beteiligten Wahlkreise in der Stichwahl vertreten war.

Eine wichtige politische Frage zwischen den beiden Wahlgängen war, wie sich der konservativ-wirtschaftsliberale Bürgerblock dort positionieren würde, wo nur noch rechtsextreme und sozial­demokratische Kandidaten in der Stichwahl gegeneinander antraten. Dies war in 206 Wahlkreisen der Fall. Der Parteivorsitzende der in Paris regierenden UMP, Jean-François Copé, erklärte am Abend des ersten Wahlgangs, er wolle seinen Wählern »die Freiheit (der Entscheidung) zu überlassen«. Es gab also weder einen Stimmaufruf zugunsten rechtsextremer Kandidaten noch ein Bündnis mit den übrigen demokratischen Parteien, und vor allem gab es keine Aufforderung, für die sozialdemokratischen Bewerber zu stimmen, um dem FN den Weg zu versperren.
Diese Positionierung rief teilweise heftige Kritik hervor, auch der amtierende Premierminister François Fillon distanzierte sich von dieser Linie, die jedoch am Mittwoch voriger Woche von Präsident Nicolas Sarkozy ausdrücklich bekräftigt wurde.
In den Wahlkreisen, wo der FN gegen sozialdemokratische Bewerber antrat, konnte er von den bürgerlichen Wählerstimmen profitieren. Für die absolute Mehrheit reichte es vielerorts dennoch nicht. Diese wird die extreme Rechte auch künftig wohl nur in einem Bündnis mit konservativen Kräften erreichen. Aber ein Teil der bürgerlichen Rechten scheint sich immer deutlicher darauf vorzubereiten.