Hassan R. im Gespräch über das Leben als LGBT in Ägypten

»Das Hauptproblem ist nicht der Staat, sondern die Gesellschaft«

Hat die Revolution bisher diskriminierten Minderheiten wie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Transgendern zu mehr Freiheiten verholfen? Wie lebt es sich als Homosexueller in Ägypten? Die Jungle World sprach mit Hassan R., einem 25jährigen Homosexuellen, der in Kairo im Bildungsbereich ­arbeitet.

Sie leben in der 25-Millionen-Stadt Kairo. Gibt es dort eine große schwule Szene?
Nein. Kairo ist kein guter Ort, um als Schwuler zu leben. Es ist hier unmöglich, Homosexualität offen zu zeigen, es gibt keine Orte, wo wir uns offen treffen können. Wenn, dann höchstens in Privatwohnungen, und auch dort ist das immer noch eine heikle Angelegenheit. Seit 2001 das »Queen Boat« – das ist ein Boot, auf dem Schwulenpartys stattfanden – von der Polizei gestürmt wurde und zahlreiche Leute festgenommen wurden, hat sich die Situation nochmal verschlechtert.
Wie findet man sich, wenn man nicht öffentlich zeigen kann, dass man schwul ist?
(lacht) Wir treffen uns auf der Straße. Man sieht sich in die Augen und weiß Bescheid. Vieles läuft inzwischen natürlich auch über das Internet ab.
Ist Homosexualität in Ägypten verboten?
Nein. Es gibt eigentlich keine legale Grundlage dafür, dass Homosexuelle von der Polizei verhaftet werden. Es ist nur verboten, Gewalt in Beziehungen anzuwenden oder nicht einvernehmlichen Sex zu haben. Die Polizei nutzt die allgemeine Homophobie aus: zum Beispiel, indem sie Geld erpresst, wenn sie Schwule oder Lesben erwischt. Oder damit droht, sie andernfalls wegen Prostitution oder Trunkenheit mitzunehmen. Die Diskriminierung hat keine legalen, sondern rein kulturelle Ursachen. Das Hauptproblem ist nicht der Staat, sondern die Gesellschaft. Die Familien, die Freunde, das Umfeld.
Weiß Ihre Familie denn Bescheid?
Nein. Es ist unmöglich, meiner Familie zu sagen, dass ich schwul bin. Einige meiner sehr engen Freunde wissen davon. Aber ich bin sehr vorsichtig damit, wem ich das erzähle. Einer meiner Freunde wurde von seiner Familie rausgeworfen, als er es ihnen erzählt hat. Sie interessieren sich heute nicht mal mehr dafür, ob er überhaupt noch lebt. Ein anderer Freund wurde von seinem Bruder auf einer Feier gesehen, und dieser hat es der Familie erzählt. Sie haben ihn nackt ausgezogen und vor allen Geschwistern verprügelt, ehe sie ihn auf die Straße gesetzt haben. Sie glauben, einen schwulen Sohn zu haben, bringe Schande über die ganze Familie.