Über den geplanten »Warnschussarrest«

Der ideale Täter

Auf die Verschärfung des Jugendstrafrechts hatte sich die Bundesregierung schon in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Ein Angriff auf einen Passanten in einem Berliner U-Bahnhof wird nun genutzt, um das Vorhaben zu verwirklichen.

Schon der militärisch anmutende Klang des Wortes Warnschussarrest erweckt den Eindruck von Strenge und Unnachgiebigkeit. Dieses Wort passt nicht nur perfekt zum Tonfall, den Law-and-Order-Politiker gerne anschlagen, es wurde sogar von einem ihrer prominentesten Vertreter erfunden. Roland Koch forderte im hessischen Landtagswahlkampf 2009 die Einführung eines »Warnschussarrests« für Jugendliche, mit wenig Erfolg, die CDU wurde zum Wahlverlierer. Vielleicht hatten die Wähler bemerkt, dass dem Begriff ein Denkfehler zugrunde liegt, denn ein Arrest wird erst dann verhängt, wenn zuvor sämtliche Warnungen fehlgeschlagen sind. Koch trat vor fast einem Jahr von seinem Posten als Ministerpräsident zurück, weil es ihm in der Politik an gestalterischen Möglichkeiten mangele. Nun tritt die schwarz-gelbe Regierung an, um sein politisches Erbe zu verwalten. Geplant war das schon länger, bereits im Koalitionsvertrag hatte man sich auf eine Verschärfung des Jugendstrafrechts verständigt, es fehlte nur der Anlass, um die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Vorhabens zu überzeugen.
Am Osterwochenende ereignete sich eine Straftat, die vor allem Politikern der CDU und CSU geeignet erschien, um die lang geplante Verschärfung des Jugendstrafrechts in die Tat umzusetzen und den Warnschussarrest einzuführen. In der Nacht zum 23. April griff ein 18jähriger Schüler im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße einen 29jährigen Installateur an. Der Jugendliche hätte den Mann beinahe totgetreten, wenn nicht ein anderer Passant eingeschritten wäre. Der Angriff wurde von Überwachungskameras festgehalten, das Video, das im Internet gezeigt wurde, demonstrierte eindrucksvoll die Brutalität des Angreifers. Abgesehen von seiner Gewaltbereitschaft entspricht der Täter allerdings kaum den Klischeevorstellungen, die man hierzulande vom jugendlichen Delinquenten hat. Ein Juristensohn, der im noblen Bezirk Heiligensee wohnt und ein Gymnasium besucht. Über Immanuel Kant sagt er, dass er ihn »inspiriert« habe, wie der Spiegel berichtete. Ein Gymnasiast, der einen Handwerker beinahe totgeschlagen hat, und eine Tat, die sich nicht in den üblichen verdächtigen Berliner »Problembezirken« Neukölln oder Wedding ereignete, sondern mitten »im Herzen« der Metropole, ganz in der Nähe des Regierungsviertels. Das scheinen ideale Voraussetzungen zu sein, um den Warnschussarrest zu fordern. Hier hat jemand zugeschlagen, dessen familiärer Hintergrund der Wählerklientel von CDU und CSU zugerechnet werden kann. Politiker beider Parteien fordern schon seit über 20 Jahren härtere Strafen für Jugendliche. Nun haben sie einen Gewalttäter gefunden, bei dem sie auf das durch kein Mitleid gemilderte Ressentiment der Bevölkerung hoffen dürfen.
Dass das bestehende Jugendstrafrecht kaum milder als das für Erwachsene ist, spielt in der derzeitigen Debatte keine Rolle. Im Unterschied zum Strafrecht für Erwachsene ist es flexibler, es lässt bereits Arreste und Arbeitsauflagen zu. Die Regierung möchte nun als »Warnschuss« einen Arrest verhängen, wenn der Täter »nur« zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Vier Wochen in einer Arrestzelle sollen sicherstellen, dass er die Strafe »ernster« nimmt. Der Deutsche Richterbund bemerkte dazu lapidar, dass derzeit ohnehin sämtliche Arrestzellen der Republik für Monate besetzt sind. Die Arreststrafe scheint also ein echtes Erfolgsmodell zu sein.