Tanzen ist das neue Grillen

Berlin Beatet Bestes. Folge 94. Tempelhof Swing 2011.

Die Geschichte des Tempelhofer Flughafens beginnt 1923, als der Linienverkehr nach München aufgenommen wurde. 1927 hatte der mitten in der Stadt gelegene Flughafen als weltweit erster sogar eine Anbindung an die U-Bahn. Auf dem Tempelhofer Areal wurde 1933 aber auch das erste Konzentrationslager Berlins errichtet. Später mussten dort Tausende von Zwangsarbeitern für die Rüstungsindustrie schuften. 1945 wurde der Tempelhof Central Airport eingerichtet. Als amerikanischer Militärstützpunkt diente Tempelhof während der Blockade West-Berlins zwischen 1948 und 1949 der lebensnotwendigen Versorgung der Berliner Bevölkerung.
Zufällig wohne ich in der Nähe des Flughafens, und bis er 2008 seinen Betrieb einstellte, war es ein ganz besonderes Vergnügen, zu Fuß zum Terminal zu gehen, einzuchecken und dann ebenfalls zu Fuß das Rollfeld zu betreten und loszufliegen. Als darüber abgestimmt wurde, ob der Flugbetrieb eingestellt werden sollte oder nicht, stimmte ich deshalb dagegen. Jetzt ist das Tempelhofer Feld ein öffentlicher Park und als Park super! Die Kulisse, eingerahmt vom alten Flughafengebäude und der umgebenden Stadtsilhouette und ausgerichtet an den Achsen der Rollfelder, ist einzigartig. Da er noch kaum bepflanzt ist, kann man wie in keinem anderen Berliner Park den Blick weit in die Ferne schweifen lassen. Als wäre er nie etwas anderes als ein Park gewesen, besuchen ihn täglich Zehntausende, um zu grillen, zu joggen, Drachen steigen zu lassen, Fußball und Baseball zu spielen oder einfach nur herumzuhängen.
Seit einem halben Jahr tanzen meine Freundin und ich Swing und gehen relativ regelmäßig zu Tanzveranstaltungen. Was liegt also näher, als auch mal im Park zu tanzen? Am Ostermontag brachten wir zwei batteriebetriebene Plattenspieler, Decken und selbstgebackene Muffins mit und bauten uns in einer ruhigen Ecke in der Mitte auf. Was zunächst nur als kleine Freiluftparty für unseren Tanzkurs gedacht war, wuchs sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Mini-Swing-Rave mit über 100 Leuten und 30 Tanzpaaren aus. Unsere Veranstaltung hatte sich über die Social Networks in der Berliner Swing-Gemeinde herumgesprochen, und jetzt tanzten auf diesem histo­rischen Grund Berliner zu amerikanischem Bigband Swing, Bebop und Rhythm’n’Blues, zu jiddischem Swing der Barry Sisters und Nachkriegs­swing von Ilja Glusgal, Bully Buhlan und Rita Paul. Nur zum Spaß legte ich den ultra­schnellen »Tiger Rag« von Louis Armstrong auf, sicher, auf diese Weise im Nu die Tanzfläche zu leeren. Ich und die anderen aus unserem Tanzkurs können dazu noch nicht tanzen, ein versiertes Paar legte jedoch ein beklatschtes Solo hin. Sogar der Shim Sham, ein choreografierter Reihentanz, wurde getanzt. Aufgeheizt und erschöpft von der Sonne und stundenlangem Tanzen ging der Abend zu Ende. Wir werden sicher wiederkommen.