Über die Bilder der Revolte in Tunesien

Das Gesicht der Revolution

Der tunesische Fotograf Hamideddine Bouali hat die Proteste in Tunis und Sidi Bouzid begleitet und mit seinen Bildern von der Revolte auch international Beachtung ­gefunden. Die Fotos der Flüchtlingsströme, die er heute schießt, sind im Ausland nicht ganz so begehrt.

Die tunesische Revolution ist überall, in den Schlagzeilen der Zeitungen, in den Reden der Politiker, in den Gesprächen in den Cafés und auf Facebook. Auch die Galerien hat sie erobert. Und das Mad’Art, das kulturelle Zentrum des Städtchens Karthago, 20 Kilometer nordwestlich von Tunis. Das Mad’Art ist ein modernistisches Gebäude mit einer großen Glasfront hinter vier hohen Säulen. Im schattigen Eingangsbereich schlägt eine Gruppe Teenager die Zeit tot.
»Révolution à la tunisienne – le fil rouge« (Revolution auf tunesisch – Der rote Faden) prangt in großen Lettern auf dem Plakat, das die linke Vorderseite des Kulturzentrums ziert. In dem lichtdurchfluteten Raum hinter der großen Glasfront befindet sich die Ausstellung mit großformatigen Fotos, die Hamideddine Bouali im Januar und Februar in Tunis aufgenommen hat. Es war die Zeit kurz vor und nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Ben Ali. Entstanden sind Bilder von den wichtigsten Ereignissen aus diesen Wochen. Das Bild vom 14. Januar etwa, dem Tag, als Ben Ali nach Saudi-Arabien floh, zeigt eine Masse von Demonstranten, in deren Mitte der Sarg eines getöteten Rebellen getragen wird. Ein anderes Foto zeigt ein junges Pärchen bei der ersten Besetzung der Place de Kasbah, wo Jugendliche campierten, die aus den ärmeren Landesteilen mit einer Karawane nach Tunis gekommen waren, um die Interimsregierung zu stürzen. Mittlerweile ist der Platz mit Stacheldraht abgeriegelt, Soldaten mit Panzerwagen und Polizeikräfte bewachen ihn. Die Graffiti sind überpinselt, in den anliegenden Ministerien kann wieder in aller Ruhe den politischen Geschäften nachgegangen werden.
Von der Revolte, die noch vor wenigen Wochen auf den Straßen tobte, zeugen Bilder wie der »Reiter der Apokalypse«: eine Mülltonne mit Graffiti vor einer Wand aus Tränengas. Mitten im Nebel steht ein Flic in schwarzer Montur und Kampfstiefeln, das Visier des Helms hochgeklappt, in seinen Händen ein Tränengasgewehr. Er scheint seine Waffe direkt in die Kamera zu richten. Hamideddine Bouali hat das Bild am 18. Januar aufgenommen. Zwei Tage zuvor war einer seiner Berufskollegen, der Fotograf Lucas Mebrouk Dolega, gestorben, nachdem er am 14. Januar in Tunis aus nächster Nähe von einer Tränengaskartusche ins Gesicht getroffen worden war.
Bouali ist ein schmächtiger Mann von 50 Jahren mit schütterem schwarzen Haar und einem Schnurrbart. Er ist Fotograf, Ausstellungsleiter, Dozent und Gründer des Fotoclubs von Tunis. In einem Café in der Medina von Tunis trinkt er seinen Espresso und raucht starke Zigaretten der Marke Cristal. »Ich bin ein netter Fotograf«, sagt er, »ich will nicht schockieren, etwa mit Bildern von Gewalt.« Er fotografiert seit 30 Jahren und hat immer auch die schönen Seiten Tunesiens zu zeigen. Dann begann die Revolte. »Jeder Fotograf möchte ein ikonografisches Bild machen. Ich wollte das beste Foto der Revolution machen«, erzählt er. Und: »Ich habe die Bilder ganz bewusst gemacht, als Fotograf und nicht emotional, wie die Tunesier die Situation erlebt haben.« Warum das? »Wenn ein Arzt emotional bei der Sache ist, kann er keine Operation vornehmen. Bei einem Fotografen verhält es sich genauso.«
Als Ben Ali am 13. Januar im Fernsehen eine Rede an die Nation hielt, in der er das Blaue vom Himmel versprach, hat Bouali ihm zunächst geglaubt und gebloggt, das Volk habe einen großen Sieg errungen. »Ich bin kein politischer Analytiker«, gibt er zu. »Seither habe ich keine politischen Kommentare mehr gebloggt und mich darauf beschränkt, Bilder zu machen.«
»Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viel erlebt«, sagt Bouali über die Zeit der Revolution. »Der 14. Januar war ein unglaublicher Tag. Ich habe zehn große Fotos an diesem einen Tag gemacht, normalerweise mache ich vielleicht eins in einem Monat.«
Vielleicht ist auch der »Sieg Tunesiens« ein solches großes Bild: Eine junge Frau reckt die Hände hoch und hält eine große tunesische Flagge, sie trägt ein bemaltes Shirt mit der Parole: »Tunesien gehört mir und dir und allen.« »Das Bild resümiert den Tag«, sagt der Fotograf. Es war der 19. Februar, der Tag, an dem eine große Demonstration für ein laizistisches und tolerantes Tunesien stattfand. In den Tagen zuvor hatten Islamisten in tunesischen Städten Bordelle überfallen und eine antisemitische Kundgebung vor der Großen Synagogen in Tunis abgehalten.
Und was für Bilder hat Bouali seither gemacht? Er zückt sein Notebook und setzt seine Brille auf. Auf der linken Seite fehlt der Bügel. Er klickt drauflos. »Hier, das sind libysche Flüchtlinge, bei Ras Jedir.« Dort ist ein Grenzübergang nach Libyen. Bouali zeigt Bilder von Flüchtlingen, die in endlos langen Schlangen für Essen anstehen, ihre Ausweispapiere vorzeigen oder zwischen den Zelten herumstehen, in denen sie behelfsmäßig untergebracht sind. Hunderte Bilder von Flüchtlingen liegen auf seinem Notebook, ein paar davon hat er auf seinen Blog »du-photographique.blogspot.com« gestellt. Aber es sind die Fotografien der Revolution, die ihm international ein gewisses Renommee eingebracht haben und demnächst auch in verschiedenen deutschen Städten ausgestellt werden. Die Bilder der Flüchtlinge sieht man in Deutschland nicht so gerne.