Über die Imagekampagne »be Berlin«

Mit Haut und Haaren

Die Imagekampagne »be Berlin« wirbt mit verkrampfter Lockerheit und scheinbarem Kosmopolitismus für gesellschaftliche Integration.

Ob auf der »Freiwilligenbörse«, die Mitte Mai vor dem Roten Rathaus für ehrenamtliches Engagement in der Hauptstadt warb, oder im Rahmen der Feierlichkeiten zum 125. Geburtstag des Kurfürstendamms, die sich wohl über den ganzen Sommer hinziehen werden – wann immer in Berlin öffentlicher Lokalpatriotismus gefragt ist, tritt unvermeidlich die sogenannte Hauptstadtkampagne »be Berlin« in Aktion. Seit 2008 soll sie das Zugehörigkeitsgefühl der Berliner zu ihrer Stadt steigern und dem städtischen Image sowie der darbenden Wirtschaft neuen Schwung verleihen. Mit ihrem Appell an das Heimatgefühl der Marzahner oder Zehlendorfer fügt die Kampagne sich bestens in die Entwicklung eines »neuen, unverkrampften Patriotismus« ein, der seit der Wende propagiert wird, mit der »Du bist Deutsch­land«-Kampagne von 2005 massenwirksam wurde und bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Obwohl die Kampagne des Berliner Senats von Anfang an keine rechte Begeisterung auslöste – neben einer Sammelklage mehrerer Werbeagenturen, die behaupteten, ihre Ideen seien kopiert worden, schimpfte der Bund der Steuerzahler über die Kosten von zehn Millionen Euro allein in den ersten beiden Jahren –, lässt sich die »be Berlin«-Kampagne mit ihren sinnfreien Dreizeilern zumindest mühelos ausweiten, was ihren Erfindern erspart, jedes Mal neue Ideen zu sammeln. Dass gleich mehrere Werbeagenturen den Anspruch erhoben, den Slogan »be Berlin« erdacht zu haben, deutet ebenfalls nicht auf besondere Originalität hin. Aufsehen erregte das schale Wortspiel nur beim Verein Deutsche Sprache (VDS), der den Schirmherrn der Kampagne und Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit, wegen des verwendeten Anglizismus zum »Sprachpanscher des Jahres« ernannte. Dass tatsächlich nicht alle Berliner überhaupt genug Englisch sprechen, um den Slogan zu verstehen, beweist ein Blick auf die Internet-Kommentare zur Kampagne, in denen es nicht nur mit dem Englischen hapert: »Ich fidne auch Das wir den schwulen keinen frei Raum lassen sollen erst bi berlin dann schwul berlin oder was ist«.
Wer Englisch kann, ist freilich genauso ratlos. Erst »Du bist Deutschland«, dann »be Berlin« – die nationalen Identifikationsangebote werden immer hohler und autoritärer zugleich. Sollten sich die Deutschen beim bundesweiten Vorgängerprojekt noch die Hand reichen, um Mauern umzustürzen, sind nun Berliner und Berliner­innen »aufgerufen, mit ihrer persönlichen Geschichte zum Wandel Berlins beizutragen und Botschafter der Hauptstadt zu werden«. In welche Richtung dieser Wandel gehen soll, wird nicht gesagt. Hauptsache, es passiert etwas, und fast jeder kann sich mit Haut und Haaren, mit seiner ganzen persönlichen Identität als Teil eines großen Ganzen fühlen: »Sei offen, sei frei, sei Berlin.« Wer im Abschiebeknast sitzt, scheint nicht gemeint zu sein. Geworben wird nicht nur in der Stadt selbst. Wer Weltstadt sein will, muss die ganze Welt überzeugen. Ziel der Kampagne ist es, »das positive Image Berlins zu stärken und na­tional und international für die Stadt zu werben – als Wohnort, Wirtschaftsstandort sowie als Reiseziel für die vielen Touristen, die Berlin jährlich besuchen«. Zumindest der letzte Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen, wie die Diskussion um die »Touristifizierung« von Kreuzberg zeigt. Die Ber­liner selbst sind von der Kampagne allerdings weniger begeistert. Eine Umfrage der Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung ergab bereits kurz nach Beginn der Kampagne lediglich eine Zustimmung von 34 Prozent.

Ohnehin hat die Stadtwerbung inhaltlich einen ähnlichen Wahrheitsgehalt wie der Spruch von der »Extraportion Milch« in der Kinderschokolade. Das weltbekannte Höflichkeitsdefizit der Hauptstädter mutiert bei der »Berliner Freundlichkeitsoffensive« zu dem verschämten und altbackenen Motto »herz & schnauze«, obwohl Berlin eine solche doch gar nicht nötig hat, wenn man der Hauptstadtwerbung glauben will. Denn »Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Weltoffenheit« sind hier ohnehin zu Hause. Die Werbeslogans wirken wie ein einziges Stakkato: Vom »sei gast, sei freund, sei berlin« der Berlin Tourismus Marketing, das sich natürlich nicht an Gastarbeiter richtet, über das immerhin ehrliche »sei flexibel, sei mobil, sei berlin« der S-Bahn (flexibel muss sein, wer sich hier auf den Nahverkehr verlässt) bis zum »be cop, be top, be berlin« der Polizei reicht die öde Vielfalt. Und auf dem überall aushängenden Kampagnenfoto posieren gut gelaunte BSR- und BVG-Angestellte, Polizisten und Polizistinnen vor dem Brandenburger Tor, um zu demonstrieren, dass sie, wenn auch sonst nichts, so doch ein »Lächeln für Fremde« übrig haben.
Die »Fremden« aber müssen sich anstrengen, wenn sie zur Stadt gehören wollen. Während Münchenbesucher ungefragt mit einem »Munich loves you« empfangen werden, müssen Touristen wie Einwohner in Berlin ständig etwas für das Privileg tun, hier leben zu dürfen. »Nicht erst seit Thilo Sarrazin und seinen Theorien ist Berlins kulturelle Vielfältigkeit ein Gesprächsthema«, warnt die Kampagne die Gäste der Stadt und fordert Berliner mit migrantischem Hintergrund auf, von ihrem »Engagement für Integration« auch öffentlich Rechenschaft abzulegen. Denn für Integration sind vor allem »die Fremden« selbst zuständig. Gelungene Beispiele in den Augen der Werbefachleute sind etwa ein aus Kamerun stammender Mann, der eine Zeitschrift für »afrika­nische Leser« herausgibt, die nur auf Deutsch erscheint, eine Spanierin mit Liebe zum Flamenco sowie ein geläutertes ehemaliges Gangmitglied.

Auch sprachlich erinnert »be Berlin« an »Du bist Deutschland«. »Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen und anzupacken«, hieß es damals. Heute begrüßen die Berlin-Botschafter die »Menschen aus 190 Ländern«, die in der Hauptstadt »leben und arbeiten« und »einen gehörigen Teil zur Stadtkultur« beitragen: »Dahinter verbergen sich zahlreiche Gesichter und Geschichten.« Jeder ist also nicht nur Vertreter seiner eigenen Ethnie, sondern dazu auch noch ein eigener Mensch. Gut vermarkten lässt sich neben der Internationalität und Individualität der Berlinerinnen und Berliner auch ihre Arbeit – vor allem die unbezahlte. Frage nicht, was deine Stadt für dich tun kann, frage, was du für sie tun kannst. So durften ehrenamtlich Arbeitende ihr Konterfei bereits als eine von mehr als 200 »Säulen der Berliner Gesellschaft« auf der Berliner Siegessäule wiederfinden. Wer sich weder als hauptberuflich »Fremder« für die Integration engagiert noch sich ehrenamtlich und unbezahlt für das Image seiner Stadt einsetzt, darf zumindest an einem der Preisausschreiben teilnehmen, bei denen eine Fahrt mit dem »erockit«, dem »spektakulärsten Elektrobike, das derzeit zu haben ist«, oder ein Motorrad namens »Ich bin ein Berliner« verlost werden. Mit einer Stadt, die solche Werbung nötig hat, muss es wirklich schlecht aussehen. »be.STREIK.berlin«, das Motto des ersten Maydays, ist aktuell wie nie bei so viel Ermunterung zu selbstlosem Dienst und Liebe zur Heimat.