Der SV Babelsberg 03 konnte sich vor der Pleite und dem Abstieg retten

Die acht Tage von Babelsberg

Beim Fußballdrittligisten Babelsberg war eigentlich schon Schluss. Fans, Lokalpolitik und ein neuer Vorstand konnten jedoch die Pleite und den Abstieg in letzter Minute abwenden.

Hinter dem SV Babelsberg 03 und seinen Anhängern liegt das, was Sportjournalisten gern als »turbulente Tage« bezeichnen: Am 24. Mai, nur acht Tage vor Ablauf der Frist zur Einreichung der Lizenzunterlagen für die 3. Liga, hatte die Vereinsleitung erklärt, dass zur Deckung des Etats von rund 2,7 Millionen Euro mehr als die Hälfte des veranschlagten Geldes fehlen würde. Dem Club, der zuvor als Aufsteiger mit wenig Geld souverän den Klassenerhalt gesichert hatte, drohte plötzlich die Insolvenz samt Zwangsabstieg in die Regionalliga beziehungsweise im schlimmsten Fall sogar in die Oberliga. Doch was in den folgenden acht Tagen geschah, dürfte in die Annalen des Vereins wahrscheinlich als Wunder, zumindest aber als enormer Kraftakt eingehen.
Der SV Babelsberg ist nicht der einzige Verein in der 3. Liga, der in den vergangenen Wochen in finanzieller Not steckte. Auch Unterhaching erhielt die Lizenz erst in allerletzter Minute, Dynamo Dresden konnte sich nur durch den Aufstieg in die Zweite Bundesliga vor dem Ruin retten und Rot-Weiß Ahlen versuchte gar nicht erst wirklich, die Insolvenz abzuwenden. Von vielen Seiten wurde wieder einmal Kritik laut an der finanziellen Tragfähigkeit des Konzepts der 3. Liga. In den meisten Fällen werden jedoch zusätzlich zum durchaus diskussionswürdigen Drittliga-Konstrukt eine gehörige Portion Misswirtschaft und grobe Fehler in der Vereinsführung für eine formvollendete Krise benötigt. In Babelsberg gab es beides – gepaart mit jeder Menge Filz und, nennen wir es: inte­ressanten Strukturen.
Im Zentrum des Systems Babelsberg standen der Vorstandsvorsitzende Rainer Speer und der Aufsichtsratschef Peter Paffhausen. Erstgenannter war bis September vorigen Jahres Innenminister des Landes Brandenburg im Kabinett von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Paffhausen war bis vor rund zwei Wochen der Geschäftsführer der Potsdamer Stadtwerke. Beide verloren ihren jeweiligen Posten, weil sie in Skandale verwickelt waren, die sie nicht eben im besten Licht erscheinen ließen. Auch beim SV Babelsberg waren ihre Methoden der Geschäftsführung offenbar teilweise etwas, wie Insider sagen, halbseiden. Über Jahre hinweg nutzte Paffhausen seine Stellung bei den Stadtwerken, um diese bei der Lizenzvergabe als Bürgen für den Verein auftreten zu lassen. Dass eine externe Institution eine solche Bürgschaft übernimmt, bei der es vor allem um noch nicht geflossene, aber bereits zugesicherte Sponsorengelder geht, ist zwar nicht unüblich. Doch dass ein Geschäftsführer eines Unternehmens der öffentlichen Hand seine Position ausnutzt, um eine solche Bürgschaft nach eigenem Gutdünken zu unterschreiben, und dann auch noch für einen Verein, bei dem er selbst im Aufsichtsrat sitzt, ist wohl des Guten ein wenig zu viel.
So forderten die Fans, die sofort nach der Verkündung der Finanznot begonnen hatten, für den Erhalt ihres Vereins zu kämpfen, von Anfang auch den Rücktritt des gesamten Vorstands und vor allem den seines Vorsitzenden Rainer Speer. »Alle sind sich darüber einig, dass der Filz und der Klüngel der Grund für die Misere sind. Das waren schon mafiaähnliche Strukturen, und Speer ist ganz klar einer der Hauptverantwortlichen«, sagt auch Fabrizio, einer der Ultras, die zwischenzeitlich die Geschäftsstelle des Vereins aus Protest gegen den Vorstand besetzt hatten. Der personelle Neuanfang, der von den Fans und Aktivisten gefordert wurde, kam dann schneller, als ihn wohl viele erwartet hatten. Keine Woche nach Beginn der Kampagne zur Rettung des Vereins kam es zum Machtwechsel in der Vereinsführung. Der neue Vorstandsvorsitzende Thomas Bastian ist nicht nur Geschäftsführer eines Kinos im Potsdamer Stadtteil Babelsberg, er kommt auch selbst aus der Fanszene des Vereins, steht seit Jahren in der Nordkurve und fährt regelmäßig zu Auswärtsspielen. Viel wichtiger scheint jedoch zu sein, dass er mit dem unübersichtlichen personellen Geflecht aus Wirtschaft und Politik, das so charakteristisch zu sein scheint für die brandenburgische Landeshauptstadt, nichts zu tun hat.
Der neue Präsident und sein Team machten sich sogleich an die Arbeit und schafften es auch tatsächlich, kurz vor Ablauf der Frist einen Weg zur Rettung des Vereins zu finden. Dazu gehört ein einmaliger Zuschuss der Stadt Potsdam über 700 000 Euro, dem die Stadtverordnetenversammlung am Mittwochnachmittag, nur wenige Stunden vor der Deadline für die Lizenzvergabe, mit den Stimmen der SPD und der »Linken« sowie einzelnen Stimmen aus anderen Fraktionen zustimmte. Dazu kommt eine Bürgschaft der Deutschen Kreditbank (DKB) über 1,4 Millionen Euro, für die die Bank jedoch die Hilfszahlung der Stadt zur zwingenden Voraussetzung gemacht hatte. Die Summe von über 60 000 Euro, die von Fans und Sympathisanten des Vereins innerhalb einer Woche gesammelt worden war, spielte bei der Rettung des Vereins nur eine untergeordnete Rolle – dass die Anhängerschaft nicht das gesamte benötigte Geld alleine auftreiben können würde, war von vornherein klar. Der deutlich größere FC St. Pauli hatte bei der »Retter«-Kampagne vor einigen Jahren beinahe drei Monate gebraucht, um eine ähnlich große Summe aufzutreiben, Babelsberg blieben jedoch nur acht Tage.
Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, dass das Geld für die Rettung aus dem gleichen politischen Umfeld kam, das für die finanzielle Notlage mitverantwortlich war. Verantwortlich für das Zustandekommen des Deals mit der Stadt war neben Bastian und anderen in der neuen Vereinsführung nämlich vor allem Potsdams regierender Oberbürgermeister Jann Jakobs. Und der ist als SPD-Mitglied nicht nur ein Parteifreund von Rainer Speer, sondern sitzt auch als Vorsitzender im Aufsichtsrat der Potsdamer Stadtwerke, hätte damit also eigentlich zu prüfen und zu wissen gehabt, für wen Peter Paffhausen wann und warum welche Bürgschaft im Namen des Unternehmens unterschreibt. Jakobs’ Rolle in diesem Spiel wurde noch nicht abschließend geklärt.
Bastian selbst weiß um die Bedeutung des Machtwechsels im Verein, mag jedoch nicht von einer »Palastrevolution« sprechen. Die Stadt habe als Voraussetzung für ihre Hilfe einen Wechsel an der Vereinsspitze gefordert und er habe sich bereit erklärt, sich dafür zur Verfügung zu stellen. Wichtig sei vor allem, dass jetzt »ein anderer Wind im Verein« wehe. Die Beschlüsse seien öffentlich auf einer Mitgliederversammlung gefallen und nicht hinter verschlossenen Türen.
Die wirkliche Arbeit hat aber wohl gerade erst begonnen, denn noch ist das Geld, für das gebürgt wurde, nicht aufgetrieben. »Wenn es nicht klappt, dann ist in einem Jahr Schluss«, weiß auch Bastian. Es ist ein wenig wie bei den Revolutionen in Tunesien und Ägypten, finden viele Fans. Die Hoffnungen sind groß, doch ob sie am Ende auch erfüllt werden, muss sich erst noch zeigen.