Aljoscha Pause im Gespräch über seinen Film »Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen«

»Die Zeit der Rebellion ist vorbei«

Der Regisseur Aljoscha Pause über das gescheiterte Fußballtalent Thomas Broich und seinen Film »Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen«

Acht Jahre lang hat der Journalist und Filmemacher Aljoscha Pause den Fußballprofi Thomas Broich für die Dokumentation »Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen« begleitet. Zu Beginn der Dreharbeiten ist Broich 22 Jahre alt, Jugendnationalspieler und sorgt in der zweiten Liga für Aufsehen. Nach dem Wechsel in die Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach gilt er als Hoffnungsträger des deutschen Fußballs. Er beschäftigt sich mit Literatur, gibt sich weltoffen, spielt Klavier, denkt über den Fußball und das Leben nach. Sein Interesse für klassische Musik bringt ihm den Spitznamen »Mozart« ein. Doch seine Karriere setzt sich nicht fort. In der Saison 2009/10 leidet er unter depressiven Zuständen und fristet ein Schattendasein beim 1. FC Nürnberg. 2010 wechselt er zum australischen Club Brisbane Roar FC. Broich blüht auf, gewinnt mit dem Verein 2011 die Meisterschaft. Regisseur Aljoscha Pause gibt Auskunft über sein bemerkenswertes Projekt.

Warum haben Sie 2003 Thomas Broich zum Protagonisten Ihrer Langzeit-Doku gemacht?

Das Projekt entstand aus einer Porträtreihe, die ich fürs Fernsehen betreut habe. Das waren pro Folge jeweils 30 Minuten über ein Fußballtalent, und dabei ist mir die Idee gekommen, in einer Langzeitstudie mehr in die Tiefe zu gehen, mich dem Thema Profifußball wirklich zu nähern. Ich habe dann nach einem jungen Spieler gesucht – und Thomas Broich gefunden. Er war so anders, irgendwie besonders. Er hatte einen gewissen Horizont, Eloquenz und nicht zuletzt auch Lust, ein solches Projekt bis zum Schluss mitzumachen.

Mit welchen Argumenten haben Sie ihn überzeugt?

Zum einen habe ich ihn – das sagt er selber – bei seiner Eitelkeit gepackt. Davon unabhängig fand er die Idee wirklich toll. Wir verabredeten, dass ich alles das, was er für den Film erzählt, niemals in einem anderen Zusammenhang veröffentlichen werde. Das war notwendig, damit wir vertrauensvolle Gespräche führen konnten.

In der Tat spricht Broich sehr offen über sein Leben als Profifußballer. Oft kritisiert er dabei »die Medien«, die seiner Meinung unmoralisch mit Spielern umgehen, Helden aufbauen und demontieren. Ist diese Pauschalkritik Ihrer Meinung nach berechtigt?

Ich glaube schon, dass die Sportberichterstattung schwarz-weiß funktioniert. Es wird zugespitzt, es gibt Überhöhung und Heldenverehrung – das liegt in der Natur der Sache und gilt für den Boulevard und anspruchsvolle Medien gleichermaßen. Ich denke dennoch nicht, dass es viele Journalisten gibt, die bei Spielern bewusst eine Fallhöhe aufbauen, um sie bei der nächstbesten Gelegenheit abstürzen zu lassen.

Während seiner letzten Station in Deutschland spricht Thomas Broich davon, dass er unter einer »Fußball-Depression« leide. Wie stark disponieren die Anforderungen des Profifußballs für diese Krankheit?

Thomas Broich ist sensibel und nicht mit dem dicken Fell ausgestattet, das man in dieser Branche vor allem bei Misserfolg dringend braucht. Das heißt, er war anfällig für eine Depression. Ich glaube, dass der Profifußball generell schwere Angstzustände bei allen Beteiligten hervorrufen kann. Die Namen Robert Enke, Sebastian Deisler und mit Abstrichen Thomas Broich – bei dem es nicht so dramatisch war – sind keine Ausnahmen. Es gibt viele Spieler, die solche oder ähnliche Probleme haben.

Woran zerbrechen die Spieler?

Die Spieler stehen ständig in der Öffentlichkeit und unter permanentem Erfolgdruck. Insbesondere mit der Begründung »Das sind doch alles Millionäre« wird verlangt, dass sie wie Maschinen funktionieren. Aber es bleiben ja Menschen, von denen da gesprochen wird. Da können sie denen noch so viel Gehalt zahlen, das macht die Sache nicht einfacher. Am Beispiel von Sebastian Deisler kann man studieren, dass gerade diese großen Summen zu Ängsten und Problemen führen können. Deisler hat gesagt, dass die zehn Millionen D-Mark Handgeld, die bei seinem Wechsel von Hertha zu Bayern gezahlt worden sind, für ihn seelisch betrachtet der Anfang vom Ende waren.

Hat sich seit dem Selbstmord von Robert Enke etwas geändert?

Schon bei der WM 2010 hat doch kein Mensch mehr über Robert Enke gesprochen. Die Lippenbekenntnisse, das spontane Mitgefühl, der Vorsatz, künftig auf Schwache, auf Andere, mehr Rücksicht zu nehmen und nicht alles dem Erfolg unterzuordnen – das hat zwei, drei Monate gehalten, dann war das wieder vom Tisch. Es sind zwar ein paar ehrenwerte Kommissionen und die Robert-Enke-Stiftung gegründet worden – aber viel geändert hat sich darüber hinaus nicht.

Woran ist Thomas Broich letztlich in Deutschland gescheitert?

Er selber sagt, dass es auch fußballerisch nicht gereicht hat. Da würde ich ihm nur bedingt Recht geben. Wenn dieser Junge befreit aufspielen kann, ist er ein großartiger Fußballer. Seine Fähigkeiten kann er aber nur zur Entfaltung bringen, wenn man ihn lässt. Ein sehr großes Problem war meiner Meinung nach, dass er zu lange bereit war, sich als »etwas anderer« Fußballer stilisieren zu lassen: Fototermine in der Oper, Interviews über Literatur. Autoritäre Trainer wie Christoph Daum in Köln und Dick Advocaat in Mönchengladbach fühlten sich geradezu herausgefordert, ihn in seine Schranken zu weisen.

Oft gibt es die Sehnsucht nach rebellischen, ungewöhnlichen Spielertypen. Ist es realistisch, dass sich so ein Charakter heute in der Bundesliga durchsetzt?

Den Spielern heute wird seitens der Vereine klar gemacht, dass Profifußball nur über Konformität funktioniert. Es gibt ja ganz früh schon Medientraining für die Jungprofis. Die Ironie an dem Ganzen ist: Thomas Broich hat neulich gesagt, dass er jungen Spielern, die so ähnlich ­ticken wie er, empfehlen würde, erstmal die Klappe zu halten und erst dann die eigenen Besonderheiten nach außen zu kehren, wenn man ein gewisses Standing erreicht hat.

Was für ein ernüchterndes Fazit.

Ja, das ist schade. Aber ich fürchte, die Zeiten, in denen Rebellion in der Bundesliga noch möglich war, sind vorbei.

Gibt es dabei auch eine speziell deutsche Komponente? Broich betont im Film, dass es in Australien – wo er jetzt spielt – viel lockerer zugeht und ihm das entgegen kommt.

Natürlich hat der Druck in Deutschland damit zu tun, dass der Fußball hier einen unglaublich hohen Stellenwert besitzt. In Australien ist Fußball die Sportart Nummer vier nach Australian Football, Rugby und Cricket. Es kommen zwar 20 000 Zuschauer ins Stadion – aber er ist nicht Volkssport Nummer eins. Für Thomas Broich war aber vor allem wichtig, sich so weit wie möglich vom Ort seines Scheiterns wegzubewegen.

Auf dem Filmplakat wird Michael Oenning, Trainer des Hamburger SV, mit dem Satz ­zitiert: »Dieser Film wird die Fußballszene verändern.« Ist das nicht etwas übertrieben?

Vielleicht. Aber ich glaube, Michael Oenning sieht es so ähnlich wie ich: Dass der Film mit seiner Ehrlichkeit dazu beitragen kann, dass an manchen Stellen ein bisschen wahrhaftiger gehandelt, ein bisschen genauer hingeschaut wird, wie mit Spielern umgegangen wird. Mehr würde ich für den Film nicht in Anspruch nehmen wollen. Für mich persönlich wäre es einfach toll, wenn die Fußballfans den Film mögen.

»Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen« kommt am 28. Juli in die Kinos.