Ein Antisemit wurde aus der Partei ausgeschlossen – beim FN in Frankreich

Ein Club der Ideen

Der französische Front National hat ein Mitglied wegen antisemitischer Äußerungen für zwei Jahre ausgeschlossen. Wie antisemitisch oder antimuslimisch die Partei sein soll, ist aber auch nach dem Führungswechsel nicht entschieden.

Aus scheinbar sehr unterschiedlichen Richtungen kommen sie, die Protagonisten, die lautstark behaupten, ihre Ansichten im »neuen« Front National (FN) wiederzuerkennen. »Neu« deswegen, weil seit dem Führungswechsel – dem Übergang des Parteivorsitzes von Jean-Marie Le Pen zu seiner Tochter Marine im Januar – zum Teil ein anderer Tonfall angeschlagen wird. Auf den Laizismus, die Republik und sogar auf Frauenrechte bezieht sich die extreme Rechte in ihren Äußerungen seither positiv, während diese Vokabeln zuvor aus Rücksicht auf parteinahe Gruppierungen – katholische Fundamentalisten und Monarchisten beispielsweise haben keinerlei Sympathien für die Revolution von 1789 – nicht zu ihrem Wortschatz gehörten. Ein eindeutiges Feindbild gibt es aber nach wie vor: die Einwanderer muslimischen Glaubens.

Die scheinbar nicht mehr so stark mit historischen Verbindungen zum Nazismus oder Faschismus belastete extreme Rechte macht es denen, auf die sie schon vorher eine gewisse Anziehungskraft ausübte, nun leichter, sich offen zu ihr zu bekennen. Das gilt nicht nur für den karrieristischen Rechtsanwalt Gilbert Collard, der im Juni zu den prominentesten Teilnehmern einer Tagung des neuen Think Tank des FN, dem »Club Idées Nation«, gehörte, auf der über »Die Republik und die rechtsfreien Räume« diskutiert wurde.
Mitte Juli sicherte die Ligue de Défense Juive (LDJ) dem Front National in einer Erklärung ihre »kritische Unterstützung« zu. Die rechtsextreme jüdische Organisation, die Verbindungen zu Teilen des nationalreligiösen Spektrums und der Siedlerbewegung in Israel unterhält, änderte ihre Haltung allerdings recht schnell wieder. In der vergangenen Woche teilte die Vereinigung mit: »Die Ligue de Défense Juive liefert dem Front National keine Rückendeckung. Die jüdische Gemeinde kann sich gegenwärtig von keiner einzigen Partei repräsentiert fühlen.« Die Politik des FN gegen die »Islamisierung« sei aber dennoch »ein bedeutsamer Schritt«. Bereits in der Vergangenheit hatte die LDJ die antisemitischen Strömungen des FN bekämpft, während sie zugleich die antiarabische und antimuslimische Propaganda der Partei guthieß.
Eine ganz andere Allianz bildete sich Anfang Juli in Marseille: Dort gründete Omar Djellil, ein junger Imam, mit Stéphane Durbec, einem Regionalparlamentarier des FN, einen gemeinsamen Verein mit dem Namen »Alliance République Éthique«.

Djellil vertritt den Standpunkt, der FN sei »wenigstens ehrlich«, alle anderen Parteien seien genauso rassistisch, aber auf versteckte und heimtückische Weise. Dass er nun mit dem FN zusammenarbeitet, liegt allerdings auch an Durbec. Der von der Karibikinsel La Martinique stammende Franzose ist derzeit der einzige schwarze Regionalparlamentarier des FN. 1998 sagte Durbec der Jungle World, diese Parteizugehörigkeit sei für ihn der sicherste Nachweis, ein »normaler Franzose« zu sein. In seinen Jugendjahren hätten linke Mitschüler ihn immer für Aktionen gegen Rassisten gewinnen wollen, im Glauben, er sei wegen seiner Herkunft automatisch Antirassist. Dadurch habe er sich in eine Ecke gedrängt gefühlt.
Die Annäherung einzelner Muslime an rechtsextreme Kreise, gerade in Marseille, ist aber vor allem dem Einsatz der Anhänger des Essayisten Alain Soral geschuldet, der versucht, Einfluss im Einwanderermilieu zu erlangen. Soral, der seit Februar 2009 nicht mehr dem FN angehört, aber weiterhin gelegentlich mit ihm zusammenarbeitet, vertritt antisemitischen Ansichten, äußerte diese jedoch in der Vergangenheit oft als vermeintliche Kritik an der israelischen Politik oder an israelischen Militäraktionen. Damit richtete er sich, jedoch ohne viel Erfolg, an Franzosen muslimischer Konfession.
Kürzlich ließ er jedoch in einem 90minütigen Interview, das auf der einschlägigen Website »Le Souffle Divin« zu finden ist, die Maske fallen. In dem Gespräch verurteilt er den Antizionismus. Dieser lebe von der Vorstellung, das Schlechte am Staat Israel sei das Erbe des europäischen Kolonialismus. Daher sehe der Antizionismus auch die Juden als potentielle Opfer einer letztlich aus dem Kolonialismus erwachsenden Konfliktsituation. Alles Unsinn, befand Soral. Das Problem sei weder im Kolonialismus noch im kurz vor 1900 entstandenen Zionismus begründet. Vielmehr sei das Judentum seit den Urzeiten der Thora ein Problem, weil seine Anhänger sich für ein auserwähltes Volk und alle Nichtjuden für Barbaren hielten. Nicht gegen den ­Zionismus, sondern gegen das Judentum als solches und seine »Finanzoligarchie« gelte es sich also zu wenden.
Ein anderes Parteimitglied des FN gab jüngst Ähnliches von sich. »Ich bin Antizionist, Judenfeind und Antisemit«, sagte Yvan Benedetti im Mai während eines Treffens mit Studenten einer Journalistenschule in Lille. Bis August 2010 war er die »Nummer zwei« in der Hierarchie der faschistischen und antisemitischen Splittergruppe »L’Oeuvre française« unter Pierre Sidos. Er legte dieses Amt auf Bitten von Jean-Marie Le Pen nieder, um den innerparteilichen Wahlkampf für einen der beiden Kandidaten um den FN-Vorsitz, Bruno Gollnisch, zu koordinieren.

Beobachter hatten damit gerechnet, dass Benedetti unter der neuen Vorsitzenden wegen seiner antisemitischen Äußerung mit einem Parteiausschluss rechnen müsse. Nach einer Sitzung der Disziplinarkommission der Partei Mitte Juni hörte man jedoch nichts mehr von der Sache. Am 10. Juli meldete die Nachrichtenagentur AFP dann, Marine Le Pen sei einer Empfehlung der Disziplinarkommission gefolgt und habe einen Ausschluss auf Zeit für die Dauer von zwei Jahren verhängt. Angesichts der verheerenden Äußerungen Benedettis zeigten sich die Beobachter überrascht von der vergleichsweise milden Entscheidung.
Bruno Gollnisch zeigte sich dennoch »sehr enttäuscht« über den Beschluss, der ihm angesichts der Verdienste des Parteimitglieds Benedetti offensichtlich zu hart war. Der prominente Funktionär sagte: »Ich bedauere diesen Ausschluss, er war ein Aktivist von großer Qualität. Ich hätte es gern gesehen, dass Marine Le Pen mehr Fingerspitzengefühl an den Tag legt.«