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Ab und zu schaut der Sommer ja vorbei. Dann können die Liegestühle nach Dienstschluss rausgestellt und die Füße hochgelegt werden. Dazu wird noch eine eisgekühlte Zitronenlimonade aus dem Kühlschrank geholt, ein gutes Buch wird aus dem Regal gegriffen, und schon kann die Freizeit des Redakteurs beginnen! Was aber lesen die Kollegen eigentlich, wenn der letzte Text redigiert ist und man die Redaktion hinter sich gelassen hat?
Ein gemischtes Programm gönnt sich der Thema-Redakteur: »Lustige Taschenbücher von Donald Duck, Saskia Sassens ›Global City‹ und das ND.« Letztgenanntes natürlich nur zu »Recherchezwecken«. Auf starke Kontraste setzt auch seine Kollegin, die vor allem Zeitungen liest. Und zwar: »Taz, ND, Welt, FAZ, Jungle World.« Man beachte die Reihenfolge! Aber auch BBC Online und viele Kinderbücher mit so hübschen Titeln wie die »Die kleine Katze« gehören zu ihrem Pensum.
Kuschelig geht’s auch bei den Feuilletonisten zu, wo nach Feierabend die Textsammlung »Die Linke und der Sex« von Jungle World-Autor Felix Wemheuer und Barbara Eder studiert wird. Das darin enthaltene »Kontra­sexuelle Manifest« wurde mit Interesse zur Kenntnis genommen, auch wenn der Kollege nicht mit allem einverstanden ist: »Das Dogma des Arschficks würde ich anzweifeln.«
Undogmatisch gibt sich auch die Feuilleton-Kollegin, die mit dem Bürgerrechtler Saul D. Alinsky und seiner Schrift »Call Me a Radical. Organizing und Empowerment« entspannte Stunden auf ihrem Sonnenbalkon zugebracht hat.
Als eine Hochburg der Literatur entpuppt sich unsere Chefetage. Nach Dienstschluss werden hier keine Bilanzen gelesen, sondern neue Literatur. Die Marketing-Chefin liest Paco Taibos II neuen Roman »El Retorno de los Tigres de Malasia«, und zwar im spanischen Original! Die Personalchefin liest mal eben so Max Müllers »Kosmas« weg, wird dann aber David Foster Wallace in Angriff nehmen.
Und was liest der Journalistennachwuchs? Comics natürlich, und zwar Alan Moores und Melinda Gebbies opulente Graphic Novel »Lost Girls«, nach der unser Praktikant dann auch gleich sein neues Musikprojektes benannt hat.
Mit Beziehungsstress kennt sich die Politikredakteurin aus. Sie liest gerade »Zeiten des Aufruhrs« von Richard Yates. »Ich liebe Ehekrisen, Madame Bovary, Effie Briest, Tschechow-Stücke. Yates schildert die beklemmende Fünfziger-Jahre-Atmospäre ziemlich eindrucksvoll.« Das Beste dabei: »Alle sind andauernd betrunken.«