Der Euro wurde gerettet – bis zur nächsten Krise

Sisyphos rollt den Euro

Auf dem EU-Sondergipfel am Donnerstag vergangener Woche wurde der Euro nur bis zur nächsten Krise gerettet. Griechenland muss weiterhin sparen. Deutschland ist gegen eine Transferunion.

Eine Krise ist »eine mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation«, heißt es in gängigen Lexika. Was aber, wenn die Krise zur Regel wird? Seit mehr als zwei Jahren herrscht in der Eurozone Daueralarm, folgt ein »Rettungspaket« auf das andere, ohne dass eine dauerhafte Lösung in Sicht wäre. Auch vor dem EU-Sondergipfel zur Rettung des Euro vergangene Woche in Brüssel versuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Erwartungen klein zu halten – an »spektakuläre Maßnahmen« sei nicht zu denken, sagte sie. Dabei stand vor dem Gipfel wieder einmal die Zukunft der Eurozone auf dem Spiel, galt es erneut, den Staatsbankrott Griechenlands abzuwenden. Trotz der drängenden Probleme konnten sich die Europäer bislang auf keine gemeinsame politische Strategie verständigen.

Über zwei Optionen wird seit Beginn von Griechenlands Schuldenkrise gestritten. Auf der einen Seite drängen Hardliner, allen voran die deutsche Regierung, zu radikalen Kürzungen bei den öffentlichen Leistungen und den Löhnen. Die andere Seite bevorzugt die Ausgabe von sogenannten Eurobonds, gemeinsamen europäischen Anleihen, um den Krisenländern den Zugang zu Krediten zu ermöglichen.
Nur durch eine interne Abwertung, so lautet das Credo der Hardliner, könne das Vertrauen der Anleger zurückgewonnen und die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. Hilfe gibt es nur, um einen Kollaps der griechischen Banken abzuwenden und um ein Übergreifen der Krise auf die involvierten europäischen Finanzinstitute zu vermeiden. Dass Merkel lange zögerte, bis sie sich zu einer Rettungsaktion entschloss, ergab durchaus Sinn. Schließlich war die griechische Regierung nur bei Strafe des ökonomischen Untergangs Griechenlands dazu bereit, die von der deutschen Regierung und der EU geforderten Maßnahmen durchzusetzen.
Die bisherigen drastischen Sparmaßnahmen entfalteten stets eine eigene Dynamik. Sie führten die betroffenen Länder geradewegs in eine tiefe Rezession, was ihrer Kreditwürdigkeit weiter schadete. Ratingagenturen stuften mögliche Ausfallrisiken höher ein, was wiederum schlechtere Kreditkonditionen nach sich zog. Die daraus resultierende Zinslast erreichte ein Maß, das sämtliche Sparmaßnahmen absurd erscheinen ließ. Um seinen Schuldenstand zu halbieren, hätte Griechenland unter den Konditionen, die vor dem Gipfel galten, zwei Dekaden lang Jahr für Jahr ein Wachstum von acht Prozent erreichen müssen. Tatsächlich hatte es aber große wirtschaftliche Probleme. Eine Lösung des Schuldendesasters war damit ausgeschlossen. Spätestens seit auch Italien von der Finanzkrise erfasst zu werden droht, ist klar, dass diese Strategie nicht mehr fortgeführt werden kann, ohne die Eurozone als Ganzes zu gefährden.
Die Unnachgiebigkeit der Deutschen hat in den vergangenen Jahren nicht nur den Umgang mit der griechischen Wirtschaftskrise, sondern auch die europäische Politik stark geprägt. »Die Tendenz zum Isolationismus, zu chauvinistischem Gehabe und zu großsprecherischen Überheblichkeitsausbrüchen ist latent, und je länger die Krise währt, desto unbehaglicher wird die Stimmung«, urteilte selbst der Berliner Tagesspiegel ungewohnt kritisch vor dem Gipfel.

Insbesondere Frankreich kritisierte schon früh die unnachgiebige deutsche Haltung und plädierte für eine europäische Lösung. So sah die frühere französische Finanzministerin und jetzige Vorsitzende des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, bereits vor zwei Jahren in der von Land zu Land unterschiedlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik die Hauptursache für die Krise. Anstatt Unterschiede weiter zu verschärfen, bedürfe es einer Angleichung. Deutschland, das von der Eurozone bislang am meisten profitiert habe, müsse sich solidarisch zeigen. Mit einer gemeinsamen europäischen Anleihe würden schwächelnde Eurostaaten von den niedrigen deutschen Zinssätzen profitieren. Damit könnten sie wieder über finanzielle Ressourcen verfügen, um ihre Wirtschaft zu sanieren. Zugleich wären alle Zweifel an der Zahlungsfähigkeit einzelner Euro-Mitgliedsländer ausgeräumt, weil die gesamte Eurozone für die Anleihen garantieren würde.
Für die Bundesregierung waren solche Vorschläge bislang inakzeptabel, da sie in die verhasste »Transferunion« führen würden. Stattdessen drängte Deutschland darauf, private Gläubiger an der Rettungsaktion zu beteiligen, was insbesondere französische Institute wegen ihrer hohen Einlagen an griechischen Anleihen betreffen würde.
Deutschland konnte sich schließlich auf dem Sondergipfel durchsetzen. Auf Forderungen im Wert von rund 37 Milliarden Euro wollen Banken, Fonds und Versicherungen in den kommenden drei Jahren verzichten. Wie bedeutend dieser Betrag angesichts der rund 350 Milliarden Euro Schulden Griechenlands ist und ob der Verzicht tatsächlich geleistet wird, muss sich allerdings erst noch zeigen.
Zusätzlich erhält das Land 109 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsfonds (EFSF) zu besonderen Konditionen. Die Laufzeit bestehender Kredite soll auf 30 Jahre verdoppelt, die Zinssätze sollen künftig um 3,5 Prozent gesenkt werden. Hinzu kommt, dass griechische Staatsanleihen mit Abschlag vom EFSF zurückgekauft werden können. Diese Entscheidung ist umso bemerkenswerter, als der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, bis kurz vor dem Gipfel vor eben diesem Schritt gewarnt hatte. Nach dem Gipfel ist von solchen Sorgen nicht mehr viel übrig. Die Ratingagenturen signalisierten bereits, dass sie die Einstufung auf Zahlungsunfähigkeit auf wenige Tage beschränken wollen.

Vor allem die EZB, die auf dem besten Weg war, sich in eine Bad Bank für verschuldete Euroländer zu verwandeln, profitiert von der Entscheidung. Nun kann sie diese wenig einträgliche Aufgabe an den EFSF abgeben. Darüber hinaus werden die Kompetenzen des Rettungsfonds erweitert. Künftig soll er auch präventive Maßnahmen ergreifen. Wie der IWF soll er Kredite vergeben, sobald sich eine finanzielle Krise ankündigt, und nicht erst, wenn sie bereits eingetreten ist.
Damit bewegt sich die Eurozone in Richtung einer Transferunion, denn die Maßnahmen nehmen die Eigenschaften von Eurobonds bereits vorweg. Gleichzeitig hat Merkel ihre Macht bis zum Äußersten ausgeschöpft. Ohne ihre Zugeständnisse wäre die Eurozone unweigerlich gescheitert.
Die Ergebnisse des Sondergipfels haben den betroffenen Ländern eine Atempause verschafft. Grundsätzlich gelöst ist die Schuldenkrise aber noch lange nicht. Die gilt vor allem für Griechenland. Zwar werden die Schulden nun von 160 auf etwa 138 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt. Aber um diese Rate weiter auf ein erträgliches Maß von etwa 90 Prozent zu senken, müsste die griechische Wirtschaft um mindestens drei Prozent im Jahr wachsen. Dies ist äußerst unwahrscheinlich, auch wenn die EU-Kommission nun ein umfangreiches Wachstums- und Investitionsprogramm für das Land initiieren will. Selbst wenn die Schulden nun etwas langsamer anwachsen, wird sich schon bald wieder die Frage nach einer harten Umschuldung oder einem Euro-Austritt stellen.
Denn an den eklatanten wirtschaftlichen Unterschieden in der Eurozone haben auch die Beschlüsse der EU-Kommission wenig geändert. So sind die Renditen für zweijährige griechische Staatsanleihen zwar leicht auf 26 Prozent gesunken. Der Abstand zu deutschen Anleihen, deren Verzinsung derzeit bei 1,4 Prozent liegt, bleibt jedoch gigantisch.
Auf den Finanzmärkten ist Griechenland bereits abgeschrieben. Nun beschäftigen sie sich mit den anderen Krisenländern. Die Zinsen für italienische Anleihen sind schon wieder gestiegen. Die ersten Kreditgeber beginnen bereits, an der französischen Zahlungsfähigkeit zu zweifeln.