Nazi Ted Fuck Off!

Berlin Beatet Bestes. Folge 107. The Sweet: Ballroom Blitz (1975).

Zum ersten Mal tanzte ich in der vierten Klasse. Tommy, ein Klassenkamerad, war das einzige Kind einer Ärztin und hatte etwas mehr Taschengeld zur Verfügung als ich. Davon kaufte er sich immer die neuesten Singles und machte damit den Kinder-DJ bei unseren Klassenfeten. Ich erinnere mich noch genau, wie wir zu »Ballroom Blitz« von Sweet loshotteten und in unseren Kinderkörpern plötzlich ganz neue, wilde Regungen spürten. In blinder Nachahmung der Erwachsenen tanzten wir sogar Blues, ohne die erotische Komponente des engen Tanzes zu erahnen. Mehr Taschengeld als ich bekamen übrigens fast alle meine Mitschüler. Manchen steckten kleine gebundene Tücher, diese gediegenen Eckardt-von-Hirschhausen-Dinger, in den Hemden. Ihre Eltern gehörten zur Hamburger Oberschicht, und sie wohnten in alten Patrizierhäusern nahe der Alster, mit riesigen Aufgängen und ebenso riesigen Zimmern. Meine Mutter dagegen war Sekretärin, mein Vater Seemann und mein Großvater hatte an der Rothenbaumchaussee eine Schlachterei. Im selben roten Backsteinhaus der fünfziger Jahre wohnten wir unterm Dach zur Miete. Bis ich 13 war, teilte ich mir mit meinem Bruder ein Zimmer und ein Etagenbett. Einmal schockierte mich eine Mitschülerin, als sie sich in einem Laden eine Familienpackung Eis kaufte und es mit einem von Zuhause mitgebrachten Suppenlöffel auslöffelte. Soviel Luxus schien mir unvorstellbar, und ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, ihn mir zu leisten.
Ein richtiger Musikfan wurde ich zwar erst später, aber wild und frei zu tanzen, machte mir vom ersten Moment an Spaß. Dieses erste Gezappel in der Grundschule hat den Grundstein gelegt für alle weiteren Tanzerfahrungen bis heute. Das Ende der siebziger Jahre sehnte ich dagegen schon als Kind herbei. Als Elvis 1977 starb, waren die Bravo und alle anderen Jugendzeitschriften voll mit Bildern vom »King of Rock’n’Roll«. In kleinen Programmkinos sah ich die frühen Filme von Elvis: »Jailhouse Rock«, »King Creole« und »Love Me Tender«. Beim Friseur bekam ich eine »original Elvis-Frisur«. Obwohl die gefönte Haarspraytolle nach kurzer Zeit in sich zusammenfiel, war ich als Elfjähriger auf den Geschmack gekommen. Meine Mutter schleppte ich durch ein Dutzend Geschäfte, fand aber keine der angebotenen Schlaghosen annehmbar. Ich wollte eine Röhrenjeans. 1981 besuchte ich, als bereits voll ausgestatteter Rockabilly, meinen ebenfalls zum Teddy Boy mutierten ehemaligen Klassenkameraden Tommy. Als ich in die große Eppendorfer Altbauwohnung kam, entdeckte ich in seinem Zimmer gleich ein großes Poster: »NSDAP-Verbot aufheben!« Ich bin fast rückwärts wieder aus der Wohnung gestolpert. Das war nicht meine Welt. Viele junge Leute mit ausrasierten Nacken, wie Mods, Skinheads und auch Teds, wurden Anfang der Achtziger Ziel der Agitation von Nazi-Gruppen wie Michael Kühnens FAP. Von Tommy habe ich nie wieder was gehört. Zu »Ballroom Blitz« kann ich immer noch richtig gut tanzen.