Rezensiert den Bundesliga-Spielplan

The Rolling Balls

Fußball ist banal. Aber das Erstellen des Bundesliga-Spielplans stellt neuerdings eine »erhebliche schöpferische Leistung« dar.

In den vergangenen Wochen hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass der Besitz von Y-Chromosomen keine Voraussetzung für das Fußballspielen ist; dennoch warten alle, die lieber 44 haarige Männerbeine hinter einem Ball her rennen sehen, schon sehnsüchtig auf den kommenden Freitag, den 5. August, denn dann beginnt die Bundesligasaison (Herren) 2011/2012.
Überraschenderweise ist es darüber hinaus noch immer erlaubt, zu verraten, dass am Freitagabend um 20.30 Uhr der Hamburger SV bei Borussia Dortmund zu Gast ist. Überraschend deshalb, weil die Deutsche Fußball-Liga (DFL) neuerdings das Urheberrecht auf den Bundesliga-Spielplan beansprucht, und zwar mit der hübschen Begründung, dessen Erstellung sei eine »erhebliche schöpferische Leistung«.
Das muss überprüft werden, also nichts wie her mit dem Rezensionsexemplar des Opus magnum. Gibt’s erstaunlicherweise immer noch in diesem Internet, und das sogar für lau; allerdings trägt das PDF-Dokument den warnenden Hinweis: »Der Spielplan darf nur zu Informations- und Berichterstattungszwecken genutzt werden. Jede darüber hinausgehende, kommerzielle Nutzung ist ab Januar 2012 nur mit ausdrücklicher Zustimmung der DFL gestattet.« So weit, so zur Kenntnis genommen. Nun aber zur Frage, wie viel Kreativität in dem Werk steckt.
Die erwähnte PDF-Version besticht schon beim ersten Anblick durch eine gewisse Unübersichtlichkeit, in der Referenzen an Arno Schmidt aufscheinen: Zwischen die Liga-Begegnungen mischen sich wie bunte Farbtupfer die Daten der beiden Uefa-Wettbewerbe, des DFB-Pokals sowie der Länderspiele von Nationalmannschaft und U 21. Was all das in einem Bundesliga-Spielplan zu suchen hat? Keine Ahnung, aber da muss man wohl die schöpferische Freiheit gelten lassen.
Die daraus resultierende Verwirrung führt beim aus Laien bestehenden Publikum zu einem Überraschungseffekt, nämlich zu der Frage, ob hier etwa auch die Spiele der Zweiten Liga aufgeführt sind. Oder warum steht da »Augsburg«? Aber Lesen bildet ja bekanntermaßen: Der Kleinstadtverein darf sich tatsächlich Hoffnungen auf den Meistertitel machen – nun ja: theoretische.
Widmen wir uns dem literarischen Wert des Gegenstands. Mit dem eigentlichen Thema unserer Betrachtung hat der zwar nur am Rande zu tun (schließlich steht auch jedes Kreuzworträtsel in der Apotheken-Umschau unter dem Schutz des Urheberrechts), ist aber dennoch einen Blick wert. Der Stoff für klassische Dramen ist ohne Zweifel vorhanden, bei Protagonisten wie dem 1.FC Köln oder dem bereits erwähnten FC Augsburg mit einer deutlichen Tendenz zur Tragödie. Oftmals allerdings fehlt es der Handlung an Kreativität, etwa wenn am sechsten Spieltag Hoffenheim gegen Wolfsburg oder Hannover 96 gegen Borussia Dortmund antreten – derartige Begegnungen erscheinen doch ein wenig wie Neuaufgüsse aus den vergangenen Jahren. Ähnliches gilt für das retardierende Moment, das die ungenannten Autoren in der Mitte der Handlung einsetzen, die sogenannte Winterpause; dieser erzählerische Trick wurde schon zu oft angewandt, als dass er die Spannung nennenswert erhöhen könnte.
Insgesamt aber gewährt das liebevoll Spielplan abgekürzte Werk einigen Nervenkitzel, und seine poetisch ausgewogene Komposition, dank derer jede Mannschaft gegen jede andere spielt – und das sogar zweimal! – erforderte sicherlich eine nicht unerhebliche »schöpferische Leistung«. Zudem könnte das Beispiel der DFL stilbildend sein: Vielleicht werden ja demnächst bei jedem Platzverweis Lizenzgebühren an Rudolf Franke und Ken Aston, die Erfinder der Roten Karte, fällig? Und warum sollte die VG Bild-Kunst nicht die Rechte der unzähligen Platzwarte wahrnehmen, die Woche für Woche die hübschen Muster auf die Spielfelder malen?
Dennoch sollte man mit der Entscheidung, ob man der DFL ihr Urheberrecht gönnen will, bis zum 5. Mai 2012 warten. Falls der Deutsche Meister dann zum 23. Mal Bayern München heißt, kann nämlich von Originalität wirklich keine Rede mehr sein.