Klamottenkauf mit Muttern

Berlin Beatet Bestes. Folge 109. The Polecats: John, I’m Only Dancing (1981).

Polecats, Stray Cats, Blue Cats – die drei Katzenbands waren Anfang der achtziger Jahre meine Lieblingsgruppen. Der Rockabilly-Tanz nennt sich Boppin’ und ist ein Solotanz. Im schnellen Rhythmus der Musik wird gewippt und ein Bein vor das andere geworfen, während man die Arme gegenläufig bewegt. Auch ich boppte als 15jähriger wie bekloppt auf Feten und Konzerten in meinen spitzen, schwarzen wildledernen Doc Martens. Wie ich diese Schuhe geliebt habe! Für Teenager sind Schuhe ja so wichtig.
Gekauft hatte ich sie in Begleitung meiner Mutter bei Charmeuse am Hamburger Steindamm. Das Geschäft, gegründet 1977, besteht bis heute und war in seiner Blütezeit der Treffpunkt der Rockabillyszene. Der Laden war der einzige, in dem es Doc Martens, Drape Jackets und Petticoats gab. Punks und Teds befanden sich zwar in einem Bandenkrieg, der regelmäßig zu Schlägereien führte, aber auch Punks mussten sich dort hineinschleichen, um sich Creepers, dicke Kreppsohlenschuhe, zu besorgen. Mit meiner Mutter im Schlepptau betrat ich also zum ersten Mal Charmeuse. Uncooler als ich war in diesem mit Fünfziger-Jahre-Möbeln dekorierten Ort der Coolness niemand. Außer natürlich meine Mutter, eine Mischung aus Zarah Leander und Mutter Beimer. Ihr war das Gehabe der Szenetypen völlig gleichgültig, sie wollte sicherstellen, dass ihr Sohn vernünftige Schuhe bekommt. Schon zu meinem ersten Konzert, 1980 in der Hamburger Markthalle, hatte sie mich tapfer begleitet. In der letzten Reihe, umringt von mitleidigen Blicken der aufgemotzten Teds, sahen wir die lokale Rockabilly-Gruppe Ronny and his Hot Potatoes. Die Inhaberin von Charmeuse hieß Heidi, und zufällig kannte sie den trostlosen niedersächsischen Ort Harsefeld, in den meine Famlie 1979 gezogen war, weil eine Verwandte von ihr dort wohnte. Heidi muss damals so Anfang 30 gewesen sein, jedenfalls schien sie mir tausendfach cooler zu sein als meine Mutter. Schlicht gekleidet, war sie nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Jugendliche, die den Laden damals regelmäßig besuchten, ein Vorbild: vernünftig, erwachsen, aber trotzdem cool. Vor allem aber war sie mitfühlend. Empathie war in den kühlen Achtzigern nicht ansagt. Neon wollte man sein. Bei meinen folgenden Besuchen bei Charmeuse erkanne Heide mich immer sofort. Einmal zeigte sie mir sogar Medita­tionsübungen, die ich noch Jahre später, auf dem Rücken liegend, in meinem Jugendzimmer praktizierte.
Die Polecats haben 1981 im Onkel Pö gespielt. Ohne mich. Meine Mutter verbot es und versuchte mich zu trösten: »Andi, da kommen noch so viele Konzerte!« Vor Jahren erschien der Livemitschnitt des legendären Konzerts auf LP. Die Rocka­billyversionen der Polecats von David Bowies »John, I’m Only Dancing« und T. Rex’ »Jeepster« ließen es erahnen, trotzdem konnte ich es nicht glauben, als Heidi heiter feststellte: »Der Sänger tanzt so süß, so schwul!«