Der syrischen Angriff auf ein palästinensisches Flüchtlingslager

Assad verschafft sich neue Feinde

Der Angriff des syrischen Militärs auf ein palästinensisches Flüchtlingslager lässt bislang unterdrückte Widersprüche zutage treten.

Einfach zu verstehen sind die Frontlinien im Nahen Osten nicht. Da walzt das syrische Regime die Protestbewegung im Lande mit äußerster Brutalität nieder. Die syrische Muslimbruderschaft beteiligt sich an den Demonstrationen gegen Präsident Bashar al-Assad, doch die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Hamas unterhält ihr Hauptquartier in Damaskus und ist nicht nur mit dem syrischen Regime eng verbündet, sondern auch mit dessen Patron, dem Iran. Beide Regimes erklären zu jeder sich bietenden Gelegenheit, sie führten weltweit den Kampf gegen Zionismus und Imperialismus an, nichts liege ihnen so am Herzen wie Gerechtigkeit für die Palästinenser. Dann, aus welchem Grund auch immer, meinte die syrische Armee, ein palästinensisches Flüchtlingslager in Latakia bombardieren zu müssen. Mehrere Menschen starben, Tausende Palästinenser irren nach Angaben der UN in Syrien auf der Flucht umher.
Damit hat der ohnehin schon schwer angeschlagene Assad sich weiter diskreditiert. Nicht etwa, weil die internationale Palästina-Solidaritätsbewegung jetzt eine Hilfsflotte zu entsenden drohte. Das geschieht nur, wenn man Israel beschuldigen kann. Sondern weil die Widersprüche der nahöst­lichen Palästina-Solidarität so offensichtlich zutage treten, die maßgeblich vom Iran abhängig ist. Die PLO unterhält jedoch enge Beziehungen zu dessen regionalen Feinden, zu Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten, denen, wenn nicht am Sturz Assads, so doch an der Schwächung des syrischen Regimes gelegen ist.
Entsprechend scharf verurteilte Yasser Abed Rabbo, der Generalsekretär der PLO, das syrische Vorgehen in Latakia als »Verbrechen gegen die Menschheit«. In der Westbank fanden mehrere Solidaritätsdemonstrationen mit den »palästinensischen Brüdern« in Syrien statt, im Gaza-Streifen verhinderte die Hamas gewaltsam entsprechende Versuche. Folgsam distanzierte sich Ghazi Dabbour, Mitglied des Zentralkomitees der in Syrien ansässigen PFLP, von Rabbos Äußerungen und sagte: »Unser Volk steht loyal zu Syrien und seiner Führung, die seit Jahrzehnten den Widerstand der Palästinenser unterstützen.«
Eine ähnlich servile Ergebenheitsadresse war von Seiten der Hamas bislang nicht zu vernehmen, sie schwieg zu den Vorfällen. Ihre prosyrische Haltung wird in Gaza inzwischen offen kritisiert, überall in der Region sympathisiert man nämlich mit der Protestbewegung in Syrien. Als »absolut beschämend« und »doppelzüngig« bezeichnete der palästinensische Journalist Hani Habib die Haltung der weiterhin mit Assad verbündeten Palästinenserparteien. Die Hamas ist sich der misslichen Lage bewusst. Seit Monaten kursieren Gerüchte, ihr Politbüro plane, nach Katar oder Ägypten umzuziehen. Das allerdings werden weder der Iran noch Syrien einfach so zulassen.
Immerhin verschaffen das Terrorattentat in Süd­israel und die Eskalation im Gaza-Streifen der Hamas nun ein wenig Ablenkung von diesen Problemen. Mehr aber nicht, die Ereignisse in Sy­rien lassen alle bislang mühsam unterdrückten innerpalästinensischen Widersprüche offen zu­tage treten. Der Zeitpunkt könnte ungünstiger nicht sein, schließlich will man im September ­einen eigenen Staat proklamieren und dann wenigstens nach außen Einigkeit demonstrieren.