Über brennende Autos in Berlin

London für Anfänger

Nach den Brandanschlägen auf Autos in Berlin geht die Polizei von »pseudopolitischen« Nachahmungstätern aus, linke Aktivisten werten die Anschläge als Vorboten eines »sozialen Aufstands«.

Die Schlagzeilen der vorigen Woche überboten sich in ihrem apokalyptischen Vokabular. Von einer »Logik des Terrors« (Süddeutsche), der »Vorstufe zum Terrorismus« (FAZ) und »Hassbrennern« (Focus) war zu lesen. Mit diesen Worten wurde nicht über die Londoner Riots berichtet, sondern über Brandanschläge auf Autos in Berlin. Innerhalb einer Woche waren dort 80 Autos in Flammen aufgegangen. Damit wurden allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres mehr als 250 Fahrzeuge in Brand gesetzt, 2011 dürfte beste Aussichten haben, ein neues »Rekordjahr« zu werden. Diesen Titel hält bislang das Jahr 2009. Damals verübte die Militante Gruppe gezielt Anschläge auf Fahrzeuge von Firmen und der Bundeswehr, Gentrifizierungsgegner zündelten an »Luxuskarossen« der »Yuppies«, und auch militante Umweltschützer, die es auf Fahrzeuge mit hohem Spritverbrauch abgesehen hatten, waren mit von der Partie. Die politische Motivation schien offensichtlich. Vielfach wurden Bekennerschreiben versandt oder Botschaften an den Tatorten gefunden. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Medien mit dem Beginn der jüngsten Brandanschläge reflexartig die Täter im »linksextremistischen Lager« ausmachten. Obwohl mittlerweile auch die Bundespolizei im Einsatz ist, ist ein Ende der Brandanschlagsserie nicht absehbar.

Für die Berliner CDU liefern die brennenden Autos wohl den letzten Hoffnungsschimmer im Wahlkampf. Innerhalb weniger Tage präsentierte sie ein neues Wahlplakat, das ein ausgebranntes Autowrack zeigt. Darunter steht in Anspielung auf den Wahlkampfslogan »Berlin verstehen« der SPD: »Muss Berlin das verstehen?« Im Internet kursiert eine CDU-Postkarte mit dem Slogan »Berlin ist Hauptstadt des linken Terrors«. Auch der Berliner FDP-Landesvorsitzende Christoph Meyer geht von »offensichtlich linksextremistisch motivierten Straftaten« aus. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte der Bild-Zeitung: »Das ist eine Vorstufe zum Terrorismus. Auch die RAF fing mit Brandanschlägen an.«

Doch einiges spricht gegen eine ausschließliche Täterschaft der »linken Feuerchaoten« und »Anti-Auspuff-Aktivisten« (Franz Josef Wagner) von 2009. So brannten in den vergangenen Wochen anscheinend wahllos Kleinwagen, Mofas und auch Kinderwagen. Nach Polizeiangaben haben 80 Prozent der zerstörten Fahrzeuge einen Wert von unter 30 000 Euro. Selbst die Berliner Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers geht deshalb davon aus, dass die Brandanschläge auf unterschiedlich motivierte Einzeltäter oder kleine Gruppen zurückgehen: »Die linksextremistische Szene steht nicht hinter den Taten und erklärt sich damit auch nicht einverstanden.« Nach Ansicht der Polizei deuten die Spuren auf Nach­ahmungstäter mit »pseudopolitischer Motivation« hin.
Diese Verschiebung der Deutungshoheit wollen einige Berliner Aktivisten offenbar nicht hinnehmen. Mehrere Stadtteile waren in den vergangenen Tagen zugepflastert mit Aufforderungen zur Solidarität mit den Riots in London. In einem Aufruf zu einer Kundgebung vor der britischen Botschaft freute man sich: »Sie zünden Autos, Geschäfte und Gebäude an (…) und das ist gut.« An der Kundgebung nahmen allerdings nur 50 Personen teil. Auf der linken Internet-Plattform Indymedia findet sich der Artikel: »London brennt – wann folgt endlich Berlin?« Brennende Autos werden dort als erste Anzeichen eines »sozialen Aufstands« gewertet.
Wo Brandstiftung als emanzipatorischer Akt gewertet wird, da steigen auch Mofas und Kleinwagen zu »Symbolen von Staat und Kapital« auf. Und so übersehen die Berliner Aktivisten leider auch einen Aspekt: In Zeiten schlechter Konjunktur kann das Entzünden versicherter Autos in seinen Auswirkungen wohl eher als Neuauflage der Abwrackprämie bewertet werden, über die sich, neben der Berliner CDU, in erster Linie die deutsche Autoindustrie freut.