Der Kurdenkonflikt in der Türkei eskaliert

Lieber bombardieren als lösen

Statt sich um eine Lösung zu bemühen, nutzt der türkische Ministerpräsident ­Recep Tayyip Erdogan die Eskalation im Kurdenkonflikt für eine Annäherung an die Ultranationalisten.

Seit Juli häufen sich vermutlich von der kurdisch-nationalistischen PKK verübte Anschläge im Südosten der Türkei, bei denen bislang schon Dutzende Soldaten ums Leben gekommen sind. Die türkische Armee reagierte mit der Bombardierung des kurdischen Nordirak und tötete inzwischen angeblich bis zu 160 militante Kurden. Der Kurdenkonflikt ist in diesem Sommer wieder so verfahren und die Lage scheint so hoffnungslos wie in den schlimmsten Zeiten. Einer der Gründe hierfür ist politisches Kalkül. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan braucht für seine Großprojekte, die neue Verfassung und das Präsidialsystem, die türkischen Nationalisten. Da es trotz einer mit professionellen Geheimdienstmethoden inszenierten Schmutzkampagne nicht gelungen ist, Devlet BahÇelis ultranationalistische MHP unter die Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament zu drücken, kann Erdogan nur mit Hilfe BahÇelis ein für die neue Verfassung notwendiges Referendum ansetzen. Auch bei dem Referendum selbst hat Erdogan von den nationalistischen Wählern am meisten zu fürchten. Kurden und Liberale können hierfür kein Ausgleich sein.
Den Kurden größere Zugeständnisse zu machen oder sie in irgendeiner Form an der Ausarbeitung der neuen Verfassung zu beteiligen, kommt für Erdogan nicht in Frage. Daher dürfte ihm die derzeitige Konfrontation nicht ungelegen kommen.

Außerdem glauben Erdogan und wichtige, ihm nahestehende Politiker nach wie vor daran, dass das »Kurdenproblem« ohnehin verschwinden werde, wenn die Religion als politischer Faktor gestärkt wird. Sie soll der Kitt sein, der die Nation zusammenhält. Beim Wahlkampf zur letzten Parlamentswahl setzte Erdogans Partei AKP im Westen der Türkei nur sehr gedämpft auf die Religion, im kurdischen Südosten sprach Erdogan hingegen über kaum etwas anderes.
Viele Kurden haben geglaubt, Erdogan stelle sich nur im Wahlkampf gegen die kurdische Bewegung, werde nach der Wahl aber sofort umschwenken. Der Grund für diese Hoffnungen waren die über viele Monate geführten ominösen Gespräche mit dem gefangenen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Darin kam auch die politische Unreife der kurdischen Bewegung zum Ausdruck, ihre völlige Abhängigkeit von Öcalan. Dieser lebt seit eh und je in seiner eigenen Realität.
Wie schon einmal Anfang der neunziger Jahre versucht Öcalan derzeit seine eigenen staatlichen Strukturen zu schaffen, auch wenn er es nun anders nennt. Vertreter von Gemeinden, in denen die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) die Mehrheit hat, haben sich einfach für autonom erklärt. Was sich dadurch nun faktisch ändert, ist nicht ganz klar, aber es ist ein weiterer Schritt, um in der Türkei als politische Kraft nicht ernst genommen zu werden. Und genau das passt in Erdogans Konzept.

Der Preis für die Konfrontation ist das Wiederaufflammen des Krieges mit der PKK. Dass dieser Krieg seine Opfer fordert, lässt sich einstweilen noch der Unfähigkeit des Militärs in die Schuhe schieben, aber natürlich steht Erdogan unter Druck. Also werden mutmaßliche PKK-Stellungen im Nordirak bombardiert. Dabei kann die Türkei hoffen, dank verbesserter Waffentechnik diesmal erfolgreicher zu sein. Zur neuen Strategie gehört insbesondere der Einsatz von Drohnen. Neben den eigenen, aus Israel stammenden Drohnen helfen türkischen Presseberichten zufolge auch Drohnen der USA dabei, die PKK aufzuspüren.
Dass kurdische Dörfer im Nordirak durch die Angriffe bedroht sind, dürfte sicher sein. Dabei geht die Gefahr nicht nur von türkischen Flugzeugen und Geschützen aus, sondern auch von iranischer Artillerie, weil eine Schwesterorganisation der PKK auch im Iran kämpft. Die Zusammen­arbeit in der Kurdenfrage verbindet immer noch die Türkei, den Iran und Syrien miteinander. Dies schließt konkrete militärische und polizeiliche Zusammenarbeit ein. In dieser Hinsicht hat die trükische Regierung auch kein Problem mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.