Whitie kann nicht tanzen

Berlin Beatet Bestes. Folge 113. Gay Cowboys In Bondage: Owen Marshmallow strikes again! (1984).

I got a funny red moustache of cool aid, hanging over my lip/And it’s really hip, and if you complain, then you’re a dick!« sangen 1984 die Gay Cowboys in Bondage. Sie waren vielleicht nicht die härteste, sicher ab die lustigste HardcoreBand aus Florida. Im Sommer desselben Jahres sah ich in Miami zum ersten Mal Slam Dancing, Circle Dancing und Stage Diving. Aus Deutschland kannte ich nur Pogo: Jeder tanzt für sich, chaotisch, egal, in welche Richtung und nach welchem Rhythmus.
Beim Circle Dancing tanzen die US-Punks hintereinander im Kreis wie Indianer um den Marterpfahl, wobei, an das Tempo der Musik angepasst, mal schneller, mal langsamer geslammt wird. Slam Dancing ist jedoch nicht weniger brutal als Pogo, es geht immerhin darum, die Körper ineinander krachen zu lassen. Aber der Tanz entwickelte sich gemeinsam mit der Musik weiter. Genau wie Hardcore technisch versierterer Punk ist, ist Slam Dancing koordinierter Pogo. Als ich zum ersten Mal Stage Diving sah, war das kein plumpes Springen in die Masse des Publikums, sondern eine verabredete akrobatische Figur. Athletische Skate Punks sprangen in immer neuen Varianten flach, hoch, nur auf eine Hand gestützt oder im Salto von der Bühne, wo sie von ihren Freunden aufgefangen wurden. Entwickelt wurde Stage Diving in der US-Hardcore Szene der achtziger Jahre, der Tanz erreichte erst in den neunziger Jahren den Mainstream. Pogo hat sich seit 1976 als Tanz allerdings nie weiter entwickelt. Als Anti-Tanz, der sich wie Punk als unmittelbare Reaktion auf Disco verstand, war Pogo auch gar nicht vorgesehen. Pogo sollte der finale Tanz sein. Aber auch das Tanzen in der Disco hat sich seitdem nicht maßgeblich verändert. Ob Disco als selbstverliebter Solotanz im Club oder Pogo als gewalttätiger Jungstanz auf dem Punkkonzert – es bleibt meist ein hilflos individualisiertes, stilloses Rumgezappel. Neue Tanzstile in der Popkultur hat im 20. Jahrhundert ohnehin nur die afroamerikansche Kultur hervorgebracht. Bis heute entwickeln sich aus dem HipHop und elektronischer Musik immer neue von Breakdance, beeinflusste Tanzstile. Vielleicht kann »Whitie« eben doch nicht tanzen. Weiße Popmusik hat jedenfalls nicht notwendig zum Ziel, dass zu ihr getanzt wird. Oft wird beim Musikhören leider nur der Kopf bewegt.
Als ich nach den Sommerferien 1984 nach Deutschland zurückkam, war ich mit solch wichtigen Fragen ­beschäftigt. Nur nicht mit dem Abitur. Ende des Jahres flog ich von der Schule. Im Roschinsky’s, einem umgebauten Dorfkino in Rübke, spielten im Herbst 1984 die Düsseldorfer Band Fehlfarben. Einsam tigerte ich »slamdancend« mit einem anderen Punk zu ihrem Funksound vor der Bühne herum. Wenige Monate später zog ich weg aus der Provinz.