Der »Künstlerstaat« des slowenischen Kollektivs NSK

Totaler als der Totalitarismus

Die Band Laibach und das Künstlerkollektiv Neue Slowenische Kunst haben nicht nur den Staat kritisiert, sie haben auch einen eigenen gegründet. Künstler sind bis heute seine wichtigsten Diplomaten.
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Im Jahr 1991 erklärte nicht nur die ehemals Sozialistische Teilrepublik Slowenien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. Vor 20 Jahren wurde auch der »NSK Staat in der Zeit« gegründet. Dieser von dem Künstlerkollektiv »Neue Slowenische Kunst« ins Leben gerufene Staat entspricht weder einer bestimmten Nation, noch verfügt er über ein Territorium. Er gibt jedoch Reisepässe als »Bestätigung des Zeit-Raums« aus. Diese Pässe, die in derselben Druckerei wie die echten Reisepässe der Republik Slowenien gedruckt werden, können von jedem und jeder für 24 Euro erworben werden. War der »NSK Staat in der Zeit« ursprünglich als konzeptuelle Alternative zu der als Beschränkung empfundenen slowenischen Staatsangehörigkeit gegründet worden, entsteht jedoch in letzter Zeit eine neue – globale – Lesart dieses Konzeptstaats. Mit seinen über 10 000 Staatsbürgern in aller Welt hat der NSK-Staat inzwischen mehr Einwohner als der Vatikan. Dabei ist die Staatsbürgerschaft in diesem virtuellen Staat insbesondere bei nigerianischen Staatsbürgern, die heute ein Viertel der Bürger des NSK-Staates ausmachen, sehr populär geworden. Wegen der großen Nachfrage nach den Papieren forderte die Republik Slowenien die Künstler daher vor einiger Zeit auf, eine Information auf ihre Website zu stellen, die ausdrücklich darauf hinweist, dass die NSK-Staatsbürgerschaft nicht mit der slowenischen Staatsbürgerschaft gleichzusetzen sei und dass die NSK-Reisepässe nicht zur Einreise in Schengen-Staaten berechtigen, wie einige Antragsteller hofften.
Elf Jahre vor der NSK-Staatsgründung, in der Nacht zum 26. September 1980, wurden in der slowenischen Industriestadt Trbovlje Wände mit düsteren Plakaten beklebt. Eines der beiden Plakatmotive zeigte ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund, das andere die Szene einer Verstümmelung: ein Mann, der sein Opfer mit einem Messer blendet. Beide Plakate waren mit dem Namen »Laibach« signiert und wiesen auf eine Ausstellung und ein Konzert der ein paar Monate zuvor gegründeten Gruppe Laibach hin. »Laibach« ist der deutsche Name von Ljubljana, den die Stadt in der Habsburger Monarchie trug – und auch während der deutschen Besatzung 1943 bis 1945. Das schwarze Kreuz erinnerte an den russischen Suprematisten Kazimir Maleviç, an die Markierung deutscher Militärfahrzeuge im Zweiten Weltkrieg, aber auch an den deutschen Fluxus-Künstler Joseph Beuys, der ein ähnliches Zeichen verwendete. Konzert und Ausstellung wurden von der Polizei und der Stadt wegen »unangemessener Verwendung von Symbolen« verboten.
Die Band Laibach wurde zum Vorläufer des 1984 in Ljubljana gegründeten Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK). Laibach und die NSK definierten sich nicht als Zusammenschluss einzelner Individuen, sondern explizit als uniformes Kollektiv, das nach dem Vorbild des Staats dem Prinzip der industriellen Produktion und dem »Direktivenprinzip« verpflichtet war und die »Identifikation mit der Ideologie« als seine Arbeitsmethode übernommen hatte. Bei dieser wohlkalkulierten Übernahme von Bestandteilen und dem Spiel mit Versatzstücken der offiziellen Ideologie ging es darum, vorhandene Herrschaftscodes aufzunehmen und, so Laibach, »diesen Sprachen mit ihnen selber [zu] antworten«. Insbesondere die Auftritte von Laibach waren in den achtziger Jahren in Jugoslawien und später auch im (westlichen) Ausland sehr umstritten. Denn dieses Künstlerkollektiv trat, wie Boris Groys es formulierte, mit dem Vorsatz auf, »totaler als der Totalitarismus« zu sein. Nicht Ironie, Satire oder Parodie waren die treibende Kraft hinter den Aktivitäten des Kollektivs, nicht kritische Distanz zur herrschenden Ideologie. Die Strategie der NSK bestand vielmehr in einer – wie es der Philosoph Slavoj Žižek nennt – affirmativen »Über-Identifizierung« mit der die gesellschaftlichen Beziehungen regulierenden Ideologie. Es handelte es sich um einen provokativen Verweis auf die dem »semitotalitären System« Jugoslawiens zugrunde liegende ideologische Struktur.
Obwohl die Band anfangs ihre Kraft aus der jugoslawischen Punk-Bewegung bezog, kann man ihre Musik nicht als Punk bezeichnen. Laibach begannen musikalisch als Industrial-Band. Zu Industrial werden im Allgemeinen eine Anzahl westeuropäischer Musikgruppen aus den späten siebziger und frühen achtziger Jahren gezählt, die, so die Musikwissenschaftlerin Alenka Barber-Keršovan, »die hochtechnologisierte Umwelt als lauten, sich ewig wiederholenden entpersonifizierenden Lärm« fassten. Mit dieser radikalen Konsequenz, die aus der Punkmusik gezogen wurde, wollte Industrial nicht nur »die bislang im Bereich der populären Musik herrschenden Hörgewohnheiten außer Kraft (…) setzen, sondern die Musik als solche (…) zerstören« (Barber-Keršovan). Während die frühen Stücke von Laibach (von etwa 1980 bis 1983) vorwiegend aus brachialen Lärmcollagen bestehen, die eine Tendenz ins Atonale aufweisen, werden von 1982/83 an die Kompositionen strukturierter und filigraner. Laibach haben schon früh mit der Technik des Sampling gearbeitet. Vor allem Akkorde aus Musikpartituren der klassischen Moderne werden zu dissonanten, beunruhigenden Industrialklängen und -rhythmen collagiert. Außerdem finden Partisanenlieder, lateinische Kirchengesänge, Volkslieder und populäre Musik (beispielsweise »Wiener Blut«) Verwendung. Die Stücke werden fast ausnahmslos mit dumpfen, langsamen Marschrhythmen unterlegt. Gesampelte und teils verlangsamt abgespielte Pauken, Trommelwirbel, Fanfaren, Jagdhörner und Posaunen verstärken die düstere Atmosphäre. Immer wieder werden Ausschnitte aus Propagandareden, Filmen (z.B. aus »Mephisto«) und eigenen Texten eingespielt. Die Gruppe montiert in ihren Klang-Collagen – wie etwa bei der Musik zu der 1986 in Ljubljana uraufgeführten »retrogardistischen« Oper Krst Pod Triglavom (Taufe unter dem Triglav) – unterschiedliche Stilrichtungen aus der Musikgeschichte: In dieser »Sampling-Oper« findet sich neben Zithermusik und »Ohm, Sweet Ohm« (Kraftwerk) auch viel Symphonisches von Bruckner, Schostakowitsch, Prokofjew und Wagner. Das Walzermotiv aus »Wiener Blut« erfährt eine erst auf den zweiten Blick erkennbare Verfremdung dadurch, dass es in russischer Sprache gesungen wird.
Die visuelle Sprache von Laibach ist geprägt von Zitaten aus kommunistischer wie nationalsozialistischer Propaganda und Ästhetik, Agitprop, traditioneller Volkskunst, suprematistischer Reduktion und Heimatsymbolik. Vor allem jedoch werden Motive aus den Collagen des antifaschistischen Dada-Künstlers John Heartfield verwendet. Das schwarze Kreuz von Maleviç, Heartfields aus blutigen Beilen geformtes Hakenkreuz, die aus der Arbeiterpropaganda stammenden Motive des »Hammermanns« und des Zahnrads sowie das Hirschmotiv aus der Volks- und Heimatkunst wurden in ihrer symbolischen Kombination zu den leitmotivischen Bestandteilen der Bildsprache von Laibach.
Im September 1982 fand während des Novi-Rock-Festivals in Ljubljana der erste große öffentliche Auftritt der Gruppe statt. Er setzte den Maßstab für alle weiteren Konzerte von Laibach. Durch den infernalischen Lärm, den die Gruppe produzierte, sowie durch die »totalitäre« Erscheinung des Sängers Tomaž Hostnik – Mussolini-Pose, paramilitärische Uniform, erhobener Kopf mit starrem, nach vorne gerichtetem Blick und in die Seiten gestemmten Armen – sowie das von Hostnik in ein Megaphon gebrüllte Mussolini-Zitat »Cari amici soldati/i tempi della pace/sono/passati!« – geriet das Publikum fast außer sich. Nach dem Laibach-Konzert »Dotik Zla« (Berührung des Bösen) in Zagreb, das eine militärpolizeiliche Untersuchung der Gruppe wegen des »offensichtlichen Gebrauchs von Militärzeichen« nach sich zog, beging der Sänger Tomaž Hostnik am 11. Dezember 1982 Selbstmord. Hostnik wurde nach seinem Tod zu einer Kultfigur von Laibach.
Im folgenden Jahr häuften sich die Verbote von Laibach-Aktionen. Am 31. Mai 1983 schlossen Laibach mit der staatlichen Plattenfirma ZKP RTV Ljubljana einen Vertrag für die erste LP »Nebo žari« (Der Himmel glüht). Bald darauf erklärte der Produzent den Vertrag ohne Begründung für ungültig. Am 23. Juni gaben Laibach dem Journalisten Jure Pengov im Fernsehen ein Interview für das wöchentliche Kultur- und Politikprogramm TV Tednik. In dieser Fernsehsendung trat die aus fünf jungen Männern bestehende Gruppe in einem paramilitärischen Outfit auf (grüne Uniformen, kurzrasierte Haare, Armbinden mit einem schwarzen Kreuz in einem Zahnrad, schwarze Lederstiefel), das auf einen undefinierten Totalitarismus hinzuweisen schien. Die Fragen des Journalisten wurden durch das Verlesen von vorformulierten Statements beantwortet. Dem Fernsehauftritt folgte kurz darauf das endgültige offizielle Auftrittsverbot für Laibach. Dieses Auftrittsverbot, das in Jugoslawien bis 1987 in Kraft blieb, beförderte paradoxerweise die internationale Karriere der Band. Ab 1983 schlossen Laibach Plattenverträge mit Produzenten in Belgien, Deutschland, Holland und Großbritannien ab. Die Konzerte und Tourneen im westlichen und östlichen Ausland machten Laibach weltweit bekannt.
Die NSK verstand sich nicht als »guter« oder gar »moralischer« Gegenentwurf zum Staat; vielmehr führte sie unter Verwendung des vorgegebenen ideologischen Materials das (absurde) Theater der Faszination der Macht auf. Der Gruppe Laibach ging es mit ihrer »exorzistischen« Strategie nicht darum, rational zu erklären, wie Unterdrückung funktioniert, sondern diesen Mechanismus psychisch und physisch nachvollziehbar zu machen und dadurch zu entmachten. Das ästhetische Prinzip der NSK war von Anfang an antiaufklärerisch: kein Millimeter Glaube an die kalte Macht der Vernunft. Es ging um eine Provokation des auf einem pathetischen Antifaschismus basierenden politisch-ideologischen Systems, das jedoch, wie die Autorin Katja Diefenbach sagt, »zur Struktur des (totalitären) Begehrens schweigt«.
Es war die Verweigerung einer eindeutigen Positionierung zu dem von ihr verkörperten »Totalitarismus« sowie die kollektive und damit latent bedrohlich wirkende Organisationsform der NSK, die den Einzelnen zu einer ständigen Überprüfung der eigenen politischen Haltung zwang. Außerdem ließ sich an der Reaktion der jugoslawischen Behörden ablesen, was der Staat außerhalb des staatlich sanktionierten Diskurses zuließ. Insofern war Laibachs – durchaus riskante – Strategie bedeutend für den in Slowenien gegen Ende der achtziger Jahre beginnenden politischen Pluralisierungs- und Demokratisierungsprozess.
Heute, im Jahr 2011, sind Laibach und die anderen Mitglieder der NSK Staatskünstler. Dies jedoch nicht in dem Sinne, der ihnen oft unterstellt wurde und wird, sondern als Gründer und Diplomaten des NSK-Staats in der Zeit.