Ein Zaun gegen Obdachlose in Hamburg

Der Sheriff mit dem Gitter

In Hamburg sollte ein Zaun Obdachlose vom Hausen unter einer Brücke abhalten. Durch unerwartete Proteste wurde die Angelegenheit zum Politikum.

Kaum einem Hamburger wäre die Kersten-Miles-Brücke an der Helgoländer Allee in St. Pauli bekannt, wäre sie nicht seit Jahrzehnten ein beliebter Schlafplatz für Obdachlose. Unter ihr ist es regengeschützt und einigermaßen geräumig, so dass vor einigen Jahren sogar Wohnzimmerschränke, Sessel und anderes Mobiliar organisiert wurden, um den Ort etwas häuslicher zu machen. Die Anwohner haben sich daran nicht gestört. Ganz im Gegenteil: So manches Entbehrliche wurde dorthin getragen, auch Kleidung und Essen wurden vorbeigebracht.

Einem Mann aber passte die Sache überhaupt nicht: dem Leiter des Bezirksamts Mitte, Markus Schreiber (SPD), bekannt als »City-Sheriff«. Mal stört er sich an Prostituierten in St. Georg, mal an Trinkern vor dem Hauptbahnhof, oder eben an Obdachlosen. Mit anderen Themen tritt er politisch kaum in Erscheinung. Alles Randständige will Schreiber wohl aus der Öffentlichkeit verschwinden lassen, so dass niemand versehentlich Zeuge sozialen Elends wird.
Bereits Anfang des Jahres ließ Schreiber den Bereich unterhalb der Brücke mit einer 100 000 Euro teuren Maßnahme »umgestalten«. Sie hatte zum Ziel, den Obdachlosen den Aufenthalt dort zu vergällen. Die einbetonierten Wackersteine verfehlten ihren Zweck. Statt sich davon vertreiben zu lassen, machten die Obdachlosen es sich direkt daneben gemütlich – und bedankten sich ironisch mit einem Schild: »Vielen Dank, dass Sie unser Zuhause renoviert haben.«
Vor zwei Wochen dann ließ Schreiber – für weitere 18 000 Euro – mit einem fast drei Meter hohen Zaun nachbessern. Das Metallgitter hatte einen unerwarteten Proteststurm zur Folge. Unter dem Motto »Schreiber abschreiben« riefen bereits wenige Tage später verschiedene Fangruppen des FC St. Pauli zu einer Demonstration nach dem anstehenden Heimspiel auf – mit Abschlusskundgebung am Zaun. Auf die etwa 1 500 Demonstranten kamen rund 1 000 Polizisten. Ohne erkennbaren Anlass griffen diese zum Reizgas und drohten unter anderem mit dem Einsatz von Wasserwerfern. Die Demonstration wurde ohne Abschlusskundgebung aufgelöst.

Schreiber ließ daraufhin verbreiten, er wolle niemanden vertreiben. Der Zaun diene auch nicht der Ausgrenzung, schließlich gebe es Unterkünfte. Demnächst würden sogar entsprechende Hinweisschilder montiert, offenbar, damit die Obdachlosen nicht vergessen, wo sie hingehören. Überhaupt halte sein Bezirk die meisten Hilfsangebote bereit, so dass man sich im Umgang mit Obdachlosen nichts vorwerfen lassen müsse, behauptete Schreiber.
Es folgten weitere Proteste: Mahnwachen, Kranzniederlegungen, Beschädigungen am Zaun, Einzelaktionen mit Plakaten und Schildern – aber auch eine vermeintliche Kunstaktion der Hamburger Fraktion der »Linken«. In riesigen Buchstaben wurde dabei das Wort »Ausgrenzung!« an dem Zaun angebracht. Ohne diesen klotzigen Hinweis wäre man vermutlich – wie Schreiber – nicht darauf gekommen, dass ein Zaun der Ausgrenzung dient. Der SPD-Politiker scheint ermattet, seit die Angelegenheit sogar zum Thema in der Hamburger Bürgerschaft geworden ist. »Der Zaun kann weg«, gab er dort entnervt zu Protokoll, nachdem in einer heftigen Debatte neben Grünen und Linken auch die CDU den Bau des Zauns verurteilt hatte. Bereits am Wochenende wurde der Zaun dann wieder abgerissen. Nun sollen »Alternativen« gefunden werden, um die Situation an der Brücke zu klären.
Schon zuvor hatte das Bezirksamt die vielfältigen Protestbekundungen vom Zaun entfernen lassen. Angeblich ist das so üblich nach einer Demonstration. Unerbetene Bekundungen sind eben nichts anderes als obdachlose Meinungen. Auch das kann Touristen nicht zugemutet werden, selbst dann nicht, wenn sich die Sache als Publikumsmagnet erweist. Ganze Busladungen von Touristen hatten sich zeitweise dafür interessiert. Diese sollen aber eine glattgebügelte Stadt vorfinden, die ihnen bereits auf dem Weg ins Musical eine heile Welt vorgaukelt.