Auf der Suche nach der Gletschermaus

»Mach’ Fotos von den Gletschermäusen«, bekommt man zu hören, bevor man nach Island abfliegt. Das mit den Gletschermäusen hat M., der gar nicht mitfährt, im »Lonely Planet« gelesen. Im Reiseführer, den man im Hotel in Rey­kjavík überreicht bekommt, findet sich nichts darüber. Noch schlimmer ist, dass Google diese Maus nicht kennt. Vor Ort beginnt die Recherche. Die Gletscher liegen allerdings verdammt hoch und sind schwer zugänglich. Das ist hier nicht Kreuzberg, wo die Berge Treppen haben!
Man muss sich durchfragen: »Kennt hier jemand eine Gletschermaus?« Umweltschützer Andri Snaer Magnason weiß gar nichts über Gletschermäuse: »Nie gehört. Wie genau sah der Typ denn aus, der dir die Geschichte von Mäusen, die auf Eisbergen leben, erzählt hat?« Die Po­litikerin und Internet-Aktivistin Birgitta Jonsdóttir hat eine Vermutung: »Es könnte die Hausmaus der Elfen und Trolle sein.« Der Schriftsteller und Kapitalismuskritiker Einar Már Gudmundsson versucht sich der Problematik lautpoetisch anzunähern und fragt: »Maus? Moos! Vielleicht Gletschermoos?« Und kommt der Sache schon näher.
Zurück in Berlin erfährt man dann von dem Biologen und Philosphen Cord Riechelmann, dass die Gletschermaus gar kein niedlicher ­Nager mit Fellchen ist. Er hat die Mäuse auf Island mit eigenen Augen gesehen! Es handele sich aber nicht um ein Tiersubjekt, sondern eher um ein postidentitäres Konstrukt. Eine Quasimaus? »Es sind kleine, mit Moos überzogene Lavasteine, die irgendwann zu kullern beginnen. Dann liegt eine neue Seite bereit, um von den Pflanzen erobert zu werden.« Es soll bis zu 50 Jahre dauern,
bis sich die Gletschermaus ein dichtes Moospelzchen zugelegt hat.