Die Debatte um einen rechtsextremen Aussteiger in Hamburg

Mit 16 darf man noch sündigen

Aussteiger aus der rechtsextremen Szene werden häufig daran gemessen, ob sie das Milieu hinter sich gelassen haben. Die ideologischen Hintergründe werden dabei gerne ausgeblendet. Das zeigt das Beispiel eines ehemaligen NPD-Kaders aus Hamburg.

Mit der rechtsextremen Szene wolle Johannes D. nichts mehr zu tun haben. Von der NPD, in der er Mitglied war, habe er sich getrennt. »Er ist raus, wir glauben ihm«, sagt Walter Marthiens, Geschäftsführer der Sportvereinigung Polizei Hamburg. In dem Polizeiverein ist der Hamburger schon seit Monaten aktiv. Im Juni zog der 22jährige, als er an einem Kampfsportturnier teilnahm, die Aufmerksamkeit von Antifa-Initiativen auf sich. Er trat dort als Mitglied einer Kampf­sport­abteilung der Sportvereinigung an. In der Folge gab es erste Nachfragen zu seiner Person bei dem Verein.
Dass den Antifaschisten seine Teilnahme aufgefallen war, lag daran, dass der Kampfsportler kein einfaches Parteimitglied war. Immer wieder hatte Johannes D. bei Infoständen der NPD oder Aufmärschen der Kameradschaften mitgewirkt. Über sechs Jahre widmete er sein Leben der »na­tionalen Bewegung«. Im NPD-Kreisverband Eimsbüttel war er Schatzmeister, auch beim Parteiordnerdienst half er mit. Noch im Juni 2010, bei der Volksabstimmung über die Schulreform in Hamburg, hängte der stämmige Dunkelhaarige NPD-Plakate auf. Im August 2010 wurde er schließlich beim Neonazimarsch in Bad Nenndorf gesehen. Die Antifa-Initiativen haben sich deshalb gefragt, ob hier ein auffällig gewordener Neonazi den Polizeiverein nutzt, um seine Kampftechniken zu verfeinern.
Die Befürchtungen hatten durchaus ihren Grund. Immerhin wurde Johannes D. schon einmal verurteilt. Im Mai 2007 hatte der damalige Gymnasialschüler mit zwei Kameraden einen Ghanaer im Stadtteil Barmbek angegriffen. Ohne Vorwarnung, ohne vorherige Streitigkeiten gingen sie ihr Opfer an – vermummt und bewaffnet mit Quarzhandschuhen. Zunächst konnte der Attackierte fliehen, wurde dann aber gejagt. Als er am Rand einer befahrenen Straße um Hilfe rief, reagierte niemand. Erst etwas später hielt ein Anwohner den jüngsten der Täter, nämlich Johannes D., fest. Im Oktober 2008 verurteilte das Amtsgericht die drei Neonazis zu Haftstrafen, da sie aus »rassistischen Motiven« eine gefährliche Körperverletzung begangen hatten. Allerdings wurde in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht im November 2008 letztlich nur einer der Neonazis zu einer Haftstrafe verurteilt. Johannes D. und der dritte Täter kamen mit Freiheitsstrafen auf Bewährung davon.
»Seine Geschichte ist uns bekannt«, sagt Marthiens. Johannes D. habe sie erzählt, und auch, dass er sich heute vor seinen Kameraden fürchte. In dem Verein sei man, so der Geschäftsführer, sehr bemüht, dem jungen Mann beim Ausstieg zu helfen. Mit 16 Jahren sei er doch schon in das Milieu gerutscht, auf der Suche nach Gemeinschaft und Zuspruch, meint er. »Was haben sie nicht so alles getan, als sie jung waren?«, fragt Marthiens. Beim Verein wird offensichtlich nicht bedacht, der Entschluss, sich der Szene anzuschließen, meist auf ideologischen Überzeugungen beruht. Stattdessen wird die Vergangenheit der betreffenden Person zur Suche nach sozialem Halt verklärt und erscheint so als dumme »Jugendsünde«.

Dem Rechtsextremismusforscher Stefan Dierbach zufolge ist diese Logik – trotz langer Debatten über die Ursachen rechter Gewalt – im gesellschaftlichen Mainstream vorherrschend. »Nicht die individuelle Orientierung an rechtsideologischen Prämissen«, so Dierbach in seiner Studie »Jung – rechts – unpolitisch?«, werde als »Ursache entsprechenden Handelns angesehen, sondern eine Reihe von anderen Gründen, die mit dieser Ideologie offenbar nichts zu tun haben«.

Schon bei früheren Nachfragen stellte sich der Verein schützend vor sein Mitglied. »Er ist ein überzeugter Aussteiger, und wir helfen ihm bei seinen Anstrengungen, die Vergangenheit zu überwinden«, sagte der Vereinspräsident Michael Daleki, als sich Journalisten erstmals erkundigten. Vor allem Daleki, einst Chef des Hamburger Landeskriminalamts (LKA), kümmere sich um »den Jungen«, heißt es aus dem Verein. Sich dafür Unterstützung von Aussteigerstellen zu holen, scheint man im Sportverein, der rund 3 100 Mitglieder zählt, allerdings nicht für nötig zu halten.
Andrea Müller findet diese Entscheidung unglücklich. Der Rechtsextremismusexperte am Lidicehaus in Bremen ist seit Jahren in der Ausstiegsberatung aktiv. »Die Trennung von der Szene alleine ist noch kein Ausstieg«, sagt er. »Die Einstellungen müssen sich auch ändern, was für die Betroffenen ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess ist.« Familie, Freunde oder eben Vereinskameraden seien in diesem Prozess oft überfordert. Die nötigen Auseinandersetzungen würden gemieden – aus falschen Sorgen, aus falscher Rücksicht. Immerhin könne die Aufarbeitung die Beziehungen belasten, sagt Müller. Ex­terne professionelle Hilfe ist seiner Ansicht nach immer dringend geboten.

Gänzlich überrascht war denn auch der Sportverein, als Journalisten erneut wegen Johannes D. nachhakten – diesmal wegen seiner Kontakte zur Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg. In einem internen Forum wurde er als »aktives Mitglied« geführt. Die Einträge belegten, dass er sich in der letzten Zeit dort eingeloggt hatte. Auf entsprechende Nachfragen reagierte der Verein zunächst nicht. Prompt stellte die Fraktion der Linkspartei eine Kleine Anfrage in der Bürgerschaft zu der Angelegenheit. Schließlich stuft selbst der Verfassungsschutz die Burschenschaft als »rechtsextremistisch« ein. Die Frage, inwieweit der Parlamentarische Kontrollausschuss des Verfassungsschutzes sich mit der Doppelmitgliedschaft in Polizeisportverein und Burschenschaft auseinandersetzt, wurde damit beantwortet, dass die Inhalte des Ausschusses »aus Gründen des Staatswohls der Geheimhaltung« unterlägen. Außerdem sei der Verein rechtlich eigenständig.
Nach Tagen räumte Marthiens aber ein: »Wir haben das nicht gewusst.« Und er versprach: »Wenn er uns belogen hat, hat das Konsequenzen.« Bereits einen Tag später vermeldete der ­Geschäftsführer, dass Johannes D., der mittlerweile bei der Geschäftsstelle seiner Sportabteilung eingebunden ist, »auch mit denen nichts mehr zu tun habe«. Die neuesten Log-Einträge seien ein »Versuch« gewesen, »sich dort abzumelden«. Und er betont abermals: »Wir glauben ihm.«