Die Euro-Krise trifft auch Großbritannien

Bloß nicht integrieren

Die Euro-Krise bringt auch den britischen Premierminister David Cameron in Bedrängnis. Euro-Skeptiker unter den Konservativen wollen die EU-Verträge ändern und Großbritanniens Bindung an die Union lösen. Sie bedrohen damit auch den Koalitionsfrieden mit den proeuropäischen Liberaldemokraten.

Nick Clegg, der stellvertretende Premierminister Großbritanniens und Vorsitzende der britischen Liberaldemokratischen Partei, sah sich Ende Oktober genötigt, ein Machtwort zu sprechen. Es wäre ökonomischer Selbstmord, sollte sich Großbritannien aus der EU lösen, schrieb er in der Sonntagszeitung Observer. Er bezeichnete diejenigen, die das Land aus der EU führen wollen, als »Extremisten«, die von den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nichts begriffen hätten.
Das Problem ist, dass viele dieser »Extremisten« mit ihm in der Regierung sitzen. 81 konservative Abgeordnete hatten in einer Abstimmung im britischen Parlament verlangt, dass die britische Bevölkerung zum Verbleib in der EU befragt werden solle. Der Antrag hatte zwar keinen Erfolg, aber nur, weil auch die oppositionelle Labour Party gegen das Referendum stimmte. Premierminister David Cameron erlebte damit die größte Rebellion seiner Fraktion seit der Amtsübernahme als Regierungsvorsitzender, obwohl er zuvor noch eiserne Koalitionsdisziplin eingefordert und Parlamentarier, die einen Posten in der Regierung haben, zu einem Votum gegen das Referendum verdonnert hatte. Zwei parlamentarische Staatssekretäre traten daraufhin zurück, um gegen die Regierung stimmen zu können.

Nach der Abstimmung versuchte sich Cameron in Schadensbegrenzung und versicherte den »Rebellen«, es werde kein »böses Blut« geben. Außerdem beteuerte er, dass er versuchen werde, Entscheidungsbefugnisse, die auf EU-Ebene übertragen worden sind, wieder britischer Zuständigkeit zu unterstellen. Damit kam er auch der traditionell großen Skepsis der Britinnen und Briten gegenüber der EU entgegen, die seit Beginn der Euro-Krise weiter zugenommen hat. Derzeit sind etwa 49 Prozent der Bevölkerung der Meinung, das Land solle sich aus der EU zurückziehen, wie eine Umfrage des Guardian ergab. Nur 40 Prozent unterstützten ein Verbleiben in der Union.
Clegg wies Camerons Ankündigungen umgehend zurück. Im Koalitionsvertrag hatten sich Konservative und Liberaldemokraten darauf geeinigt, dass die Regierung keine Versuche unternehmen werde, geltende europäische Verträge zu verändern. Damit akzeptierten die Konservativen die im Frühjahr 2010 ratifizierten Verträge von Lissabon. Im Gegenzug akzeptierten die Liberaldemokraten, dass jegliche neue Übertragung von Machtbefugnissen auf die EU durch ein Referendum abgesegnet werden müsse. Dank dieses Kompromisses war die europapolitische Frage, eines der wichtigsten Streitthemen konservativer Politik in Großbritannien, zunächst vom Tisch.
In der Opposition hatten die konservativen Tories jahrelang um die Europapolitik gerungen. Die antieuropäische United Kingdom Independence Party (UKIP) übte dabei von rechts Druck auf sie aus. Die Mitglieder der regierenden Labour Party konnten sich derweil als europapolitische Realisten profilieren.
Zunächst schien es so, als sei es Cameron gelungen, den euroskeptischen Flügel seiner Partei zu beruhigen. Doch bereits das Zugeständnis an die Liberaldemokraten, die Zustimmung zu den Verträgen von Lissabon nicht einem eigenen Referendum zu unterziehen, löste großen Unmut unter den Konservativen aus. Die Fraktion der Tories, die 2010 ins Parlament gewählte wurde, gilt als noch euroskeptischer als ihre Vorgängerinnen. Tim Montgomerie, der das einflussreiche und generell gut informierte Blog »Conservative Home« betreibt, rechnet bis zu zwei Drittel aller Tory-Abgeordneten diesem sehr euroskeptischen Flügel zu. Aber nicht alle geben dies offen zu, um nicht ihre Karriere in der Koalitionsregierung zu gefährden. Wegen der Euro-Krise ist die Zurückhaltung des euroskeptischen Parteiflügels nun jedoch definitiv beendet.
Profilierte Euro-Skeptiker reagierten scharf auf Cleggs Angriff. Der konservative Abgeordnete Julian Lewis bezeichnete die Liberaldemokraten als die wirklichen Extremisten in der Koalition. Die amtierende Führung der Konservativen tendiere nach links und habe nicht den Mut, sich den Liberaldemokraten entgegenzustellen. Der Abgeordnete und Euro-Kritiker Douglas Carswell sagte: »Wir dachten, wir schließen uns einem erfolgversprechenden Wirtschaftsblock an, aber stattdessen haben wir uns an einen Leichnam gefesselt. Wir wären außerhalb besser dran. Wir müssen nun bezahlen, um eine Zombie-Währung zu stützen, an der wir noch nicht einmal teilnehmen.« Carswell ist auch Mitglied der »Gruppe der 81«, die nach der verlorenen Abstimmung von europaskeptischen Tory-Abgeordneten gegründet worden ist.

Der Koalition droht eine Zerreißprobe, sollte es in der Folge der Euro-Krise zu einer Neuverhandlung der EU-Verträge kommen, was insbesondere Deutschland fordert. Zwar geht es bei den Änderungen lediglich um Fragen der Haushaltsdisziplin in Ländern der Euro-Zone, doch alle Mitgliedsstaaten der EU müssten in die Verhandlungen einbezogen werden. Clegg warnte die deutsche Regierung denn auch gleich davor, solche Änderungen anzustreben. Sie würden dazu führen, dass es doch zum Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens kommen würde.
Das ist paradox, denn eigentlich liegt der britischen Regierung sehr viel daran, die Euro-Krise zu überwinden. Beobachtern in Großbritannien ist klar, dass innerhalb der Euro-Zone eine größere fiskalische Kontrolle nötig ist, damit die Währungsunion funktionieren kann. Die Turbulenzen der vergangenen Monate machen auch der britischen Wirtschaft schwer zu schaffen.
Widersprüche in der britischen Europapolitik sind allerdings nicht neu. Obwohl sie die europäische Integration lange befürworteten, standen die Britinnen und Briten der eigenen Mitgliedschaft in der Union immer schon skeptisch gegenüber. Zum Teil hat dies mit der historischen Rolle Großbritanniens als globales Imperium zu tun. Viele Euro-Skeptiker raten zu einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern des Commonwealth, dem aus dem britischen Imperium hervorgegangenen losen Staatenbund. Von Europa wollen die Euro-Skeptiker nicht mehr als einen gemeinsamen Markt, eine politische Integration streben sie nicht an.
Cameron bot den Rebellen seiner Partei daher an, die Unterordnung Großbritanniens unter die europäischen Richtlinien zu Arbeitnehmerrechten neu zu verhandeln. Die britischen Industrieverbände drängen schon länger auf größere »Flexibilität«, den Konservativen gelten die auf europäischer Ebene verbrieften Arbeitnehmerrechte als »wachstumsfeindlich«. Die Liberaldemokraten haben in dieser Frage eine gewisse Verhandlungsbereitschaft signalisiert.
Die Labour Party hat ihrerseits Elemente der EU-Integration zur Disposition gestellt. Ed Balls, ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, verlangte eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU. Einwanderer aus ärmeren EU-Ländern bedrohten einheimische Arbeitsplätze, sagte Balls.
Einig sind sich alle im Parlament hinsichtlich der Versuche der EU-Kommission, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Dadurch könnten den strapazierten Haushalten der EU Milliarden Euro zukommen, doch bis zu 75 Prozent der Abgaben würden in der City of London, dem Finanzdistrikt, anfallen. Alle britischen Parteien wiesen die Vorschläge zu dieser »Robin Hood Tax« umgehend zurück.