Fundamentalistische Katholiken protestieren gegen ein Theaterstück in Paris

Der du bist in Windeln

Das Theaterstück »Über das Konzept vom Gesicht des Gottessohns« des italienischen Regisseurs Romeo Castellucci sorgte bei fundamentalistischen Katholiken in Paris für Proteste.

Mit dem Bibelzitat »Ich vergebe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« reagierte der italienische Theaterregisseur Romeo Castellucci auf die Proteste von Katholiken gegen seine Inszenierung des Theaterstücks »Über das Konzept vom Gesicht des Gottessohns«. Seit mehr als zwei Wochen laufen christliche Fundamentalisten in Paris gegen das Theaterstück Sturm. Der Regisseur bleibt gelassen: »Sie haben das Stück nie gesehen und wissen also nicht, dass es ein spirituelles Stück ist, das sich mit dem Bild Christi beschäftigt«, sagt Castellucci. Tatsächlich sei es nie seine Absicht gewesen, die christliche Religion zu diffamieren.
Es geht um ein Thema, das viele Menschen beschäftigt: Wie geht man mit seinen alt gewordenen Eltern um? In »Sul concetto di volto nel Figlio di Dio«, wie das Stück im Original heißt, wechselt ein Mann immer und immer wieder die vollen Windeln seines Vaters – bis zur völligen Erschöpfung. Es riecht im Theater nach Kot. Ein alter Mann versucht mit seinem Siechtum fertigzuwerden, der Sohn will helfen und sieht dem körperlichen Verfall des Vaters zugleich hilflos zu. Zwischen beiden entspinnt sich ein einfühlsamer Dialog. Dass sich diese Szenen vor einem Christus-Bild abspielen, einer Nachbildung des Werkes »Der Retter der Welt« von Antonello da Messina, war für fundamen­talistische Katholiken Grund genug, die Aufführung des Stückes zu stören. Castellucci versteht sein Bühnenstück als »eine Art Gebet«. Für die christlichen Fundamentalisten jedoch stellt es schlicht eine »Blasphemie« dar, also eine Gotteslästerung, die in Frankreich bis 1791 strafbar war und dank der bürgerlichen Revolution – früher als in vielen Nachbarländern – entkriminalisiert wurde. Als Begründung für diesen Vorwurf genügte die Information, dass zu den Requisiten ein Christus-Bild und kotbeschmutzte Windeln gehören. »Das Abbild unseres Gottes wird beschmutzt«, behaupten die Kritiker des Stücks. »Andere Religionen werden in Frankreich viel besser behandelt als unser angestammter Glaube.«
Bereits bei der Premiere vor zwei Wochen störten sie die Aufführung. Am Eingang warfen sie mit Stinkbomben und versprühten Tränengas. Gegen Ende stürmten neun Personen die Bühne, entrollten ein Transparent mit der Aufschrift »Christianophobie: Es reicht!« und stimmten eine lateinische Messe an. Irgendwann verständigte die Theaterleitung die Polizei und ließ die Bühne räumen. Auch an den folgenden Abenden wurde die Aufführung gestört, Theaterbesucher wurden mit Eiern beworfen.
Das Stück war bereits in vielen anderen europäischen Ländern gezeigt worden, ohne dass es zu Zwischenfälle gekommen ist, so in Deutschland, Belgien, Norwegen, Großbritannien, in Spanien, Italien, der Schweiz, in Griechenland, im erzkatholischen Polen und in Russland.
Zunächst hatte die rechtsextreme katholische Gruppierung »Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der französischen und christlichen Identität« (Agrif) versucht, gerichtlich gegen die Inszenierung vorzugehen und ein Aufführungsverbot zu erwirken. Ihre Klage wurde jedoch durch ein Pariser Gericht abgewiesen. Die Agrif führt einen Kampf gegen einen angeblichen »antifranzösischen, antiweißen und antichristlichen Ras­sismus«. Einer ihrer wichtigsten Wortführer ist der frühere Abgeordnete des Europa-Parlaments, Bernard Antony, ehemals Kopf des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels beim Front National, der der Partei jedoch 2006 aus Protest gegen ihre »ideologische Aufweichung« unter der »Modernisiererin« Marine Le Pen den Rücken kehrte.
Die Proteste gegen das Stück wurden vor allem von Personen aus diesem rechtsextremen katholischen Spektrum getragen. Unterstützt wurden sie von zwei politisch sehr unterschiedlichen Gruppierungen. Zum einen von den islamfeindlichen Autoren des Online-Magazins Riposte Laïque (»Gegenschlag des Laizismus«), die unter Berufung auf den Laizismus das christliche Abendland gegen den Islam verteidigen wollen. Auf ihrer Seite unterstützte etwa Gérard Brazon, ein rechter »Dissident« der Regierungspartei UMP und aktiver Unterstützer von Riposte Laïque, die Ultrakatholiken publizistisch. Zum anderen riefen aber auch einige sich auf den Islam berufende Fanatiker zur Unterstützung der militanten Rechtskatholiken auf. Die Aktivisten der islamistischen Gruppierung Forzane Alizza (»Reiter der Würde«) unterstützten die Proteste vor dem Pariser Stadttheater und erklärten ihre Solidarität mit den militanten Katholiken. Wer Jesus beleidige, beleidige schließlich einen Propheten des Islam. Auf rechtsextremen Websites verursachten diese verwirrenden Allianzen denn auch einige Verwirrung.
Nachdem die rechtsextreme Agrif mit ihrem Versuch, das Stück juristisch zu stoppen, gescheitert war, rief die rechtskatholische Gruppierung Institut Civitas, die rund 1 000 Mitglieder haben soll, zu Protesten vor dem Theater auf. Die Gruppierung steht der im Jahr 1970 gegründeten Piusbruderschaft, der Fraternité Sacerdotale Saint Pie-X (FSSPX), nahe. Als »schlagender Arm« dient den katholischen Fundamentalisten die seit Ende 2005 bestehende rechtsextreme Gruppierung Renouveau français (RF). Diese besteht aus jüngeren Leuten aus den wohlhabenderen, westlichen Vororten von Paris und dürfte einige Hundert aktive Anhänger zählen. Sie bezieht sich positiv auf die Herrschaft Pétains in Vichy, Francos in Spanien und Salazars in Portugal.
Am vorletzten Samstag kamen mehr als 1 000 rechtsextreme Katholiken zu einer Demonstration im Pariser Zentrum zusammen, die mit einem öffentlichen Gebet im strömenden Regen unterhalb der Statue von Jeanne d’Arc am Pyramidenplatz endete. 200 Demonstranten zogen danach vor das Stadttheater und setzten ihren Protest fort.
Hingegen scheiterte der Versuch, die Proteste gegen das Stück auch in die Nähe des neuen Aufführungsorts im 19. Pariser Bezirk, zu tragen. Fernab des Stadtzentrums kamen dort am vorvergangenen Mittwoch lediglich zwischen 50 und 100 Ultrakatholiken zusammen. Sie beteten vor dem Hinterausgang des Kulturzentrums Cent Quatre und riefen Parolen wie »Frankreich, Jugend, Christentum!« In einiger Entfernung versammelten sich unterdessen mehrere Hundert linke Gegendemonstranten.
Unterdessen zeichnet sich für Dezember eine weitere Eskalation ab. Dann wird im Stadttheater das Stück »Golgatha Picnic« des argentinischen Regisseurs Rodrigo Garcia aufgeführt. Anders als das Drama von Castellucci gilt es als tatsächlich antiklerikal. Die rechtskatholische Szene ruft bereits zu Protesten auf.