Über den Western »Meek’s Cutoff«

Die Stille nach dem Schuss

Kelly Reichardts Siedlerdrama »Meek’s Cutoff« zeigt jenseits des Cowboy-Mythos den Alltag der Pioniere im wilden Westen.

Dass man es bei »Meek’s Cutoff« mit einem »anderen« Western zu tun hat, wird schon durch die graphische Gestaltung des Vorspanns kenntlich, der im Stil einer Stickerei gehalten ist. Angedeutet werden soll damit eine weibliche Perspektive. Die in groben, schmucklosen Stichen ausgeführte Handarbeit hat jedoch keinen dekorativen Charakter, geht es hier doch nicht um das Ausstellen kunstvoller Nadelarbeit, sondern um die ganz pragmatische Vermittlung von Informationen. Am Ende des Vorspanns liest man: »Oregon 1845«, umrahmt von der schlichten Zeichnung eines Baumes.
Der Film erzählt eine historisch verbürgte Geschichte aus den frühen Tagen des Oregon Trail, wie die Route heißt, die die Siedler aus dem von der Wirtschaftskrise geplagten Osten auf einer fast 2000 Kilometer langen Strecke quer durch die Rocky Mountains in den Westen führte. In »Meek’s Cutoff« ist es ein kleiner Treck von drei Familien, der von Stephen Meek (Bruce Greenwood), einem prahlerischen Trapper, geführt wird. Er soll die Gruppe über die Cascade Mountains bringen. Großspurig gibt er vor, einen sicheren Weg zu kennen, auf dem die Siedler keine Angriffe von Indianern zu befürchten hätten. Die Abkürzung, Meek’s Cutoff, erweist sich aber bald als Weg in die Katastrophe. Der Treck verirrt sich in der Felsenwüste, bald werden die Wasservorräte knapp. Das Wort »Lost«, das Thomas Gately (Paul Dano) zu Beginn der Tour in einen morschen Baumstamm am Wegrand geritzt hat, erweist sich auf einmal als gespenstische Prophezeiung. Ein Indianer kreuzt irgendwann ihren Treck, und die Gruppe muss sich entscheiden, ob sie ihm vertrauen oder sich weiterhin von Meek führen lassen wollen. Der Indianer könnte sie auf den richtigen Weg oder aber in den sicheren Tod führen. Darüber zerstreitet sich die Gruppe, wodurch sich die Machtverhältnisse innerhalb des Trecks ändern, nicht zuletzt, weil eine der Frauen, Emily Tetherow (Michelle Williams), das Vertrauen und die Autorität von Meek anzweifelt und lieber einen Handel mit dem Indianer eingehen will.
Die US-amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt, die spätestens mit ihren Filmen »Old Joy« (2006) und »Wendy und Lucy« (2008) als Vertreterin eines »neuen Realismus« innerhalb des amerikanischen Independent-Kinos gilt, inszeniert auch ihren neuen Film gewohnt minimalistisch. Sie konzentriert sich auf den gleichförmigen Alltag der Pioniere, den sie in ruhigen Bildern darstellt. Die Entschleunigung verleiht der Schilderug der beschwerlichen und immer gleichen Alltagsroutine eine große Authentizität. Die Eingangsszene etwa zeigt, wie der Treck einen kleinen Fluss überquert. Planwagen, Pferde und das wenige Hab und Gut sicher auf die andere Seite zu bringen ist eine mühevolle Arbeit. Die Frauen wuchten das Gepäck in die Höhe, während sie hüfthoch im Wasser stehen, eine von ihnen trägt einen Käfig mit einem bunten Kanarienvogel, der wie ein exotischer Fremdkörper in der von Erdtönen bestimmten Landschaft wirkt. Das alles braucht seine Zeit, ebenso wie es Zeit braucht, wenn Emily Tetherow instinktiv zum Gewehr greift, als der Indianer plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht. Bevor sie den ersten Schuss abgibt, kramt sie das Schießpulver aus der Tasche. Um den zweiten Schuss abgeben zu können, muss sie sogar noch einen Ladestock benutzen. Gezeigt wird ihr umständliches Herumhantieren, das rein gar nichts mit den choreographierten Schusswechseln im klassischen Western gemein hat. »Meek’s Cutoff« ist dennoch keine Dekonstruktion des traditionellen »männlichen« Western. Der Film arbeitet sich weder an dem Genre und seinen männlich dominierten Mythen ab, noch versucht er auf programmatische Weise, eine feministische Perspektive zu etablieren, auch wenn er vielfach als »Frauenwestern« bezeichnet wurde. Als kämpferische Role Models eignen sich die Frauen mit ihren tief ins Gesicht gezogenen Häubchen und den langen Gewändern wohl kaum, auch wenn eine Figur wie Emily Tetherow dem unzuverlässigen Trapper entschlossener gegenübertritt und ihn offener kritisiert als die Männer des Trecks. Reichardt versucht, eine alternative Geschichtsschreibung zu betreiben, mit einem präzisen und sachkundigen Blick auf das Historische. So hat sich die Regisseurin für das Drehbuch auf Tagebucheinträge von Siedlerinnen gestützt, die Geschichten von Arbeit, Monotonie und dem Gefühl der Isolation, aber auch von Freundschaft erzählen.
Das Sozialgefüge der Gruppe ist geprägt durch das enge Zusammenleben im Treck, das Fehlen von Intimität unter den Paaren und das Schweigen der allesamt verhärmt wirkenden Männer. Die Gemeinschaft der Frauen wirkt wesentlich lebendiger und birgt trotz harter Arbeit Momente von Heiterkeit. Nicht zuletzt zeigt der Film eine genau definierte Rollenverteilung. Wenn die Männer debattieren, stehen die Frauen abseits und sind von den Entscheidungen ausgeschlossen, sie können nicht mehr tun, als über den Inhalt der Gespräche zu spekulieren. Ohnehin wird nur das Nötigste gesprochen.
Ein historischer, »neurealistischer« Western ist »Meek’s Cutoff« trotz aller Genauigkeit der Darstellung aber nur bedingt. Dazu ist die Landschaft, die ein Eigenleben entfaltet, viel zu bedeutsam, und das unterscheidet den Film doch sehr von Reichardts anderen Arbeiten.
Manchmal wirken die Bilder der durch diese Kulisse sich mühsam fortbewegenden Pioniere fast surreal, vor allem wenn die Kamera sie aus der Gruppe herauslöst und isoliert einfängt. Ganz ähnlich, wie es der Regisseur Monte Hellman in seinen existentialistischen Western Mitte der sechziger Jahre vorgemacht hat (beispielsweise in »The Shooting« oder »Ride in the Whirlwind«), überführt die Regisseurin ihre Erzählung auf eine überzeitliche, der konkreten Wirklichkeit entrückte Ebene. Das zügige, aber monotone Laufen der abstrakt wirkenden Figuren bekommt inmitten der scheinbar endlosen Weite etwas Hypnotisches. Sie scheinen wie in Trance, jeder für sich – als würde es plötzlich nur noch darum gehen, zu laufen und nicht mehr darum, irgendwo anzukommen.

»Meek’s Cutoff« (USA 2010). Regie: Kelly Reichardt, ­Darsteller: Michelle Williams, Zoe Kazan, Shirley Henderson, Bruce Greenwood. Start: 10. November